Ja, der Neoliberalismus ist am Ende. Ja, man darf Rechtspopulisten nicht das Feld überlassen. Ja, die Linke ist daran gescheitert, Forderungen zu verstehen, die sie nicht auf das Klassenbewusstsein zurückführen kann – und sie braucht ein neues Narrativ. Auch der Konflikt in der Demokratie muss wiederbelebt werden. Chantal Mouffe ist nicht die Erste, die das feststellt. Aber wohl die Erste, die unumwunden einen linken Populismus als Lösung jedes dieser Probleme propagiert.

Dabei hapert es schon an der Diagnose: Der Zusammenbruch der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers hat das Totenglöcklein des Neoliberalismus geläutet – so hätte es die Linke gern. Ähnlich sieht es Mouffe, die jedoch einen »populistischen Moment« (16) gekommen glaubt, in dem rechte wie linke Anti-Establishment-Bewegungen die »vorherrschende [neoliberale] Hegemonie« (21) infrage stellen. Aufgabe eines dezidiert linken Populismus müsse nicht nur sein, »die vom Rechtspopulismus propagierte fremdenfeindliche Politik zu bekämpfen« (17), sondern auch, das Gelegenheitsfenster zu nutzen, um dem Neoliberalismus den Garaus zu machen und der Demokratie zu ihrer eigentlichen Form zu verhelfen.

Dass das Buch rund zehn Jahre zu spät kommt und ein Verschnitt früherer Gedanken ist – geschenkt. Aber woher nimmt die Autorin ihren Optimismus in Bezug auf ihre »ganz konkrete Strategie« (93)? Die einschlägigen Bewegungen, die sie tragen könnten – Movimiento 15-M und Occupy etwa –, nahmen bspw. keineswegs die »Gestalt einer direkten Ablehnung des Finanzkapitalismus und des Neoliberalismus [an], sondern [kamen] als Anklage gegen die Eliten und das Establishment daher« (52). Und die Parteien, die Mouffe im Blick hat – Podemos, Syriza, Die Linke etwa –, haben wiederum die Wirtschaftskrise weder in eine dezidiert anti-neoliberale Regierungspolitik noch in eine neue hegemoniale Ordnung ummünzen können. Vielmehr zeigten sie sich paralysiert vom eigenen »Erfolgsschock« (Luke March/Daniel Keith<(/span>). Diese Lähmung erklärt, warum der Wind des Thatcherismus nach wie vor durch die Flure transnationaler Konzerne und Banken weht.

Wenn Mouffe den »populistischen Moment« (16 – im Singular) als Zeichen des Verfalls des Neoliberalismus liest, ist sie auf dem Holzweg. Die Linke mag ihren populistischen Moment vor rund einem Jahrzehnt gehabt (und verstreichen lassen) haben. Die Rechte hat ihren momentan und weidet den zugrunde liegenden Konflikt um Flucht und Immigration, um Identität und Kultur geschickt aus. Wäre der Rechtspopulismus tatsächlich ein Krisensymptom des Neoliberalismus, warum zog sich seine Erfolgswelle dann so lange hin? Die AfD z.B. errang erst eine knappe Dekade nach Ausbruch der Wirtschaftskrise Bundestagsmandate. Die Erklärung ist simpel: Höcke, Strache und Kaczyński sind keineswegs verkappte Kritiker des Neoliberalismus, sondern Rassisten – und einige ihrer Wähler sind es auch. Was für eine Ironie, dass Mouffe der Linken »Klassenessentialismus« (12) vorwirft, sie selbst aber die soziale Ungerechtigkeit als Wurzel des Rechtspopulismus geißelt!

Weniger amüsant als empörend ist die Tonlage, die das Buch gegenüber der breiten Masse an vom Neoliberalismus betroffenen Leuten anschlägt. Dass die Proteste in Madrid, Athen und Frankfurt zuvorderst die Politik ihrer Regierungen statt Finanzhaie und »Heuschrecken« ins Visier nahmen, erklärt Mouffe mit fehlgeleiteter Wut: Die Leute seien schon gegen den Neoliberalismus, wüssten es aber nicht besser und wendeten sich darum gegen die Politik. Dieses Bürgerverständnis ist anstößig. Wo es um den Rechtspopulismus geht, äußert Mouffe weitaus deutlicher, dass »man sich weigern sollte, den Wählern die Verantwortung dafür in die Schuhe zu schieben, wie ihre Forderungen artikuliert werden« (33). Stattdessen habe die Linke »ein alternatives Vokabular zur Verfügung zu stellen, um diese Forderungen auf egalitärere Ziele umzulenken« (ebd.).

Dieser paternalistische Habitus passt nicht so recht zum emanzipatorischen Anliegen Mouffes. Solange die Linke in derart bevormundender Weise von denen spricht, die sie überzeugen will, dürfte jede Vision von einer gerechteren, partizipativeren Gesellschaft gegen die Wand laufen.

Dann die Therapievorschläge: Zunächst erschließt sich nicht, warum die Politikwissenschaftlerin auf dem Terminus »linker Populismus« beharrt, denn er schmälert ja die Erfolgsaussichten ihrer politischen Intervention. Ihre Hoffnung auf die Rehabilitierung des »Linken« dürfte ein frommer Wunsch sein. Zugegebenermaßen beruht der Charme des Buches gerade auf dem scharfkantigen Titel, nicht so sehr auf der Botschaft, die nicht komplett neu ist. Am wenigsten mag das noch zutreffen auf die geforderte »Anerkennung der Rolle der affektiven Dimension für politische Identifikationsformen und der Bedeutung der Mobilisierung von gemeinsamen Affekten« (95). Übersetzt: Die Linke soll endlich aufhören, den Leuten mit rationalen Argumenten zu kommen, entscheidend sind deren subjektive Eindrücke und Empfindungen. Eine Führungsfigur könne sie nutzbar machen. Mit beidem hat Mouffe recht. Auch ihr Appell, sich wieder verstärkt um die »Arbeiterklasse« (71) zu kümmern, überzeugt: Die gewachsene Sensibilisierung der Linken für andere vulnerable Gruppen ging auf Kosten der Arbeiterklasse – Mouffe hält deren Forderungen mittlerweile gar für »missachtet« (ebd.), wiewohl dieser Einspruch nicht taufrisch ist. Die Verknüpfung ökologischer und gesellschaftlicher Fragen, das Ziel der Diskursverschiebung, die Unterteilung in »wir« und »die« sowie die »Rückbesinnung auf die Bedeutung des kollektiven Handelns« (78) im Sinne des Republikanismus aber – alles alte Hüte. Indes: Wie kann Mouffe da noch von Populismus als einer reinen »Strategie« (19) sprechen?

Der gravierendste Einwand gegen den linken Populismus ist demokratietheoretischer Natur. Mouffe verwahrt sich zwar in überzeugender Weise gegen die Kritik, sie leiste antipluralistischen Homogenisierungsbestrebungen Vorschub – schließlich konstituiere sich das Volk lediglich aus der gemeinsamen »Identifikation mit einer radikal demokratischen Vorstellung, was ›Bürgersein‹ heißt« (92). Ein solcher republikanischer Minimalkonsens lässt Raum für Pluralismus. Mouffes »gemeinsame Opposition gegen die ›Oligarchie‹« (93) aber kultiviert ein Schwarz-Weiß-Denken, wie es Extremisten pflegen. Problematisch daran ist weder der Angriff auf die Oligarchen (Zugleich: Wer soll das sein – Jeff Bezos? Donald Trump? Dirk Roßmann? Die FDP? Die SPD?) noch die darin zum Ausdruck kommende Konflikthaftigkeit von Politik. Wie aber will Mouffe verhindern, dass aus dem Agonismus zwischen Kontrahenten ein Antagonismus zwischen Feinden wird? Diese Gefahr ist groß, wenn der Konflikt die geplante hegemoniale Ordnung konstituieren soll und Mouffe vorhat, die Affekte der Menschen zu kitzeln. Und: Brauchen wir nicht mehr Komplexitätskompetenz statt Vereinfachung? Liegt die Lösung komplizierter werdender Problemlagen darin, sie in einen Dualismus zu überführen?

Zuletzt: Dass die Autorin – eher nebenbei – konzediert, der populistische Moment könne auch den »Weg für autoritäre Lösungen freimachen« (17) – es komme ganz darauf an, wer am Ende die politische Hegemonie erlangt –, schlägt dem Fass den Boden aus. Um der »Vertiefung der Demokratie« (46) willen nimmt sie die Gefahr eines Demokratieverfalls billigend in Kauf. Das ist ein hoher Preis.

Nicht nur presst Mouffes Band »den« Populismus in ein theoretisches Prokrustesbett, sondern sie fügt auch nur jene Mosaiksteine zu einer vagen Vision zusammen, die aus der linken Debatte der letzten Jahre hervorgegangen sind. Ärgerlich ist ihr bevormundender Tonfall gegenüber vielen Wählern, problematisch die von ihr propagierte Polarisierung. Statt die Kuh vom Eis zu ziehen, riskiert die Hasardeurin die Demokratie, um sie zu revitalisieren. Linker Populismus? Bloß nicht!