War’s das? Das Verfahren ist beendet. Das Bundesverfassungsgericht bescheinigt der NPD Verfassungswidrigkeit, verbietet sie aber nicht. Die Richter weisen stattdessen darauf hin, dass man der Partei jedoch den staatlichen Geldhahn abdrehen könne, was dann auch knapp sechs Monate später in die Wege geleitet wird. Keine Parteienförderung mehr für verfassungsfeindliche Gruppen, so möchte es der Gesetzgeber. Ist die NPD damit am Ende?

Das Urteil ist gesprochen, doch bleiben Fragen offen. Wohin steuern die Nationaldemokraten, als nunmehr auch als solche deklarierte verfassungswidrige politische Kraft? Verschwinden sie in der Bedeutungslosigkeit? Verflüssigt sich die Partei (weiter), geht sie in alternativen Strukturen auf, ändert sie ihre Strategie und Mobilisierungstaktik? Wie bewertet und deutet sie das Ende des Verbotsverfahrens und wie stellt sie sich im Wahljahr 2017 auf?

Unternehmen wir den Versuch einer ersten, zugegebenermaßen sehr frühen und daher vorläufigen Verortung der Partei nach dem Karlsruher Urteil, gewissermaßen als Annäherung an eine sich wandelnde politische Kraft.

Die Urteilsverkündung im Januar 2017 war in der Tat ein Paukenschlag. Das Bundesverfassungsgericht hatte den Antrag der Länder im Bundesrat einstimmig abgewiesen und dafür eine durchaus wegweisende Begründung vorgelegt. Zwar verfolge die Partei verfassungsfeindliche Ziele, missachte die freiheitlich demokratische Grundordnung auch mit Blick auf das Demokratieprinzip, weise »eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus auf« und sei insofern als verfassungsfeindlich einzustufen. Jedoch, so urteilen die Bundesrichter, stelle die NPD momentan und auch auf absehbare Zeit keine reale Gefahr für die Verfassung dar. Sie habe derzeit »nur wenig Wirkkraft«. Die NPD sei schlichtweg zu bedeutungslos, um die Demokratie tatsächlich zu gefährden. Im Urteil heißt es: »Ein Erreichen der verfassungswidrigen Ziele der NPD mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln erscheint ausgeschlossen.«[1] Darin liegt der Kern des Urteils: Das Gericht bewertet die tatsächliche Gefahr, die von den Nationaldemokraten aktuell und zukünftig ausgehe und ausgehen werde, und kommt zu dem Schluss, dass diese verschwindend gering sei.[2] Oder andersherum: Das Gericht schätzt die demokratische Verfasstheit der Bundesrepublik als robust genug ein, um mit verfassungsfeindlichen Parteien vom Schlage der NPD umgehen zu können.

Damit endete auch das zweite NPD-Verbotsverfahren erneut ohne Parteienverbot. Die politischen Beobachter zeigten sich weitestgehend einverstanden mit dem Urteil. Ein Verbot »wäre nicht nur eine rechtstaatliche Überreaktion gewesen, sondern auch zu viel der Ehre für diese Kleinpartei«[3], kommentierte beispielsweise die taz. Befürworter eines Parteienverbots hatten vor dem Urteil unter anderem damit argumentiert, dass man NPD-Abgeordnete und -Mitarbeiter nicht mit Steuergeldern unterstützen sollte.[4] Hier setzten die Karlsruher Richter auch entsprechende Signale, welche die Bundestagsfraktionen aufnahmen. Rasch drängten sie auf einen Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung, die dafür nötige Grundgesetzänderung wurde im Juni 2017 vom Bundestag beschlossen. Parteien, die zielgerichtet die freiheitlich demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland bekämpften und damit der Beseitigung der Ordnung Vorschub leisten wollten, von der sie profitierten, sollten generell nicht länger Staatshilfen erhalten.[5]

Ohne vorgreifen zu wollen, ist davon auszugehen, dass diese Maßnahme, an deren Beginn Karlsruhe stand, überaus bedeutsam auf die Parteientwicklung durchschlagen könnte, sofern die Verfassungsnovelle vor Gericht dann auch Bestand haben wird.[6] Denn die finanzielle Lage der NPD ist ohnehin schon – gewissermaßen traditionell – prekär. Eingedenk der Tatsache, dass fast jeder zweite Euro, den die NPD einnimmt, vom Staat kommt, worüber im August 2017 ein Rechenschaftsbericht des Bundestags informierte, dürfte sich die Situation wohl noch weiter, diesmal vermutlich existenziell, zuspitzen und die Handlungsfähigkeit der NPD kontinuierlich reduzieren.[7] Die Beiträge der Mitglieder und der Mandatsträger sinken ebenso stetig wie die Einnahmen aus Spenden. In den vergangenen Jahren hat die NPD stets angegeben, über mehr als 5000 Mitglieder zu verfügen; dabei war sie bereits Ende 2015 unter diese Marke gefallen, zählte nur noch 4845 Mitglieder. Auch Abgeordnete stellt die Partei kaum mehr. Geblieben sind ihr bundesweit noch 338 Kommunalmandate – davon achtzig in Sachsen, 58 in Thüringen und 49 in Mecklenburg-Vorpommern. Im Europäischen Parlament verfügt sie über einen Sitz. In einem Landtag ist die Partei indes nicht mehr vertreten. Bei den Wahlen 2017 im Saarland (0,7 Prozent) und in Nordrhein-Westfalen (0,3 Prozent) blieb sie jeweils unter dem für eine Wahlkampfkostenerstattung erforderlichen Stimmanteil beziehungsweise trat gar nicht erst an (Schleswig-Holstein). Kurzum: Auch durch Wahlerfolge und Parlamentssitze fließen keine nennenswerten Ressourcen zurück in die Partei; man steht also unter Druck.

Möglicherweise lässt sich an der NPD am besten erkennen, dass die extreme Rechte momentan eine Zäsur erfährt.[8] Von den internationalen Großkrisenlagen ab Mitte der 2000er Jahre (Banken, Wirtschaft, Euro, Terror, Flucht und Asyl) konnten weder die NPD noch andere etablierte Akteure der extremen Rechten profitieren – anders als noch zu Beginn der Dekade, als in der Bundesrepublik Arbeits- und Sozialmaßnahmen (»Hartz-Reformen«) durchgeführt worden waren und die NPD sich als »soziale Heimatpartei« elektoral erfolgreich inszenieren konnte. Den sich in Folge überlagernden Krisen begegnete man rat- und mittellos – organisatorisch entkernt, ressourcenschwach, zerstritten und aufgerieben von außen und innen.

Bereits seit einigen Jahren ist das Parteiförmige innerhalb der extremen Rechten rückläufig. Die stark fragmentierten, lose miteinander verkoppelten Zusammenhänge treten verstärkt bewegungsförmig in Erscheinung. Entlang ihrer Berührungspunkte mit bspw. neurechten, verschwörungstheoretischen oder militanten Netzwerken und Milieus hat sich eine Vielzahl von Kleingruppierungen entwickelt. Ein überaus heterogenes wie dynamisches Gebilde ist entstanden, das subkulturelle Szenen (vor-)politisch miteinander verschränkt. Betrachtet man die außerparlamentarische politische Rechte und deren Ränder, fällt auf, dass die NPD durch das Aufkommen von Kräften wie der Alternative für Deutschland (AfD) und »PEGIDA« auf der einen Seite sowie martialischeren Parteien wie »Der III. Weg« und aktionistischen Gruppen wie der »Identitären Bewegung« auf der anderen Seite Konkurrenz bekommen hat, die ihr zusetzt, sie vielerorts gar ersetzt. Möglicherweise ist diese Entwicklung sogar bedeutsamer für die NPD (gewesen) als das Karlsruher Urteil und seine Folgen. In jedem Fall wirkte die Gleichzeitigkeit der Vorgänge beschleunigend auf den Abstieg der Partei.

Vor diesem Hintergrund sind die Reaktionen der Parteiführung auf das Karlsruher Urteil einzuordnen. In der Parteizeitung Deutsche Stimme des Jahres 2017 lassen sich drei zentrale Rahmungen des Urteils erkennen. Die Partei zeigte sich – erstens – bemüht, das Nicht-Verbot als Erfolg für sich zu reklamieren, und stellte überdies heraus, was sie bereits im Laufe des ersten Verbotsverfahrens postuliert hatte: Dass es sich nicht um ein faires juristisches Verfahren gegen sie handele, sondern um ein abgekartetes politisches Spiel.[9] So machte der Bundesvorsitzende Frank Franz beispielsweise deutlich, dass mit dem Verbotsverfahren die »undemokratische Hexenjagd gegen uns Nationaldemokraten«[10] nicht enden werde, doch sei die NPD »die einzige Partei, die trotz der geballten Kräfte, die uns verbieten wollen, nicht verboten werden konnte«. Für die Gründe würden sich später nur noch Fachkreise interessieren, schreibt Franz weiter und fügt hinzu: »Dieses Verfahren ist nicht juristisch, sondern politisch begründet. Mit der NPD sollen alle heimattreuen Gedanken auf den politischen Index.« Man gibt sich folglich als Opfer einer auf Dauer gestellten politischen Kampagne.

Die NPD sei weder gewalttätig, noch habe sie die Absicht, die verfassungsmäßige Ordnung Deutschlands zu beseitigen, heißt es darüber hinaus. Aus diesem Grund sei das Urteil – zweitens – als ein gegen das eigentliche Volk, gegen den eigentlichen Souverän gerichteter Angriff zu interpretieren. Der NPD-Vorsitzende führt dazu aus: »[…] der Bezug auf den ethnischen Volksbegriff verletze die Menschenwürde, stellt nichts anderes als eine Kriegserklärung an das deutsche Volk dar.«[11] Es sei zu befürchten, »daß der positive Bezug auf das Volk zur grundsätzlichen Verfassungswidrigkeit stilisiert und damit kriminalisiert wird«[12]. Auch der Prozessbevollmächtigte der NPD und Chefredakteur der Deutschen Stimme, Peter Schreiber, moniert, dass der Volksbegriff »naturgemäß auch ein biologischer Begriff«[13] sei. Das Verfassungsgericht reduziere das Volk jedoch »auf den Besitz eines Stückes bedruckten Papieres, das je nach politischer Wetterlage mehr oder weniger wahllos an Angehörige anderer Kulturkreise ausgehändigt«[14] werde. Der »Bevölkerungsaustausch« sei nun höchstrichterlich zum Verfassungsprinzip erhoben worden, empört sich der Hausjurist der Partei, »mit dem Ergebnis des biologischen Aussterbens des deutschen Volkes«[15]. Dagegen wehre sich die NPD, gewissermaßen stellvertretend für alle »volkstreuen Vereinigungen«[16], auf die künftige Verbotsverfahren aus denselben Gründen zukommen könnten. Schneider, der gemeinsam mit Frank Franz in den jüngsten Ausgaben das zentrale Autoren-Duo bildet, schreibt dazu: »Deutschland soll abgeschafft werden, das wissen wir nicht erst seit Sarrazin. Doch jetzt ist seine Abschaffung zum Staatsziel geworden. Mir scheint, der Kampf um die Existenz des deutschen Volkes tritt in seine entscheidende Phase.«[17] Trotz allem beziehungsweise aus diesem Grund: Am »Abstammungsprinzip« wolle und werde die NPD festhalten – jetzt erst recht.[18]