Im Rahmen zivilgesellschaftlicher Proteste gegen wahrgenommene Ungerechtigkeiten oder Fehlentscheidungen durch die Organe des Staates kommt es immer wieder zu Regel- und Gesetzesverstößen. Illegale Eingriffe in den Idealtypus eines ordnungsbehördlich geregelten Protests sind schon lange ein beliebtes Mittel von Aktivistinnen und Aktivisten, um sich Gehör zu verschaffen. Am präsentesten dürften Blockaden oder Besetzungen sein: Regelmäßig begehen Aktivistinnen und Aktivisten Land- oder Hausfriedensbruch, um eine als Unrecht wahrgenommene Entscheidung zu verhindern oder gesellschaftliche Missstände anzuprangern.

So berufen sich beispielsweise aktivistische Gruppen, die an den Protesten gegen die Rodung des Hambacher Forsts beteiligt sind, auf Gerechtigkeitsgrundsätze, bzw. speziell auf die Klimagerechtigkeit, um ihren Widerstand durch zivilen Ungehorsam zu rechtfertigen.[1] Das Verhältnis zu Gewalt ist dabei nicht immer ganz einfach zu klären, was unter anderem auch daran liegt, dass nicht immer klar ist, was überhaupt als Gewalt gilt.[2] Der an den Protesten beteiligte Aktionszusammenhang »Ende Gelände« bezeichnet das eigene Verhalten sogar selbst als zivilen Ungehorsam: »Ende Gelände ist Ziviler Ungehorsam, ein bewusster Regelübertritt.«[3] Auch im niedersächsischen Unterlüß berufen sich Kriegsgenerinnen und -gegner bei den Protesten gegen den Rüstungskonzern Rheinmetall auf ihr Gewissen und globale Gerechtigkeit, um ihre Protestformen zu rechtfertigen: »Angesichts der dramatischen Folgen von Rüstungsexporten in Kriegs- und Krisenregionen und der Dringlichkeit diese zu stoppen, werden wir auch mit Mitteln des Zivilen Ungehorsams agieren und den reibungslosen Ablauf der Rüstungsproduktion stören.«[4]

Der Themenkomplex des zivilen Ungehorsams scheint im Bewusstsein der Protestierenden einen größeren Raum einzunehmen, als in der öffentlichen Wahrnehmung und Berichterstattung, wo das Verhalten von Aktivistinnen und Aktivisten regelmäßig auf die Gegenüberstellung legaler und illegaler Aktionsformen verengt wird. Folglich scheint ein Blick in die theoretische Literatur lohnenswert, denn dort wird das Verhältnis von rechtsstaatlicher Legalität und Legitimität in Bezug auf außerparlamentarischen Aktivismus ausführlich diskutiert.

Bedingungsloser Gesetzesgehorsam – Josef Isensee und die demokratische Friedenspflicht

Die Kritik des Staatsrechtlers Josef Isensee am Ungehorsam von 1983 entfaltet sich an seiner Reaktion auf eine Rede, die Günter Grass im selben Jahr in der Frankfurter Paulskirche gehalten hatte.[5] Er nimmt die Berufung auf das verfassungsmäßig verbriefte Widerstandsrecht (Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz) durch Grass zum Ausgangspunkt und sagt, dass eben jenes Widerstandsrecht eine »konservierende Wirkung« habe und nicht dazu diene, »den politischen Fortschritt in Gang zu halten oder den Aufbruch in eine neue Ordnung zu erzwingen«.[6] Solange die staatlichen Institutionen intakt seien, habe »der Bürger kein Recht, Privatpolizei und Privatjustiz zu üben«,[7] denn die »Friedenspflicht der Bürger besteht gerade darin, sich dem staatlichen Verfahren zu unterwerfen und damit auch die Möglichkeit der Niederlage zu akzeptieren«[8].

Hier wird die legitimitätstheoretische Grundlage von Isensees Ausführungen deutlich: Legitimität entsteht durch institutionell geordnete Verfahren. Solange die rechtsstaatlichen Verfahren in Legislative, Exekutive und Judikative funktionierten, müssten deren Entscheidungen nicht nur als legal gelten, sondern auch als legitim akzeptiert werden. »Die überstimmte Minorität kann die Entscheidung kritisieren und richterliche Kontrolle erwirken; sie kann auf ihre Änderungen im verfassungsmäßigen Verfahren hinwirken. Eines aber darf sie nicht: ihr den Gehorsam verweigern und Widerstand ausüben.«[9]

Das Vertrauen Isensees in rechtsstaatliche Verfahrenslegitimität kennt anscheinend keine Grenzen, er postuliert gar, dass »das Abhilfesystem des Rechtsstaates mit seinen Vorkehrungen der Kontrolle des Rechtsschutzes und der Ersatzleistungen […] kaum Lücken« ließe.[10] Nur wird nicht klar, welche Rolle dieser Rechtsstaat eigentlich hat. Isensee gibt keine befriedigende Auskunft darüber, ob sich der demokratische Verfassungsstaat begründet auf sich selbst als legitimierendes Verfahren berufen kann, beziehungsweise womit dieses Verfahren selbst seine Legitimität begründen kann. Als Kriterium scheidet Gerechtigkeit nach seinen Ausführungen offenbar aus, zumindest impliziert er eine Überlegenheit der Mehrheitsregel, weil widerstreitende Gerechtigkeitsvorstellungen ohne Entscheidungsregel ergebnislos blieben.[11]

Dieses konzeptionelle Problem ergibt sich aber meiner Meinung nach auch daraus, dass es sich bei dem Text um eine Polemik handelt. Isensee karikiert den aktivistischen Ungehorsam geradezu, indem er jeder Form politischen Ungehorsams eingangs einen paranoiden Faschismuskomplex vorwirft und so den Blick auf das Phänomen versperrt.[12] Gleichzeitig schließt er seinen Text – in einem unnötigen rhetorischen Manöver – damit ab, dass er auf Hitler verweist, der ja ebenfalls ein Widerstandsrecht propagiert habe.[13] Derjenige, der den Widerständigen vorwirft, in allem fälschlicherweise den Faschismus zu entdecken, wähnt selbst den »Führer« hinter der nächsten Ecke stehen – ein logischer Kurzschluss des Staatsrechtlers, der recht sprunghaft scheint.

Das liberale Paradigma – Bedingter Gesetzesgehorsam und der hohe Legitimationsanspruch des demokratischen Rechtsstaates bei Rawls und Habermas

Zwischen Isensee und den liberalen Theoretikern, zu denen man in Bezug auf zivilen Ungehorsam auch Habermas zählen kann, da er sich Rawls in großen Teilen anschließt, verläuft eine klare Linie. Sowohl Rawls als auch Habermas bejahen, teils sogar sehr emphatisch, zumindest die Möglichkeit einer legitimen Überschreitung rechtlicher Grenzen. John Rawls steigt sehr voraussetzungsreich in die Thematik ein. Aus der Perspektive des Philosophen und normativen Denkers muss er die explizite Frage nach der Legitimation des Systems nicht diskutieren. Legitimität ist Gerechtigkeit: »Ganz offensichtlich macht es keine Schwierigkeiten, zu erklären, warum man gerechten Gesetzen, die unter einer gerechten Verfassung zustandegekommen sind, gehorchen soll. […] Die eigentliche Frage ist, unter welchen Umständen und in welchem Umfang man gebunden ist, ungerechten Regelungen zu gehorchen.«[14]

Ziviler Ungehorsam wird damit in vollends gerechten Gesellschaften nicht zum Problem und ebenfalls nicht in ungerechten Gesellschaften. Rawls’ Theorie des zivilen Ungehorsams gilt für »den Spezialfall einer fast gerechten Gesellschaft, die also größtenteils wohlgeordnet ist, in der aber doch einige ernsthafte Gerechtigkeitsverletzungen vorkommen«.[15] Und weiter: »Ein fast gerechter Zustand setzt nach meiner Auffassung eine demokratische Regierungsform voraus; damit bezieht sich die Theorie auf die Rolle und Angemessenheit des zivilen Ungehorsams gegenüber einer rechtmäßigen demokratischen Gewalt.«[16]

Fast alle Entscheidungen, die durch eine Gesetzgebungsmehrheit in fast gerechten Gesellschaften getroffen werden, sind nach Rawls’ Ansicht für alle Bürger verpflichtend. Anders als Isensee hält er aber eine Möglichkeit offen, die in einen Raum der politischen Partizipation außerhalb des gesetzlichen Rahmens verweist. Weil politische Verfahren keine Garantie dafür bieten könnten, dass ihre Ergebnisse gerecht sind, könnten sie auch nicht aus sich selbst heraus eine Legitimität erzeugen und bedingungslosen Gehorsam einfordern.[17] Weil es in einer fast gerechten Gesellschaft eine Gerechtigkeitsvorstellung geben müsse, die der politischen Ordnung zugrunde liege, könne diese auch durch Irrtümer und Fehler in den politischen Verfahren verletzt werden. Ausschließlich bei schwerwiegenden Verletzungen dieser Gerechtigkeitsvorstellung[18] hält Rawls den Einsatz von zivilem Ungehorsam unter Berufung auf eben jene Gerechtigkeitsvorstellung für gerechtfertigt.[19] Der zivile Ungehorsam »drückt Ungehorsam gegenüber dem Gesetz innerhalb der Grenzen der Gesetzestreue aus, wenn er sich auch an deren Rande bewegt.«[20]

Daraus folgt bei Rawls eine Art moralische Appellfunktion des zivilen Ungehorsams, mithilfe dessen eine Minderheit eine Mehrheit aufruft, »zu prüfen, ob sie ihre Handlungen so aufgefaßt wissen möchte, oder ob sie angesichts des gemeinsamen Gerechtigkeitssinnes die berechtigten Forderungen der Minderheit anerkennen möchte«.[21] Um diese Funktion zu erfüllen, ergibt sich für Rawls die »Definition des zivilen Ungehorsams als einer öffentlichen, gewaltlosen, gewissensbestimmten, aber politisch gesetzwidrigen Handlung, die gewöhnlich eine Änderung der Gesetze oder der Regierungspolitik herbeiführen soll.«[22] Der zivile Ungehorsam nimmt so eine Korrektivfunktion gegenüber legalen, aber ungerechten und damit illegitimen Entscheidungen ein. Das politische Gewissen aktiver Bürger, das sich im direkten Protest und nicht einer indirekten Form der Partizipation entlädt, trägt so dazu bei, die gemeinsame Gerechtigkeitsvorstellung, auf deren Grundlage die politische Ordnung Legitimität beanspruchen kann, zu verteidigen und zu aktualisieren.

Jürgen Habermas[23] schließt sich Rawls weitestgehend an, vor allem übernimmt er dessen Definition des zivilen Ungehorsams. Seine Ausführungen richten sich dabei primär gegen eine Politik und Öffentlichkeit, die den durch das Gewissen begründeten illegalen Protest aus der Zivilgesellschaft kriminalisieren und so den Demos als Souverän einhegen wollten.[24] Anders als Rawls – der im Grunde normative Legitimität und Gerechtigkeit synonym verwendet – diskutiert Habermas den legitimitätstheoretischen Aspekt des zivilen Ungehorsams explizit. Der zivile Ungehorsam als Widerstand erfolge »unter Berufung auf die gemeinsam anerkannten Legitimationsgrundlagen unserer demokratisch-rechtsstaatlichen Ordnung.«[25] Die Legitimationsgrundlage des Staates ist für ihn der Ausganspunkt: »Das Problem [des zivilen Ungehorsams; F.S.], um das es geht, kann nur entstehen, wenn wir davon ausgehen, dass der moderne Verfassungsstaat einer moralischen Rechtfertigung sowohl bedarf wie auch fähig ist. Ich gehe von dem ungewöhnlich hohen Legitimationsanspruch des Rechtsstaates aus: er mutet seinen Bürgern zu, die Rechtsordnung nicht aus Furcht vor Strafe, sondern aus freien Stücken anzuerkennen.«[26] Habermas Vorstellung von Legitimität ist ebenso wie Rawls’ eine explizite Absage an die Verfahrenslegitimität, wie Isensee sie vertritt: »Legitimation durch Verfahren […] gibt freilich keine Antwort darauf, warum das legitimierende Verfahren selbst […] legitim ist. Die Verfassung muss aus Prinzipien gerechtfertigt werden können, deren Gültigkeit nicht davon abhängig sein darf, ob das positive Recht mit ihnen übereinstimmt oder nicht.«[27]

Gesetzesgehorsam ist demnach ein Produkt »anerkennungswürdiger Prinzipien«, und diese Prinzipien geben darüber Auskunft, was legitim und was illegitim ist. Die Möglichkeit der Nicht-identität von Legalität und Legitimität zwinge eine auf Moral begründete Ordnung geradewegs dazu, ein nichtinstitutionelles Korrektiv bereitzuhalten, das diese Identität im Notfall wiederherstellen kann. Dieses Korrektiv tritt in Form eines »nichtinstitutionalisierbaren Mißtrauens [des Rechtsstaats; F.S.] gegen sich selbst« auf. Ohne eine »politische Kultur, die die Bürgerinnen und Bürger mit der Sensibilität, mit dem Maß an Urteilskraft und Risikobereitschaft ausstattet, welches in Übergangs- und Ausnahmesituationen nötig ist, um legale Verletzungen der Legitimität zu erkennen und um notfalls aus moralischer Einsicht ungesetzlich zu handeln«[28], verliere der Staat »die letzte Möglichkeit, Irrtümer im Prozess der Rechtsverwirklichung zu korrigieren oder Neuerungen in Gang zu setzen.«[29]

Genau wie Rawls betont Habermas, dass ziviler Ungehorsam keine revolutionäre Bestrebung sei, sondern eine stabilisierende Funktion habe,[30] indem er immer wieder aufs Neue die Identität von Legitimität und Legalität herstellen soll und damit einen Schutz vor der »moralischen Entwurzelung einer der Form nach intakten Rechtsordnung“[31] bieten könne.

Links des liberalen Paradigmas: Howard Zinns ziviler Ungehorsam als quasi-revolutionäres Instrument

Howard Zinn arbeitet sich in seinem Essay von 1968 an einer Publikation des ehemaligen Bundesrichters am Supreme Court Abe Fortas ab. Zinn macht früh deutlich, dass er zivilen Ungehorsam weiter gefasst sehen möchte als sein diskursiver Gegner Fortas, der im Anschluss an Martin Luther King und Mahatma Gandhi die Gewaltlosigkeit als zentral für den zivilen Ungehorsam erachtet.[32] Damit fasst er den Begriff auch weiter als die Vertreter des liberalen Paradigmas, Rawls und Habermas. Zwar spricht sich Zinn nicht für Gewalt aus, jedoch postuliert er, »dass bei der unvermeidlichen Spannung, die den Übergang von einer gewaltsamen zu einer gewaltlosen Welt begleitet, die Wahl der Mittel fast niemals rein sein kann und eine derartige Komplexität aufweisen wird, dass die einfache Unterscheidung zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit als Leitfaden nicht ausreicht.«[33]

Zinns Vorwurf an Fortas lautet, dass dieser die Pflicht zur Gewaltlosigkeit nicht ausreichend begründe.[34] Zwar kommt Zinn zum selben Schluss wie Rawls, nämlich, dass die Gewalt einen abschreckenden Charakter habe und für die Wirksamkeit des zivilen Ungehorsams als Appell an die Mehrheit nicht hilfreich sei,[35] er lehnt die Möglichkeit von Gewalt aber nicht grundsätzlich ab, weil »es töricht wäre, von Beginn an und für alle Zeiten und Situationen das ganze Spektrum möglicher Taktiken jenseits strikter Gewaltlosigkeit auszuschließen.«[36]

Anders als bei den zuvor besprochenen Theoretikern lässt sich in Zinns Text kaum ein Hinweis darauf finden, dass sein Verständnis der Nicht-Anerkennungswürdigkeit staatlichen Handelns auf eine ernsthafte Weise legitimitätstheoretisch unterfüttert ist. Er argumentiert auch auf einer moralischen Ebene, indem er behauptet, dass »Leben, Freiheit und Glück« die letzten Zwecke seien, denen sich das Gesetz zu beugen habe.[37] An anderer Stelle erklärt er, dass das Ziel zivilen Ungehorsams stets sei, »die Lücke zwischen Recht und Gerechtigkeit zu schließen« [38]. Damit ist zwar impliziert, dass sich der zivile Ungehorsam irgendwie auf staatliche Ungerechtigkeiten beziehen soll und ebenfalls eine Korrekturfunktion einnehmen könnte. Allerdings steht das in einem Widerspruch zu Zinns Konzept des politischen Raumes, in dem »[…] die Interessen des Staates und die unseren voneinander verschieden sind.«[39] Folgt man Zinns Logik einer Dichotomie von Staat und Menschen, dann gibt es kaum einen Grund anzunehmen, dass der Staat eine Legitimität für sich beanspruchen kann, die auf Gerechtigkeit oder »Leben, Freiheit und Glück« begründet ist, weil er nach »Macht, Einfluss und Reichtum als Selbstzweck«, das Individuum hingegen nach »Gesundheit, Frieden, kreativer Beschäftigung und Liebe« strebe.[40] Unabhängig davon, wie glaubwürdig dieses dichotome, anthropologisch unterfütterte Politikverständnis ist, ist eine solche Theorie, die dem Staat beinahe jede Fähigkeit zur normativen Legitimität abspricht, im Grunde keine Theorie des zivilen Ungehorsams, sondern eine Revolutionstheorie. Jedoch: »Wir ahnen aber zugleich, dass der klassische revolutionäre Krieg in unserem Land nicht realisierbar ist.«[41] Damit macht er deutlich, dass der zivile Ungehorsam, ganz anders als bei den liberalen Theoretikern, eben kein Instrument zur Erhaltung oder Verbesserung der Legitimität einer bestehenden politischen Ordnung sein soll, sondern ein Schritt zur Überwindung eines im Grunde illegitimen Staates. Das scheint insofern kohärent, als er genau wie Rawls die Gerechtigkeit zum Kriterium für Legitimität erhebt, aber anders als Rawls davon ausgeht, dass demokratische Rechtsstaaten eben nicht »fast gerecht« und damit fast legitim, sondern ungerecht und damit illegitim sind.[42]

Fazit

Bemerkenswert ist, dass entgegen der gängigen »law and order«-Argumente, die im Zusammenhang mit unkonventionellem Protest oft viel Platz in der öffentlichen Debatte einnehmen, aus demokratietheoretischer Sicht ein gewisser Konsens über die Notwendigkeit zivilen Ungehorsams zu bestehen scheint. Sobald eine staatliche Ordnung sich auf ein moralisches Prinzip, wie Gerechtigkeit, außerhalb ihrer legalen Verfasstheit beruft, scheint sich die Möglichkeit des zivilen Ungehorsams geradezu aufzudrängen.

Damit ist selbstverständlich noch nicht viel über die Legitimität tatsächlicher staatlicher Entscheidungen oder illegaler Proteste gesagt, außer, dass man diese nicht von vornherein und ohne eine tiefere Auseinandersetzung mit den Motiven und Aktionen der Aktivistinnen und Aktivisten als illegitim bezeichnen kann. Und: Angesichts der Diversität der Bewertungen zeigt sich auch, dass der zivile Ungehorsam zu den Grauzonen des Politischen gehört, sein politischer, moralischer und bis zu einem gewissen Grad auch verfassungsrechtlicher Status bis heute ungeklärt geblieben ist. Auch die Frage danach, welche konkreten Aktionsformen im Rahmen zivilen Ungehorsams denkbar sind bleibt ungeklärt: Zwischen Ablehnung jedes illegalen Protests bei Isensee und Howard Zinns quasi-revolutionärer Idee des zivilen Ungehorsams, die Gewalt nicht kategorisch ausschließt, klafft ein breiter Graben, in dem die Frage über die moralischen Mittel zivilgesellschaftlichen Protests ausgehandelt werden muss.

[1] O.V.: Besetzung, in: hambacherforst.org, URL: https://hambacherforst.org/besetzung/ [eingesehen am 13.10.2018].

[2] Siehe den Beitrag o.V.: Warum ich Gewaltfreiheit ablehne und die Klimabewegung vielfältige Taktiken braucht – Gedanken einer »Zucker im Tank«-Aktivistin,URL: https://hambacherforst.org/blog/2017/08/15/warum-ich-gewaltfreiheit-ablehne-und-die-klimabewegung-vielfaeltige-taktiken-braucht-gedanken-einer-zucker-im-tank-aktivistin/ [eingesehen am 13.10.2018].

[3] O.V.: Was ist eigentlich schon erlaubt?, in: ende-gelaende.org, URL: https://www.ende-gelaende.org/de/news/rechtshilfebroschuere/ [eingesehen am 13.10.2018].

[4] O.V.: Aktionen, in: rheinmetallentwaffnen.noblogs.org, URL: https://rheinmetallentwaffnen.noblogs.org/aktionen/ [eingesehen am 13.10.2018].

[5] Isensee, Josef: Ein Grundrecht auf Ungehorsam gegen das demokratische Gesetz? – Legitimation und Perversion des Widerstandsrechts (1983), in: Braune, Andreas (Hrsg.): Ziviler Ungehorsam. Texte von Thoreau bis Occupy, Stuttgart 2017, S. 232.

[6] Ebd., S. 235.

[7] Ebd., S. 241.

[8] Ebd., S. 243.

[9] Ebd., S. 241.

[10] Ebd., S. 243.

[11] Ebd., S. 244.

[12] Ebd., S. 232 f.

[13] Ebd., S. 247 f.

[14] Rawls, John: Eine Theorie der Gerechtigkeit (1971), in: Braune, Andreas (Hrsg.): Ziviler Ungehorsam. Texte von Thoreau bis Occupy, Stuttgart 2017, S. 101f.

[15] Ebd., S. 108.

[16] Ebd., S. 108.

[17] Ebd., S. 106 f.

[18] Rawls setzt die Gerechtigkeitsvorstellungen auf dem Grunde fast gerechter politischer Ordnungen hier mit den von ihm entwickelten Gerechtigkeitsgrundsätzen gleich.

[19] Ebd., S. 111.

[20] Ebd., S. 112.

[21] Ebd., S. 111.

[22] Ebd., S. 109.

[23] Habermas, Jürgen: Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat. Wider den autoritären Legalismus der Bundesrepublik, in: Braune, Andreas (Hrsg.): Ziviler Ungehorsam. Texte von Thoreau bis Occupy, Stuttgart 2017, S. 209–228.

[24] Ebd., S. 208.

[25] Ebd., S. 214.

[26] Ebd., S. 216.

[27] Ebd., S. 218.

[28] Ebd., S. 219 f.

[29] Ebd., S. 221.

[30] Ebd., S. 220.

[31] Ebd., S. 219.

[32] Zinn, Howard: Ungehorsam und Demokratie. Neun Irrtümer über Recht und Ordnung (1968), in: Braune, Andreas (Hrsg.): Ziviler Ungehorsam. Texte von Thoreau bis Occupy, Stuttgart 2017, S. 165 f.

[33] Ebd., S. 166.

[34] Ebd., S. 169.

[35] Ebd., S. 175.

[36] Ebd., S. 179.

[37] Ebd., S. 181.

[38] Ebd., S. 180.

[39] Ebd., S. 183.

[40] Ebd..

[41] Ebd., S. 184.

[42] Der Historiker Michael Kazin kommt zu der Einschätzung, dass Howard Zinns Geschichtsschreibung das Problem der Legitimität auf der Basis der Mensch-Staat-Dichotomie nicht überzeugend behandeln könne, siehe Kazin, Michael: Howard Zinn’s History Lessons, in: Dissent Magazin (Spring 2004), S. 81–85, URL: https://www.dissentmagazine.org/article/howard-zinns-history-lessons [eingesehen am 30.08.2018].