Einleitung

Im August 2021 gab der damalige Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit Detlef Scheele der Süddeutschen Zeitung ein Interview. Der Anlass und die inhaltliche Richtung des Gesprächs lagen – zumindest für das Blatt – auf der Hand: der durch die Corona-Krise ausgelöste Wirtschaftseinbruch. Doch Scheele war es ein Anliegen, das Gesagte in ein größeres Panorama einzuordnen: »Ich mache mir gar nicht so viele Sorgen um die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. […] Aber es wird durch die demographische Entwicklung in Deutschland zu wenig Arbeitskräfte geben. […] Die Demographie ist kritischer als die Transformation. Ich verstehe nicht, warum darüber niemand redet.«[1] Auch zum Jahresbeginn 2023 nahmen die Diskussionen über fehlende Fachkräfte und die Schieflage des Rentensystems erneut an Fahrt auf.[2] Nicht zu Unrecht. Denn mit dem Jahr 2023 beginnt eine historische Phase, in der die bisher stärksten Geburtenjahrgänge ins Rentenalter übergehen und in der jedes Jahr mehr Personen aus dem Erwerbsleben ausscheiden als neue eintreten.[3]

Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive stellt sich zunehmend die Frage, welche gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen eine alternde und in absehbarer Zeit auch schrumpfende Gesellschaft mit sich bringt, denn: Der demografische Wandel befeuert – sofern politische Interventionen ausbleiben – die ohnehin schon vorzufindenden strukturellen und sozioökonomischen Disparitäten zwischen ländlichen und städtischen sowie zwischen östlichen und westlichen Gebieten der Bundesrepublik.[4]

In der Rechtsextremismusforschung – insbesondere in Studien mit lokalem und regionalem Fokus – werden Abwanderungs- (vor allem jüngerer Menschen) und/oder Alterungsprozesse zunehmend als Gefahr für eine demokratische (Lokal-)Kultur und als begünstigende Faktoren für die Etablierung und Normalisierung von Rechtsextremismus herausgearbeitet.[5] Von dieser Dynamik profitiert auf politischer Ebene vor allem eine Partei: die sich zunehmend radikalisierende Alternative für Deutschland (AfD). So zeigen Wahlanalysen, dass die AfD zunehmend in Gebieten Erfolge verzeichnet, welche verstärkt mit Abwanderungs- und Alterungsprozessen konfrontiert sind.[6]

Doch wie verhält es sich in Niedersachsen? Lassen sich Zusammenhänge zwischen demografischen Faktoren und einer Etablierung und Normalisierung des parteipolitischen Rechtsradikalismus[7] in Niedersachsen auf der Ebene von Wahlergebnissen finden?

Methode und Analyse

Um sich der Überalterungs- und Abwanderungsthese als erklärende Variablen des Wahlerfolgs der AfD empirisch zu nähern, wird sich auf die vom Niedersächsischen Landesamt für Statistik zur Verfügung gestellten Datensätze zur Bevölkerungsentwicklung bezogen. In Gebieten mit a) einer älteren Bevölkerung sollten der Überalterungsthese zufolge überdurchschnittlich hohe AfD-Erfolge zu verzeichnen sein. Die gleiche Annahme gilt b) für Gebiete, die von Abwanderung junger Menschen betroffen sind. Um der vorliegenden Analyse einen vergleichenden und weiterführenden Charakter zu verleihen, orientiert sie sich methodisch an der Arbeit von Finkbeiner/Schröder zum Wählerpotenzial der AfD in Niedersachsen, da diese neben weiteren Erklärungsansätzen explizit den hier formulierten Thesen nachgeht.[8] Da sich Finkbeiner/Schröder auf die AfD-Wahlergebnisse (Zweitstimmen) der drei Wahlen zwischen 2017 und 2019 beziehen[9], stellt sich grundsätzlich die Frage, ob sich durch die Einbeziehung der Bundestagswahl 2021 und der Landtagswahl 2022 – und der sich möglicherweise veränderten Alters- und Abwanderungsdynamik – Veränderungen feststellen lassen.

Ferner wird die Überalterungsthese durch das Heranziehen des Jugendquotienten, dem Verhältnis der jungen Bevölkerung zur Bevölkerung im Erwerbsalter, ergänzt. Zudem wird eine längere Zeitspanne betrachtet, um die Abwanderung von jüngeren Bevölkerungsgruppen zu untersuchen. Der Beitrag setzt sich also zum Ziel, die zentralen Annahmen und Befunde von Finkbeiner/Schröder durch eine empirische Erweiterung zu aktualisieren und zu überprüfen.

Überalterungsthese

Operationalisiert werden »alte« kreisfreie Städte und Landkreise (Gebietsgliederungen), die das Maß der statistischen Standardabweichung (1,65 Jahre) zum Altersdurchschnitt aller Gebietsgliederungen von 45,1 Jahren (arithmetisches Mittel) erreichen oder überschreiten. Als »alt« gelten demnach zehn Gebietsgliederungen, die ein Durchschnittsalter von mindestens 46,7 aufweisen. Tabelle 1 zeigt die AfD-Wahlergebnisse in diesen Gebietsgliederungen und hebt jene hervor (gefettet), die die Landesdurchschnitte bei den einzelnen Wahlen überschreiten. Die blau hervorgehobenen Gebietsgliederungen kennzeichnen jene kreisfreien Städte und Landkreise, in denen die AfD in allen fünf Wahlen ein überdurchschnittliches Ergebnis erzielte; die nur gefetteten zeigen jene Gebiete, bei denen die AfD bei vier Wahlen ein überdurchschnittliches Ergebnis erzielte.[10] Dieselbe Lesart gilt auch für die folgenden Tabellen.

Insgesamt weisen knapp dreiviertel (72 %) aller (50) dargestellten Wahlergebnisse der »ältesten« zehn Gebietsgliederungen in Niedersachsen einen überdurchschnittlichen Stimmenanteil für die AfD auf. Überdurchschnittliche Wahlergebnisse in allen zur Analyse herangezogenen Wahlen erzielte die AfD in fünf von zehn Gebietsgliederungen. Grundsätzlich kann also von einem Trend gesprochen werden, der Überalterung als strukturelle Begünstigung für eine AfD-Wahl bestätigt.

Auffällig ist jedoch, dass die AfD in der »ältesten« Region Niedersachsens, Lüchow-Dannenberg, stets Ergebnisse unter dem Landesdurchschnitt erzielte. Dass allein das (Durchschnitts-)Alter als Erklärungsvariable nicht ausreicht, wird zudem deutlich, wenn man mit umgekehrten Vorzeichen misst: also die höchsten elektoralen Gewinne der AfD als Ausgangspunkt nimmt und den jeweiligen Altersdurchschnitt der Gebietsgliederungen berücksichtigt. Zählten für die BTW 2017 noch drei »alte« Gebiete (Goslar, Hameln-Pyrmont, Schaumburg) zu den zehn Gebieten mit den höchsten AfD-Wahlergebnissen, trifft dies nach der LTW 2022 nur noch auf Goslar zu.[11] Die Gebiete, in denen die AfD ihre höchsten Erfolge erzielen konnte, Salzgitter und Gifhorn-Nord/Wolfsburg, liegen mit einem Durchschnittsalter von 44,2 Jahren sogar stark unter dem Landesdurchschnittsalter.[12]

Gebietsgliederung: Kreisfr. Stadt, Landkreis Ø Alter BTW 2017: AfD Ø=9,1 LTW 2017: AfD Ø=6,2 EW 2019: AfD Ø=7,9 BTW 2021: AfD Ø=7,4 LTW 2022: AfD Ø=11,0
Lüchow-Dannenberg 48.6 7,8 5,4 7,5 7,0 10,9
Goslar 48.4 11,1 7,8 10,3 8,3 14,4
Holzminden 47.5 9,6 6,0 8,3 9,0 12,8
Friesland 47.4 8,2 5,9 7,7 9,1 11,8
Northeim 47.4 9,5 6,3 8,1 8,0 12,0
Uelzen 47.4 9,4 6,7 8,8 8,6 14,0
Cuxhaven 46.9 8,9 5,9 8,1 7,8 9,6
Schaumburg 46.8 10,3 6,9 9,0 8,7 11,5
Hameln-Pyrmont 46.7 10,5 7,2 9,8 8,8 13,6
Wittmund 46.7 8,2 5,6 8,7 8,5 13,5

Tabelle 1: Gebietsgliederungen mit dem höchsten Altersdurchschnitt in Niedersachsen (eigene Darstellung nach Angaben von Finkbeiner/Schröder (2020), dem Niedersächsischen Landesamt für Statistik (Werttabelle T0901011) und dem votemanager.[13])
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Doch vielleicht ist nicht nur das Durchschnittsalter entscheidend, sondern unter anderem auch der Anteil und die Entwicklung der jüngeren Alterskohorte an der Gesamtbevölkerung? Dass die Zustimmung zur AfD in Gebieten ausgeprägter ist, in denen »viele ältere und wenig jüngere Menschen leben«[14], konstatieren zumindest Christian Franz, Marcel Fratscher und Alexander Kritiko in ihrer Analyse zur Bundestagswahl 2017.

Tabelle 2 zeigt die fünf niedersächsischen Gebietsgliederungen, in denen der Jugendquotient jeweils am niedrigsten und am höchsten ist. Die nach dem Mittelwert folgenden Gebietsgliederungen kennzeichnen absteigend die Regionen mit dem höchsten Jugendquotienten. Ausgangsposition für die Anordnung bildet der niedrigste Jugendquotient von 2021. Um mögliche Bevölkerungsentwicklungen bei der Analyse zu berücksichtigen, wurde zusätzlich der Jugendquotient von 2017 hinzugezogen.[15]

Gebietsgliederung: Kreisfr. Stadt, Landkreis Jq. 2021 Jq. 2017 BTW 2017: AfD Ø=9,1 LTW 2017: AfD Ø=6,2 EW 2019: AfD Ø=7,9 BTW 2021: AfD Ø=7,4 LTW 2022: AfD Ø=11,0
1 Braunschweig 26.7 26.4 8,4 6,0 6,8 5,9 8,0
2 Goslar 27.0 27.6 11,1 7,8 10,3 8,3 14,4
3 Osnabrück 27.0 27.2 7,0 4,3 5,6 6,2 11,5
4 Oldenburg 27.7 28.1 6,7 6,1 7,8 4,3 9,7
5 Wilhelmshaven 29.3 28.6 9,1 8,3 9,3 9,2 14,2
Mittelwert 32,2 32,0
44 Gifhorn 34.9 33.6* 11,4 7,3 9,8 9,7 15,7
45 Delmenhorst 34.9 33.3* 13,1 10,5 11,9 10,2 14,9
46 Vechta 36.4 36.6 7,0 4,2 6,1 5,8 9,0
47 Salzgitter 36.8 34.4 16,4 13,7 15,0 9,9 18,4
48 Cloppenburg 37.3 38.3 8,1 6,1 7,5 7,8 8,0

Tabelle 2: Niedrigster und höchster Jugendquotient (Jq.) (unter 20-Jährige je 100 Personen von 20 bis unter 65 Jahren) nach Gebietsgliederungen (eigene Darstellung nach Angaben des Niedersächsischen Landesamtes für Statistik (Wertetabelle T0901047) und dem votemanager)
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Die These, dass in Gebieten, in denen im Verhältnis zur im erwerbsfähigen Alter stehenden (20–65 Jahre) Bevölkerung die wenigsten unter 20-jährigen Menschen leben, überproportional viel AfD gewählt wird, lässt sich in Niedersachsen nicht bestätigen. Lediglich in zwei der fünf Gebietsgliederungen mit dem niedrigsten Jungendquotienten (Goslar und Wilhelmshaven) wurde die AfD in allen betrachteten Wahlen überdurchschnittlich gewählt. Sofern sich von einem Trend sprechen lässt, zeigt er sich vielmehr in der gegenteiligen Entwicklung: So sind drei von den fünf Gebieten mit dem anteilig höchsten Jugendquotienten auch jene Gebiete, in denen die AfD nicht nur in allen betrachteten Wahlen überdurchschnittlich gewählt wurde, sondern auch insgesamt zählen Delmenhorst, Salzgitter und mittlerweile auch Gifhorn zu den elektoralen Hochburgen der AfD.[16] Durch die demografische Brille betrachtet scheint ein überdurchschnittlich hoher AfD-Wahlerfolg in Niedersachsen also in der Tendenz nicht mit einem niedrigen und abnehmenden Anteil der unter 20-Jährigen zusammenzuhängen. Vielmehr lässt sich ein überdurchschnittlich hoher AfD-Wahlerfolg in Gebietsgliederungen mit einem hohen und wachsenden Anteil jüngerer Alterskohorten beobachten.

Abwanderungsthese

Um sich der Abwanderungsthese zu nähern, wird sich auf das Wanderungssaldo, also die Differenz zwischen Fort- und Zuzügen der Gruppe der 18- bis unter 25-Jährigen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in den einzelnen Gebietsgliederungen, bezogen. Die Ergebnisse von Finkbeiner/Schröder legen nahe, dass die Abwanderungsthese in Niedersachsen keine Gültigkeit besitzt – von den fünf am stärksten von Abwanderung betroffenen Gebietsgliederungen wies nur der Landkreis Osterholz leicht überdurchschnittliche AfD-Werte auf.[17] Bei einer Sichtung der Daten fällt jedoch auf, dass sich das jährliche Wanderungssaldo teils erheblich unterscheiden kann.[18] Finkbeiner/Schröder konzentrieren sich jedoch (nur) auf ein Erhebungsjahr. Um den jährlichen Schwankungen des Wanderungssaldos methodisch gerecht zu werden, wurde nun der Zeitraum 2007 bis 2021 betrachtet und das durchschnittliche Wanderungssaldo (arithmetisches Mittel) der Gebietsgliederungen berechnet. Tabelle 3 führt die neun Gebietsgliederungen auf, die von 2007 bis 2021 prozentual am stärksten von Abwanderungen betroffen waren und einen Wert von mindestens -2 % aufweisen.

Gebietsgliederung: Kreisfr. Stadt, Landkreis Abwanderung in % zwischen 2007–2021 BTW 2017: AfD Ø=9,1 LTW 2017: AfD Ø=6,2 EW 2019: AfD Ø=7,9 BTW 2021: AfD Ø=7,4 LTW 2022: AfD Ø=11,0
Lüchow-Dannenberg -3,43 7,8 5,4 7,5 7,0 10,9
Gifhorn -3,07 11,4 7,3 9,8 9,7 15,7
Friesland -2,98 8,2 5,9 7,7 9,1 11,8
Osterholz -2,74 9,6 6,6 8,1 7,5 9,5
Wittmund -2,40 8,2 5,6 8,7 8,5 13,5
Cuxhaven -2,39 8,9 5,9 8,1 7,8 9,6
Wesermarsch -2,22 8,3 5,3 7,9 7,8 11,6
Northeim -2,05 9,5 6,3 8,1 8,0 12,0
Peine -2,01 7,8 6,3 9,3 9,0 12,1

Tabelle 3: Gebietsgliederungen mit der anteilsmäßig höchsten Abwanderung von Menschen in der Altersgruppe der 18- bis unter 25-Jährigen in Niedersachsen (2007–2021; Eigene Darstellung nach Angaben des Niedersächsischen Landesamtes für Statistik (Wertetabelle T0901221, A100011G, K1200053 und K1200050) und dem votemanager)
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Eine klare Aussage darüber zu treffen, ob von Abwanderung betroffene Regionen in Niedersachsen tatsächlich eine erhöhte Affinität zur AfD-Wahl aufweisen, lässt die recht diffuse Datengrundlage nicht zu – tendenziell findet die Abwanderungsthese jedoch keine empirische Entsprechung. Lediglich in zwei von neun Gebietsgliederungen wurde die AfD in allen betrachteten Wahlen überdurchschnittlich gewählt.

Insgesamt übersteigen zwar mehr als die Hälfte der Wahlergebnisse den jeweiligen AfD-Landesdurchschnitt, die Differenzen liegen jedoch oftmals nur bei wenigen Zehntelprozentpunkten, sodass auf dieser Grundlage mitnichten auf strukturelle Regelmäßigkeiten geschlossen werden kann. Die von Finkbeiner/Schröder konstatierte Einschätzung einer Absage an die Abwanderungsthese in Niedersachsen bestätigt sich also empirisch nuancierter bei der Berücksichtigung eines längeren Betrachtungszeitraumes. Der Blick auf die Entwicklung der letzten 15 Jahre zeigt gleichwohl, dass u.a. der Landkreis Gifhorn, als elektorale Hochburg der AfD, von vermehrter Abwanderung betroffen ist.

Fazit und Ausblick

Die demografische Konstitution und Entwicklung einer lokalen Gemeinschaft stellt eines unter vielen Strukturmerkmalen dar, das die Etablierung und Normalisierung von Rechtsradikalismen begünstigenden kann.[19] Unter dieser Maxime kann festgehalten werden, dass bei empirischen Analysen wie dieser eine getrennte Bearbeitung beider Aspekte aus methodischen Gründen ratsam erscheint. Es hat sich bestätigt, dass die AfD in den »ältesten« Gebieten Niedersachsens überdurchschnittlich oft gewählt wird. Der Wahlerfolg kann jedoch – das konnte durch die Heranziehung des Jugendquotienten gezeigt werden – nicht etwa durch einen niedrigen Anteil jüngerer Menschen (unter 20 Jahre) erklärt werden. Bekräftigt wird dies durch den Befund, dass in jenen Regionen Niedersachsens, welche mit den höchsten Abwanderungsraten junger Menschen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren konfrontiert sind, die AfD keine überdurchschnittlichen Wahlergebnisse erzielten konnte. Gleicher Befund gilt für Gebiete, die gleichzeitig einen hohen Altersdurchschnitt aufweisen, als auch von vermehrter Abwanderung betroffen sind (Lüchow-Dannenberg, Friesland, Northeim, Cuxhaven und Wittmund).

Warum diese oftmals als eine sich wechselseitig verstärkende beschriebene Dynamik des organisierten rechtsradikalen Potenzials hier ausbleibt, kann viele Gründe haben.[20] Zum einen kann hinterfragt werden, ob sich bei einer Abwanderungsrate von zwei bis drei Prozentpunkten im jährlichen Durchschnitt überhaupt von einem sich im lokalen Kontext deutlich auswirkenden Abwanderungseffekt sprechen lässt. Ein weiterer Aspekt könnte der (noch) ausbleibende Bevölkerungsrückgang sein. So blieb etwa in Lüchow-Dannenberg – als die Region in Niedersachsen, die sowohl am »ältesten« als auch im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung am stärksten von Abwanderung betroffen ist – ein rasanter Rückgang der Bevölkerungszahl über die Jahre aus.[21] Eine Abwärtsspirale aus Bevölkerungsrückgang, schrumpfender Infrastruktur und geringer wirtschaftlicher Dynamik scheint sich, trotz der politisch sichtbar werdenden »Tendenzen des Auseinanderdriftens ländlicher und städtischer Wahlkreise«[22], also in Niedersachsen (noch) nicht im selben Maß abzuzeichnen, wie es in anderen Regionen Deutschlands der Fall ist. Zuletzt sei noch betont, dass nicht so sehr die Alterung und/oder Abwanderung an sich als die entscheidenden Variablen hinsichtlich Ursachen und begünstigenden Faktoren für mögliche Geländegewinne des Rechtsradikalismus im lokalen Kontext ausgemacht werden. Entscheidender ist vielmehr, welche konkrete lokale politische Kultur vorzufinden ist, wie sie auf Strukturveränderungen reagiert und wie mit dem Phänomen des Rechtsradikalismus vor Ort umgegangen wird.[23] Es sollte jedoch auch klar sein, dass die demografische Entwicklung die lokale Kultur in zunehmendem Maße prägen und beeinflussen wird.

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Literatur::
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Finkbeiner, Florian/Trittel, Katharina/Geiges, Lars: Rechtsradikalismus in Niedersachsen. Akteure, Entwicklungen und lokaler Umgang, Bielefeld 2019.

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Oberender, Peter: Wachstumsmarkt ländlicher Raum – die Diversifikation ländlicher Räume als Chance der Gesundheitspolitik, in: Dünkel, Frieder/Herbst, Michael/Schlegel, Thomas (Hrsg.): Think Rural! Dynamiken des Wandels in peripheren ländlichen Räumen und ihre Implikationen für die Daseinsvorsorge, Wiesbaden 2014, S. 17–20.

Quent, Matthias/Schulz, Peter: Vergleichende Betrachtung der Fallstudien, in: Quent, Matthias/Schulz, Peter: Rechtsextremismus in lokalen Kontexten: vier vergleichende Fallstudien, Wiesbaden 2015.

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Quent, Matthias: Der »Volkstod« und die Übriggebliebenen. Rechtsradikale Angebote und Machtgewinne in abdriftenden und dörflichen Regionen, in: Berliner Debatte Initial, Jg. 25 (2014), H. 1, S. 40–53.

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Stephanowitz, Johann: Statistik: Zahl der Rentner wird deutlich zunehmen, zeit.de, 30.09.2021, URL: https://www.zeit.de/gesellschaft/2021-09/statistisches-bundesamt-rentner-zahl-deutschland-2035-anstieg-bevoelkerung [eingesehen am 03.03.2023].

[1]Hagelüken, Alexander: »Wir brauchen 400 000 Zuwanderer pro Jahr«, in: SZ.de, 24.08.2021, URL: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zuwanderung-arbeitsmarkt-coronakrise-afd-1.5390143?reduced=true [eingesehen am 02.03.20023].

[2]So wurde u.a. in den ersten beiden Gesprächsrunden der öffentlichkeitswirksamen Sendung Markus Lanz im Jahr 2023 über die Folgen des demografischen Wandels diskutiert. Vgl. Meyns, Michael: Fachkräftemangel bei Markus Lanz: »Die Rente mit 63 ist ein Unding!«, in: fr.de, 12.01.2023, URL: https://www.fr.de/kultur/tv-kino/markus-lanz-zdf-fachkraeftemangel-die-rente-mit-63-ist-ein-unding-tv-talkkritik-92023025.html [eingesehen am 02.03.2023].

[3]Vgl. Stephanowitz, Johann: Statistik: Zahl der Rentner wird deutlich zunehmen, in: zeit.de, 30. 09.2021, URL: https://www.zeit.de/gesellschaft/2021-09/statistisches-bundesamt-rentner-zahl-deutschland-2035-anstieg-bevoelkerung [eingesehen am 03.03.2023]. Vgl. auch Schulz, Stefan: Die Altenrepublik. Wie der demographische Wandel unsere Zukunft gefährdet, Hamburg 2022, S. 13f.

[4]Vgl. Feld, Lars P. et al.: Die Herausforderungen jetzt annehmen! Demografischer Wandel, Klimaschutz, Digitalisierung, Berlin 2021, S. 27. Vgl. auch Oberender, Peter: Wachstumsmarkt ländlicher Raum – die Diversifikation ländlicher Räume als Chance der Gesundheitspolitik, in: Dünkel, Frieder/Herbst, Michael/Schlegel, Thomas (Hrsg.): Think Rural! Dynamiken des Wandels in peripheren ländlichen Räumen und ihre Implikationen für die Daseinsvorsorge, Wiesbaden 2014, S. 17–20, hier S. 17.

[5]Siehe insbesondere: Quent, Matthias/Schulz, Peter: Rechtsextremismus in lokalen Kontexten: vier vergleichende Fallstudien. Wiesbaden 2015; Berg, Lynn/Üblacker, Jan (Hrsg.): Rechtes Denken, rechte Räume? Demokratiefeindliche Entwicklungen und ihre räumlichen Kontexte, Bielefeld 2020 und Mullis, Daniel/Miggelbrink, Judith (Hrsg.): Lokal extrem Rechts. Analysen alltäglicher Vergesellschaftungen, Bielefeld 2022.

[6]Vgl. Richter, Christoph/Bösch, Lukas: Demokratieferne Räume. Wahlkreisanalyse zur Bundestagswahl (2017), Studie im Auftrag der Amadeu Antonio Stiftung 2017, S. 31ff; Vgl. auch MIDEM/Vorländer, Hans (Hrsg.): Emigration in Europa. Jahresbericht, Mercator Forum Migration und Demokratie, Dresden 2020, S. 18–30.

[7]In Anlehnung an Finkbeiner/Trittel/Geiges wird der Terminus des Rechtsradikalismus verwendet. Die AfD kann insofern als rechtsradikale Partei eingeordnet werden, als dass sie »autoritäre Politik- und Gesellschaftsvorstellungen vertritt«, vgl. Finkbeiner, Florian/Trittel, Katharina/Geiges, Lars: Rechtsradikalismus in Niedersachsen. Akteure, Entwicklungen und lokaler Umgang, Bielefeld 2019, S. 307.

[8]Finkbeiner, Florian/Schröder, Niklas: Die AfD und ihre Wähler in Niedersachsen. Eine Fallanalyse zum Sozialprofil der Wählerschaft und ihrer politischen Einstellungen am Beispiel von Niedersachsen, Göttingen 2020, S. 47–51.

[9]Also auf die Bundestagswahl 2017, die Landtagswahl 2017 und die Europawahl 2019.

[10]Die Europawahl 2014 findet aufgrund des ideologisch-programmatischen Wandels der Partei keine Berücksichtigung. Vgl. u. a. Hensel, Alexander: Die AfD zwischen Gärung und Klärung, in: Demokratie-Dialog, H. 11/2022, S. 72–81, hier S. 73.

[11]Vgl. Finkbeiner/Schröder, S. 48.

[12]Vgl. Landeswahlleiterin Niedersachsen: Regionale Besonderheiten bei der Landtagswahl 2022 in Niedersachsen, Zweitstimmenanteile der Partei AfD in einzelnen Wahlkreisen, URL: https://wahlen.statistik.niedersachsen.de/LW2022/reports/Sonstiges/024.pdf [eingesehen am 04.02.2023].

[13]Votemanager abrufbar unter URL: https://www.vote-it.de/. Vgl. Landesamt für Statistik Niedersachsen: LSN-Online Datenbank. Tabelle T0901011, URL: https://www1.nls.niedersachsen.de/statistik/html/default.asp [eingesehen am 01.03.2023].

[14]Franz, Christian/Fratzscher, Marcel/ Kritikos, Alexander S.: AfD in dünn besiedelten Räumen mit Überalterungsproblemen stärker, DIW Wochenbericht, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin 2018, S. 135–144, hier S. 144

[15]Gebietsgliederungen, die im Jahr 2017 noch nicht zu den fünf höchstanteiligen gehörten, wurden mit einem * gekennzeichnet.

[16]Vgl. Finkbeiner/Schröder, S. 44.

[17]Vgl. Finkbeiner/Schröder, S. 50.

[18]So verzeichnete etwa der Landkreis Goslar im Jahr 2020 die höchste Abwanderungsrate innerhalb Niedersachsens, während er bereits ein Jahr später auf den oberen Plätzen eines positiven Wanderungssaldos von Menschen der Alterskohorte 18 bis unter 25 Jahre rangiert. Vgl. Landesamt für Statistik Niedersachsen: LSN-Online Datenbank, Tabelle A100011G und K1200053, URL: https://www1.nls.niedersachsen.de/statistik/html/default.asp [eingesehen am 01.03.2023].

[19]Aussagen über die Wahlerfolge einer Partei ausschließlich anhand soziodemografischer Variablen – und unter dem spezifischen Gesichtspunkt von Überalterungs- und/oder Abwanderungsprozessen – können natürlich nur einen erklärenden Aspekt unter vielen weiteren anbieten.

[20]Vgl. u.a. Quent, Matthias: Der »Volkstod« und die Übriggebliebenen. Rechtsradikale Angebote und Machtgewinne in abdriftenden und dörflichen Regionen, in: Berliner Debatte Initial, Jg. 25 (2014), H. 1, S. 40–53, hier S. 42ff.

[21]Von 2007 bis 2021 schrumpfte die Einwohnerzahl um 1993 Personen. Dies entspricht einem Bevölkerungsrückgang von 4 Prozent. Vgl. Landesamt für Statistik Niedersachsen: LSN-Online Datenbank, Tabelle A100011G, URL: https://www1.nls.niedersachsen.de/statistik/default.asp [eingesehen am 08.03.2023].

[22]Vgl. Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung & Wüstenrot Stiftung: Teilhabeatlas Deutschland, Ungleichwertige Lebensverhältnisse und wie die Menschen sie wahrnehmen, Berlin 2019, S. 27f. Außerdem: Riethmüller, Felicia: Tektonische Verschiebungen? Wahlkreispositionen zur Niedersächsischen Landtagswahl 2022, URL: https://www.ifdem.de/beitraege/tektonische-verschiebungen/ [eingesehen am 08.03.2023].

[23]Vgl. u.a. Quent, Matthias et al.: Vergleichende Betrachtung der Fallstudien, in: Quent, Matthias/Schulz, Peter: Rechtsextremismus in lokalen Kontexten: vier vergleichende Fallstudien, Wiesbaden 2015, S. 267–293, hier S. 276ff.