Nach den Erfolgen des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei den Landtagswahlen im Herbst 2024 und dem im Februar 2025 wiederum äußerst knapp verpassten Einzug in den Bundestag ist eine langfristige Etablierung der Partei offen und beschäftigt Politik wie Forschung. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive wurden im Demokratie-Dialog bereits die Programmatik und das Potenzial des BSW (Franzmann et al. 2024) sowie der Aufbau dessen Landesverbands in Niedersachsen (Hensel et al. 2025) untersucht. Insgesamt fokussiert sich die Forschung zum einen auf die Entwicklung des programmatischen Profils hin zu einer links­autoritären Partei mit ökonomisch linken und gesellschaftspolitisch rechten Positionen; zum anderen werden Sozialstruktur und Einstellungen der (potenziellen) Wähler:innen sowie ein etwaiges Konkurrenzverhältnis zwischen dem BSW und der Alternative für Deutschland (AfD) beleuchtet.

Der vorliegende Beitrag analysiert hingegen, wie das BSW von zwischengelagerten organisierten Protestnetzwerken wahrgenommen und möglicherweise unterstützt wird. Insbesondere Teile des während der Coronapandemie aus der Vernetzung von Querdenken & Co mit etablierten Rechtsaußen-Akteuren hervorgegangenen Post-Corona-Protestmilieus könnten für das BSW zu gewinnen sein – und selbst mit ihrer digitalen Mobilisierungsmaschinerie Anhänger:innen für das BSW rekrutieren. Viele Teilnehmende der (Post-)Corona-Proteste sind zwar deutlich populistisch eingestellt, darüber hinaus jedoch ideologisch unsortiert und nicht eindeutig rechtsaußen zu verorten. Es handelt sich um ein Milieu, das »eher von links kommt, aber stärker nach rechts geht« (Nachtwey et al. 2020, S. 52). Dieser Beitrag untersucht anhand seiner Telegram-Kommunikation in Niedersachsen, Sachsen, Thüringen und Brandenburg, ob es nicht doch eher linksautoritär abbiegt und eine Etablierung des BSW unterstützt.

Das BSW als neuer Akteur auf der politischen Landkarte

Nach einer anfänglichen programmatischen Findungsphase (Franzmann et al. 2024) verortete sich das BSW spätestens zur Bundestagswahl 2025 eindeutig ökonomisch links und gesellschaftspolitisch rechts. Damit besetzte es eine im deutschen Parteiensystem bislang vakante linksautoritäre Position (Wagner und Wurthmann 2025, S. 8–11; Riethmüller et al. 2025).

Bislang befragte BSW-Anhänger:innen vertraten passend dazu ähnliche wirtschaftspolitische Einstellungen wie solche von Die Linke, ähnliche gesellschaftspolitische Einstellungen wie solche der Union und ähnlich populistische Überzeugungen wie AfD-Anhänger:innen, was die vielfältigen Anschluss- und Mobilisierungsmöglichkeiten der Partei verdeutlicht (Herold und Otteni 2025). So konnte das BSW sowohl migrationspolitisch rechts eingestellte Anhänger:innen von Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen als auch ökonomisch links eingestellte Anhänger:innen von AfD, Union und FDP für sich gewinnen (Steiner und Hillen 2025). Überzeugte Wähler:innen der AfD waren hingegen nicht beeinflussbar (Heckmann et al. 2025). Populistische Überzeugungen und eine Unzufriedenheit mit der Bundesregierung erhöhten die Unterstützung für das BSW (Hoffmann 2025); die Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine und die Befürwortung einer Annäherung an Russland ebenso. Wichtiger als Inhalte und politische Unzufriedenheit schien jedoch eine Begeisterung für die Person Sahra Wagenknecht zu sein (Wurthmann und Wagner 2025).

Eine parlamentarische Repräsentantin des Post-Corona-Protestmilieus?

Mit seinen inhaltlichen Positionen spricht das BSW grundsätzlich auch das Post-Corona-Protestmilieu an. Dieser Begriff bezeichnet zum einen die bis heute stattfindenden Kleinproteste von Querdenken & Co, die aus einer populistischen Grundüberzeugung heraus eine anhaltende Kritik an Coronamaßnahmen mit neuen aktuellen Themen, wie etwa Energiepolitik, verknüpfen (Jasser und Hensel 2025). Zum anderen verdeutlicht der Begriff die transformativen Auswirkungen der Corona-Proteste auf die etablierte Rechtsaußen-Protestlandschaft, insbesondere im Hinblick auf die Gewinnung neuer Anhänger:innen und den Aufbau eines geografisch weitverästelten digitalen Netzwerks (Helmer 2025). Zusammengenommen beschreibt er demnach lokale bis bundesweite Netzwerke aus neuen und bereits etablierten, diffus populistisch bis offen rechtsradikal orientierten Akteuren, die sich auf den Corona-Protesten zusammenfanden. Zwar durchleben sie aktuell eine Mobilisierungsflaute; im digitalen Raum und mit einzelnen Groß- sowie regelmäßigen Kleinprotesten sind sie jedoch anhaltend aktiv.

Während der Coronapandemie integrierte die Ablehnung der Coronamaßnahmen diese Netzwerke. Ab 2022 kamen geteilte außenpolitische Positionen gegen die Unterstützung der Ukraine hinzu, Forderungen nach einer Hinwendung zu Russland gewannen an Bedeutung und die nativistische Ablehnung von Migration kehrte für viele der etablierten Rechtsaußen-Akteure schrittweise wieder in den Fokus zurück. Ein großer Teil der Netzwerke ist zwar im Vorfeld der AfD verankert (Weisskircher 2024a), die Teilnehmenden der Corona-Proteste waren jedoch ideologisch recht heterogen und könnten neben der Ansprache von rechtsaußen (Weisskircher 2024b; Nachtwey et al. 2020) auch für eine linksautoritäre Einbettung ihrer Forderungen empfänglich sein.

Eine Verknüpfung von Partei- und Bewegungsarbeit erprobte Sahra Wagenknecht schon 2018 als Mitinitiatorin von Aufstehen, wenn auch mit überschaubarem Erfolg. Im Februar 2023 sprach sie mit der Kundgebung »Aufstand für Frieden« samt zugehörigem Manifest eine im Post-Corona-Protestmilieu und weit darüber hinaus vorhandene Protestbereitschaft an – und traf die Überzeugungen der Protestbereiten umfassender als beispielsweise die gegen steigende Lebenshaltungskosten mobilisierenden Gewerkschaften (Schürmann et al. 2025). Hier zeigten sich eindeutige Schnittmengen zwischen dem BSW und dem Post-Corona-Protestmilieu in den Forderungen zur Russland- und Ukraine-Politik, während ökonomisch linke Forderungen etwa zur Energiepolitik und gesellschaftspolitisch rechte Forderungen in der Migrationspolitik ebenfalls gegenseitig anschlussfähig waren.

Die potenziellen Reaktionen von Protestakteur:innen auf ein solches politisches Repräsentationsangebot sowie das grundsätzliche Verhältnis von Parteien und sozialen Bewegungen wurden in dieser Reihe bereits theoretisch und konzeptionell diskutiert und empirisch anhand der Beziehungen zwischen dem (Post-)Corona-Protestmilieu und den Parteien dieBasis [1] und AfD analysiert (Biediger und Helmer 2025). Daran anschließend wird nun auch die Bewertung des BSW in diesem Milieu in den Blick genommen.

Die Analyse regionaler Protestmilieus in Telegram

Um diese zu untersuchen, griffen wir auf die öffentliche Telegram-Kommunikation der regionalen Protestmilieus in Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen zurück. [2] Diese erlaubt einen einzigartigen Blick in die strategischen Mobilisierungsversuche führender Köpfe und den Austausch unter den aktiven Anhänger:innen.

Während das Telegram-Netzwerk der Corona-Proteste in Niedersachsen weitgehend aus neu erstellten lokalen Kanälen und Gruppen von Querdenken & Co hervorging, griffen sie in Sachsen, Thüringen und Brandenburg auch auf bestehende digitale Kommunikationswege etablierter Rechtsaußen-Akteure zurück. Im November und Dezember 2021 schließlich wurden – ausgehend von Sachsen – in allen vier Ländern neue landesweite Kanäle und Gruppen gegründet, die der Vernetzung der lokalen Corona-Proteste dienen sollten. In Sachsen ging dies mit der Gründung der Kleinpartei Freie Sachsen durch ehemalige NPD- und Pro-Chemnitz-Funktionäre einher (Kiess und Nattke 2024), während in den anderen drei Ländern nur das Anliegen der überregionalen Vernetzung, das Auftreten als Sammlungsbewegung und die Benennung übernommen wurden.

Dort können die führenden Köpfe des Post-Corona-Protestmilieus auch nach dem Ende der Coronapandemie mit populistischer Rhetorik und breit geteilten Forderungen nahezu geräuschlos integrieren, wobei sich programmatische Schwerpunkte, populistische Figuren und das Ausmaß der grundsätzlichen Ablehnung des politischen Systems zwischen den drei Ländern leicht unterscheiden (Helmer et al. 2025). In Sachsen kommt es jedoch im Zuge der Profilierung der Freien Sachsen zu deutlicheren Konkurrenzsituationen sowohl in Wahlkämpfen als auch in der Protestorganisation (Kiess 2023). Teile von Querdenken & Co in Dresden verwehrten sich etwa gegen eine zu enge Bindung an die Freien Sachsen (Kocyba und Wetzel 2024, S. 6).

Um dieser Ausgangslage Rechnung zu tragen, analysierten wir die Inhalte der landesweiten öffentlichen Telegram-Kanäle und ggf. -Gruppen der Freien Brandenburger und von Freies Thüringen sowie die lokalen Kanäle und Gruppen der (Post-)Corona-Proteste in Dresden und Leipzig. Letztere weisen zwar deutlich weniger Follower:innen als die der Freien Sachsen auf, sind jedoch anders als diese potenziell für neue Parteien erreichbar. Untersuchungszeitraum sind jeweils die zwölf Wochen um die Landtagswahlen im Herbst 2024; alle Erwähnungen von Parteien wurden manuell als positiv, neutral oder negativ kodiert (Biediger und Helmer 2025, S. 69). Für Niedersachsen wurde eine Vollerhebung des Telegram-Netzwerks des Post-Corona-Protestmilieus von 2020 bis 2024 genutzt (Helmer und Zylla 2025); die Erwähnungen von (Bündnis) Sahra Wagenknecht wurden im Zeitverlauf monatlich aggregiert und die jeweiligen Nachrichten mit einer strukturierenden Inhaltsanalyse ausgewertet (Kuckartz 2016).

Das Image von Sahra Wagenknecht im Zeitverlauf

Die regionalen Milieus der (Post-)Corona-Proteste setzten sich bislang umfangreich mit dem BSW und Sahra Wagenknecht als Person auseinander und thematisierten beide häufig. Die Längsschnittuntersuchung der Telegram-Kommunikation in Niedersachsen (Abb. 1) zeigt, dass Sahra Wagenknecht erstmals im November 2021 ausführlicher erwähnt wurde, nachdem sie die Corona-Politik der Bundes- und Landesregierungen kritisiert und sich als Fürsprecherin von Ungeimpften präsentiert hatte. Dafür wurden ihr Zuspruch und Dankbarkeit zuteil: Das zu diesem Zeitpunkt noch ausschließlich auf die Coronapandemie fokussierte Protestmilieu in Niedersachsen nahm sie als eine Repräsentantin wahr – ähnlich wie die Parteien dieBasis und die AfD (Biediger und Helmer 2025, S. 70–71).

Parallel zur thematischen Ausweitung der Proteste auf eine Opposition zur Energiepolitik der Bundesregierung, zu Sanktionen gegen Russland und zur militärischen Unterstützung der Ukraine wurde Wagenknecht häufiger und zunehmend kritisch thematisiert. Im Zuge sowohl von Protesten im Herbst 2022 als auch der maßgeblich von Wagenknecht mitorganisierten Kundgebung »Aufstand für Frieden« im Februar 2023 wurde im niedersächsischen Protestmilieu Kritik laut: Zwar gebühre ihr Respekt für ihre Positionen während der Hochzeiten der Coronapandemie, ihr sonstiges politisches Programm sei jedoch abzulehnen. Radikalere Aussagen bezeichneten sie als Vertreterin eines verhassten politischen Systems – ein Vorwurf, der zuweilen auch gegen die AfD gerichtet wurde (Biediger und Helmer 2025, S. 71). Dennoch ließen sich zu diesem Zeitpunkt noch positive Äußerungen zu Wagenknecht finden, insbesondere mit Bezug zur gemeinsam abgelehnten Russland- und Ukrainepolitik. Strategisch orientierte Stimmen verwiesen darauf, dass sie bei Wahlen andere Milieus mobilisieren könne als die AfD und der aufkommende Gegenwind kontraproduktiv sei.

Die Ablehnung des BSW in Niedersachsen

Mit dem angekündigten Austritt aus der Linken-Bundestagsfraktion im Oktober 2023, der Gründung des BSW und den auch im niedersächsischen Protestmilieu beobachteten ostdeutschen Landtagswahlen im Herbst 2024 wendete sich das Blatt jedoch vollends. Der populistische Grundtenor der Telegram-Kommunikation richtete sich unverzüglich auch gegen das BSW. Die Parteigründung wurde als strategisches ›Ablenkungsmanöver‹ und als Aufbau einer ›Scheinopposition‹ wahrgenommen. Teils wurde dem BSW zu wenig Härte in den migrationspolitischen Forderungen oder zu wenig Einsatz für eine ›Aufklärung‹ der Coronapandemie vorgeworfen, teils wurde eine zu große Distanz zur AfD kritisiert, teils wurden beide Parteien als Systemvertreterinnen bezeichnet. Das politische Kapital von Sahra Wagenknecht im Protestmilieu zahlte sich für das BSW demnach nicht aus. Stattdessen wurden seine Erfolge bei den Landtagswahlen regelmäßig als entgangene AfD-Stimmen verbucht.

Darstellung derAnzahl der monatlichen Nachrichten im niedersächsischen Telegram-Netzwerk des Post-Corona-Protestmilieus
Abbildung 1: Anzahl der monatlichen Nachrichten im niedersächsischen Telegram-Netzwerk des Post-Corona-Protestmilieus, in denen Sahra Wagenknecht oder das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zwischen März 2020 und Dezember 2024 erwähnt wurden. Eigene Erhebung (Helmer und Zylla 2025).

Das BSW in Sachsen, Thüringen und Brandenburg

Bei den Landtagswahlen 2024 erlangte das BSW zwischen 11,8 und 15,8 Prozent der Zweitstimmen. Sowohl in Thüringen als auch in Brandenburg ist es seitdem Teil der Landesregierung; in Sachsen ist die schwarz-rote Minderheitskoalition mitunter auf eine Unterstützung des BSW bei Gesetzgebungsvorhaben angewiesen. Bei den Bundestagswahlen 2025 fielen die Zweitstimmenanteile für die jeweiligen Landeslisten leicht geringer aus als das Ergebnis der vorangegangenen Landtagswahlen. Nichtsdestotrotz bleiben Wähler:innen-Potenzial und tatsächliche Stimmabgabe für das BSW in Ostdeutschland höher als in Westdeutschland, was sich primär auf eine stärkere Verbreitung der vom BSW vertretenen politischen Positionen in Ostdeutschland zurückführen lassen dürfte (Thomeczek und Wagner 2025). In Thüringen waren insbesondere eine DDR-Nostalgie und Unzufriedenheit mit der Demokratie ausschlaggebend für eine Stimmabgabe für das BSW, während Migration, ein geringes Institutionenvertrauen oder ein Gefühl regionaler Vernachlässigung – anders als bei den Wähler:innen der AfD – keine signifikante Rolle spielten (Reiser und Küppers 2025).

Abbildung Zweitstimmenanteile von AfD, BSW, dieBasis und den Freien Sachsen bei den letzten Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Niedersachsen und der Bundestagswahl 2025
Abbildung 2: Zweitstimmenanteile von AfD, BSW, dieBasis und den Freien Sachsen im endgültigen Ergebnis der jeweils jüngsten Landtagswahl sowie der Bundestagswahl 2025 in Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Niedersachsen. Falls keine Werte vorhanden sind, trat die jeweilige Partei nicht zur entsprechenden Wahl an.

Erfolgreiche Wahlteilnahme, Ablehnung im Protestmilieu

Der Erfolg des BSW bei den Landtagswahlen gründete sich jedoch dezidiert nicht auf eine entsprechende Mobilisierung in den untersuchten Protestmilieus. Ganz im Gegenteil: In der jeweiligen Telegram-Kommunikation fand sich in den zwölf Wochen um den Wahltermin keine einzige positive Erwähnung des BSW; in Sachsen und Thüringen überwogen die eindeutig negativen Erwähnungen sogar die neutralen Nennungen (Abb. 3 und Abb. 4). Insgesamt wurde das BSW negativer bewertet als die direkte politische Konkurrenz und gleichzeitig häufiger thematisiert als andere politische Gegner:innen des Protestmilieus, wie etwa die Parteien Die Linke und Bündnis90/Die Grünen (nicht abgebildet). Das einheitliche Ergebnis in den untersuchten Telegram-Kanälen und -Gruppen legt den Schluss nahe, dass die führenden Köpfe ihre Anhänger:innen aktiv und strategisch von einer Wahl des BSW abhalten wollten. In den offenen Telegram-Gruppen kamen alternative Sichtweisen der Anhänger:innen auf das BSW entweder nicht auf oder wurden aktiv unterbunden und gelöscht.

Damit decken sich die Befunde einer eindeutigen Ablehnung des BSW im Milieu der (Post-)Corona-Proteste in Niedersachsen, wo das BSW bei der Bundestagswahl landesweit nur 3,8 Prozent der Zweitstimmen erhielt, und die der drei untersuchten ostdeutschen Bundesländer. Der dortige Erfolg des BSW kam trotz einer aktiven Gegenmobilisierung in den untersuchten Protestmilieus zustande.

Abbildung Anzahl positiver, neutraler und negativer Erwähnungen ausgewählter Parteien in regionalen Telegram-Gruppen und -Kanälen
Abbildung 3: Absolute Anzahl positiver, neutraler und negativer Erwähnungen ausgewählter Parteien in regionalen Telegram-Gruppen und -Kanälen der Post-Corona-Protestmilieus in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Der Untersuchungszeitraum sind die zwölf Wochen um die jeweiligen Landtagswahlen im Herbst 2024. Eigene Erhebung.

Parteibindungen der untersuchten Protestmilieus

Das Verhältnis der untersuchten Protestmilieus zu den anderen assoziierten Parteien folgt einem leicht variierten länderspezifischen Muster: In allen drei Wahlländern war die AfD der zentrale Referenzpunkt der untersuchten Telegram-Kommunikation zu den Landtagswahlen (Abb. 5). In Thüringen gehört das untersuchte Protestmilieu eindeutig zum AfD-Vorfeld; sowohl im Vergleich zu den übrigen Parteien als auch im Vergleich zwischen den Ländern stechen der Umfang und der positive Tenor der Erwähnungen hervor. Hier wurden auch Telegram-Beiträge der AfD selbst in erheblichem Umfang direkt weitergeleitet. Die überregionale Bedeutung der Freien Sachsen wurde durch einzelne Erwähnungen deutlich; dieBasis war weitestgehend irrelevant.

In Brandenburg dominierte ebenfalls die AfD die Auseinandersetzung mit den Parteien, wenn auch in einem geringeren Ausmaß als in Thüringen. Nur vereinzelt wurde Kritik an der Partei geäußert. Die Freien Sachsen wurden hier ebenfalls – überwiegend positiv – erwähnt. Daneben spielte auch dieBasis eine kleine Rolle, ohne dass ihr gegenüber eine eindeutige Position bezogen wurde. Insgesamt gehört das untersuchte Protestmilieu seiner Telegram-Kommunikation nach auch hier eindeutig zum AfD-Vorfeld, auch wenn nur selten Posts der AfD weitergeleitet wurden.

Abbildung Anteil positiver, neutraler und negativer Erwähnungen ausgewählter Parteien in regionalen Telegram-Gruppen und -Kanälen
Abbildung 4: Relativer Anteil positiver, neutraler und negativer Erwähnungen ausgewählter Parteien in regionalen Telegram-Gruppen und -Kanälen der Post-Corona-Protestmilieus in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Der Untersuchungszeitraum sind die zwölf Wochen um die jeweiligen Landtagswahlen im Herbst 2024. Eigene Erhebung.

In Sachsen schließlich machte die Thematisierung der AfD relativ gesehen den kleinsten Anteil im Ländervergleich aus, zudem fiel sie häufiger eindeutig negativ aus. Demgegenüber nahm die Kritik am BSW relativ gesehen mehr Raum ein. Die Freien Sachsen wurden – wenig überraschend – ebenfalls relativ gesehen häufiger und dabei überwiegend positiv erwähnt. Insgesamt ist also auch das hier untersuchte Protestmilieu der AfD zugeneigt; die digitale Mobilisierung fällt jedoch in der analysierten Kommunikation knapp aus. Dies hängt vermutlich sowohl mit der Relevanz der Freien Sachsen – insbesondere bei einigen Kommunalwahlen – als auch mit der bereits geschilderten Strukturierung der digitalen Kommunikation in Sachsen zusammen: Während in Thüringen und Brandenburg eine landesweit weitgehend integrierte Protestlandschaft für die AfD mobilisiert, treten im sächsischen Telegram-Netzwerk milieuinterne Konkurrenzverhältnisse zwischen der AfD, den Freien Sachsen und den hier untersuchten Akteuren des Post-Corona-Protests in Dresden und Leipzig zutage. Gleichwohl ist auch bei Letzteren dieBasis nicht (mehr) relevant.

Fazit und Ausblick

Auch wenn die programmatischen Schnittmengen erheblich sind – zumindest im organisierten Post-Corona-Protestmilieu scheint das BSW nicht zu reüssieren und kann damit nicht auf die dort vorhandene Mobilisierungskapazität zurückgreifen. Zeigte sich in Niedersachsen vor der Parteigründung noch eine große Sympathie für Sahra Wagenknecht, wandelte sich dies mit der Zeit und schlug spätestens in den vergangenen Wahlkämpfen in eine vollständige Ablehnung des BSW um.

Abbildung des relativen Anteils der Erwähnungen ausgewählter Parteien in regionalen Telegram-Gruppen und -Kanälen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen
Abbildung 5: Jeweiliger relativer Anteil der Erwähnungen ausgewählter Parteien in regionalen Telegram-Gruppen und -Kanälen der Post-Corona-Protestmilieus in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Der Untersuchungszeitraum sind die zwölf Wochen um die jeweiligen Landtagswahlen im Herbst 2024. Eigene Erhebung.

Die Telegram-Kanäle zur übergreifenden Vernetzung des Milieus sind stattdessen unterschiedlich stark, aber durchweg eindeutig in das Vorfeld der AfD eingebunden; die untersuchten kleinen, lokalen Netzwerke lehnen das BSW ebenfalls ab. Damit ist das organisierte Post-Corona-Protestmilieu zumindest in den untersuchten Ländern vollends rechtsaußen angekommen und nicht einmal in Teilen links­autoritär abgebogen. Während dies in Sachsen, Thüringen und Brandenburg bisherige Beobachtungen bestätigt, überrascht die Eindeutigkeit in Niedersachsen: Das niedersächsische Milieu ist weit stärker von Querdenken & Co und den Corona-Protesten als von etablierten Rechtsaußen-Akteuren geprägt, was eine größere Offenheit gegenüber dem BSW vermuten lässt. Das BSW konnte die bereits konstatierte Hinwendung des Milieus zur AfD (Biediger und Helmer 2025) jedoch nicht nennenswert herausfordern.

Dies eröffnet abschließend zum einen die Frage, inwiefern Protestmilieus in anderen Bundesländern, etwa in Baden-Württemberg, als Ausgangspunkt von Querdenken, aber auch die weniger organisierten Sympathisant:innen der Proteste offener für das BSW sind. Zum anderen wirft die deutliche Ablehnung des BSW in der untersuchten Telegram-Kommunikation die Frage auf, wie Protest-Netzwerke durch die Mobilisierung für und gegen Parteien zur Formation und Stabilisierung von Konfliktlinien beitragen – die hier vorgestellte Analyse berücksichtigte nur knapp die Hälfte aller Parteinennungen und kann erweitert werden.

.

Literatur:

Biediger, Manon und Joschua Helmer. 2025. Die politische Repräsentation von Querdenken & Co: Von der Bewegung zum Vorfeld-Netzwerk? Demokratie-Dialog 15:64–https://doi.org/10.17875/gup2025-2827 .

Franzmann, Simon T., Nadine Kasten und Alexander Hensel. 2024. (K)ein Lückenfüller?: Zu Profil und Programm der neuen Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Demokratie-Dialog 14:12–26. https://doi.org/10.17875/gup2024-2629 .

Heckmann, Leon, L. Constantin Wurthmann und Sarah Wagner. 2025. Who’s afraid of Sahra – Understanding the shift in votes towards Germany’s Bündnis Sahra Wagenknecht. Research & Politics 12. https://doi.org/10.1177/20531680241311504 .

Helmer, Joschua. 2025. Was bleibt von den (Post-)Corona-Protesten, Querdenken & Co? Transformationen der Rechtsaußen-Protestlandschaft während und nach der Covid-19-Pandemie. Unveröffentlichtes Manuskript.

Helmer, Joschua, Lene Buro, und Lena Jaensch. 2025. Telegram-Kommunikation von Querdenken & Co zu deutschen Landtagswahlen 2022–2024. Unveröffentlichtes Manuskript.

Helmer, Joschua, und Michael Zylla. 2025. Telegram-Mobilisierung von Querdenken & Co in Niedersachsen 2020–2024. Unveröffentlichtes Manuskript.

Hensel, Alexander, Leander Fricke und Dario Wehner. 2025. Partei im Aufbau: Entstehung und Entwicklung des BSW-Niedersachsen. Demokratie-Dialog 15:14–25. https://doi.org/10.17875/gup2025-2821.

Herold, Maik und Cyrill Otteni. 2025. Closing the Left-Conservative Gap of Political Representation? Ideological Positions and Democratic Attitudes of ›Bündnis Sahra Wagenknecht’ (BSW) Supporters in Germany. German Politics. https://doi.org/10.1080/09644008.2025.2497083.

Hoffmann, Philipp. 2025. Between Left-Authoritarians, Sympathy for Russia, and Political Discontent: The Correlates of Voting for the Bündnis Sahra Wagen­knecht (BSW). Politische Vierteljahresschrift. https://doi.org/10.1007/s11615-025-00600-2.

Jasser, Greta und Alexander Hensel. 2025. Post-Corona-Proteste in Niedersachsen. Eine Fallstudie zu Bewegungen in ungünstigen Gelegenheitsstrukturen. Unveröffentlichtes Manuskript.

Kiess, Johannes. 2023. Extrem rechte Parteien in Sachsen. Arbeitsteilige Mobilisierung und Fragmentierung. In Demokratie in Sachsen: Jahrbuch des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts für 2022, Hrsg. Oliver Decker, Fiona Kalkstein und Johannes Kiess, S. 79–96. Leipzig: Edition Überland.

Kiess, Johannes und Michael Nattke. 2024. Widerstand über alles: wie die Freien Sachsen die extreme Rechte mobilisieren. Leipzig: Edition Überland.

Kocyba, Piotr und Gideon Wetzel. 2024. Reaktionen der extrem rechten sächsischen Telegram-Szene auf den 7. Oktober 2023. Leipzig: Else Frenkel-Brunswik Institut für Demokratieforschung in Sachsen.

Kuckartz, Udo. 2016. Qualitative Inhaltsanalyse: Methoden, Praxis, Computerunterstützung 3., überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz Juventa.

Nachtwey, Oliver, Robert Schäfer und Nadine Frei. 2020. Politische Soziologie der Corona-Proteste, preprint, https://osf.io/zyp3f.

Reiser, Marion und Anne Küppers. 2025. Persistence of far-right support and BSW’s emergence: Support for AfD and BSW in the 2024 Thuringian State Elections, preprint, https://osf.io/v6bam_v1.

Riethmüller, Felicia, Laura Visca, Lisa Zehnter, Sarah Hegazy und Magnus Hääl. 2025. Herausforderer von allen Seiten. AfD, BSW und Die Linke und ihre programmatischen Positionen zur Bundestagswahl  2025. WZB Werkstatt Wahlen.

Schulze, Heidi, Julian Hohner, Simon Greipl, Maximilian Girgnhuber, Isabell Desta und Diana Rieger. 2022. Far-right conspiracy groups on fringe platforms: a longitudinal analysis of radicalization dynamics on Telegram. Convergence: The International Journal of Research into New Media Technologies 28:1103–1126. https://doi.org/10.1177/13548565221104977 .

Schürmann, Lennart, Endre Borbáth und Swen Hutter. 2025. Protest and the rise of left-nationalist challengers: evidence from Germany. Social Movement Studies, 1–20. https://doi.org/10.1080/14742837.2025.2530410.

Steiner, Nils D. und Sven Hillen. 2025. Voting for the Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) from a Policy Space Perspective. German Politics, 1–25. https://doi.org/10.1080/09644008.2025.2502100.

Thomeczek, Jan Philipp und Aiko Wagner. 2025. Issue congruence outweighs geography: Understanding the appeal of Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in east and west Germany. Electoral Studies 97. https://doi.org/10.1016/j.electstud.2025.102986.

Wagner, Sarah und L. Constantin Wurthmann. 2025. Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit (BSW): Eine politikwissenschaftliche Einordnung. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Weisskircher, Manès. 2024a. Far-right movement-party activism as strategy: Germany’s ›peace movement‹ during Russia’s war against Ukraine. Acta Politica 60:118–138. https://doi.org/10.1057/s41269-024-00378-y.

Weisskircher, Manès. 2024b. Far-Right Parties and Divisions over Movement-Party Strategy: The AfD and the Anti-Corona Protests of Querdenken. In Contemporary Germany and the Fourth Wave of Far-Right Politics: From the Streets to Parliament, Hrsg. Manès Weisskircher, 159–173. London: Routledge.

Wurthmann, L. Constantin und Sarah Wagner. 2025. Much ado about nothing? Understanding Germany’s Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) potential voters. Journal of Elections, Public Opinion and Parties, 1–14. https://doi.org/10.1080/17457289.2025.2513293 .

[1] Die Kleinpartei dieBasis ging aus den Corona-Protesten hervor und konnte zwar Zugang zur staatlichen Parteienfinanzierung erlangen, sich darüber hinaus jedoch nicht etablieren.

[2] Der hybride Messengerdienst Telegram spielt eine zentrale Rolle im digitalen Ökosystem von etablierten Rechtsaußen-Akteuren und Querdenken & Co, siehe auch Schulze et al. (2022). Er erlaubt neben Privatnachrichten zwischen Einzelpersonen auch die öffentliche oder zugangsbeschränkte Kommunikation in Gruppen unter Beteiligung aller Mitglieder und in Kanälen, in denen sich eine kleine Zahl von Administrator:innen an ein größeres Publikum richtet. Damit eignet sich der Dienst hervorragend zur Organisation schwach institutionalisierter sozialer Bewegungen und politischer Netzwerke.