VereinzeltäterDer Fall Heinz Lembke und die Konstituierung rechtsterroristischer Einzeltäter in der späten Bundesrepublik
Am 26. Oktober 1981 machten Forstarbeiter in einem Waldstück in der Lüneburger Heide einen aufsehenerregenden Fund: Bei dem Versuch, einen Zaunpfeiler einzuschlagen, stießen sie auf ein Erddepot, das mit Munition, Sprengstoff und Sprengmitteln gefüllt war. In den folgenden Ermittlungen des niedersächsischen Landeskriminalamtes (LKA) wurden insgesamt 32 solcher Verstecke aufgedeckt, gefüllt mit einem martialischen Arsenal: 156 Kilo Sprengstoff, 258 Handgranaten, fünfzig Panzerfäuste, über 13.000 Schuss Munition, tödliche Giftstoffe, Schalldämpfer und weiteres militärisches Material wurden geborgen. Schon nach dem ersten Fund war den ermittelnden Beamten klar, wohin die Spur führte: Der Forstmeister Heinz Lembke, zuständig für diesen Bereich, war nur wenige Wochen zuvor aus sogenannter Beugehaft entlassen worden. Die Haft war angeordnet worden, um von Lembke im Zusammenhang mit einem Verfahren gegen die Mitglieder der rechtsterroristischen Deutschen Aktionsgruppen eine Aussage zu erzwingen. Lembke, der die Beamten nach der Aufdeckung der ersten Depots – zwischenzeitlich hatten die Beamten bereits weitere Verstecke aufgetan[1] – am 30. Oktober 1981 zu den weiteren Depots leitete, nahm sich in der Nacht zum 1. November 1981 in einer Gefängniszelle das Leben. Ein Leck im Polizeiapparat stach dem Spiegel Lembkes Abschiedsgruß durch: »Es ist Wolfszeit.«[2]
Gerade einmal ein Jahr nach dem Oktoberfestattentat[3] erzeugte der Fund bundesweite Schlagzeilen. Zunächst übernahm eine Sonderermittlungsgruppe des LKA die Ermittlungen, die nach dem Tod Lembkes vom Generalbundesanwalt an das Bundeskriminalamt (BKA) übergeben wurden. Als Folge des Sprengstofffunds leitete der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ein, das jedoch bereits ein Jahr später eingestellt wurde. Nachdem »etwa 200 Zeugen vernommen und über 1.600 Personen überprüft« worden seien, blieb ein toter Einzeltäter – so die einhellige Interpretation von BKA[4] und Staatsanwaltschaft.[5] Jahre später wurde indes im Rahmen eines weiteren Prozesses eine stille Revision dieser Einschätzung vollzogen: Als der Rechtsterrorist Peter Naumann 1988 aufgrund einer Anschlagsserie verurteilt wurde, stellte die Ermittlungsgruppe des BKA Zusammenhänge zum Fall Lembke her. Naumann selbst öffnete 1995 medienwirksam vor laufenden Kameras weitere Depots und räumte sowohl seine Beteiligung an der Anlegung der Depots als auch die Beteiligung Lembkes an einigen der durch Naumann verübten Anschläge Ende der 1970er Jahre ein.[6]
Der mysteriöse Tod Lembkes, seine Nachricht und der Umstand, dass derartige Mengen an Waffen in der Nähe der innerdeutschen Grenze aufgefunden wurden, machen den Fall Lembke zum Gegenstand zahlreicher Recherchen, Hypothesenbildungen und Spekulationen: Diese reichen von möglichen Verbindungen von Lembkes Depots zum Oktoberfestattentat[7] über die Vermutung, Lembke sei ein V-Mann westdeutscher Sicherheitsbehörden gewesen,[8] bis hin zu Spekulationen, ob das Arsenal Lembkes einer Stay-Behind-Einheit[9] im Grenzgebiet zuzuordnen sei.[10]
Die posthumen Debatten über den Fall Lembke sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass dieser entgegen den ersten medialen Äußerungen von Polizei und Staatsanwaltschaft letztlich als Einzeltäter präsentiert wurde. Diese gravierende Fehleinschätzung wirft die Frage nach ihrem Zustandekommen auf. Lembke war den Sicherheitsorganen schon seit fast zwei Jahrzehnten bekannt, verschiedene Klagen – auch wegen politischer Gewaltdelikte und Mitgliedschaften in verbotenen politischen Organisationen – waren zum Teil noch anhängig, als er verstarb; zudem war er schon Ende der 1970er Jahre im Zusammenhang mit rechtsterroristischen Aktivitäten ins Visier der Behörden gerückt.
Anhand einer Analyse von Aktenbeständen des niedersächsischen LKA soll im Folgenden dargestellt werden, wie sich die Konstitution des Einzeltäters Lembke vollzog und welche Rückschlüsse sich aus dem Fall auf die polizeiliche Bearbeitung rechter Gewalt in den beginnenden 1980er Jahren ziehen lassen. Es geht also weniger darum, den Fall einer erneuten Aufklärung zuzuführen, als nachzuvollziehen, wie die Sicherheitsbehörden rechtsterroristischen Strukturen begegneten und warum sich ein kontrafaktisches Bild der Person Lembkes in den Ermittlungen durchsetzte.
1960-1980: Lembkes politische Biografie im Spiegel der Ermittlungsakten
Heinz Lembke wurde am 24. März 1937 in Stralsund geboren. 1959 flüchtete er nach Westdeutschland, wo er 1960 dem Bund Vaterländischer Jugend beitrat und binnen kurzer Zeit zu dessen Bundesgeschäftsführer aufstieg. Als die Organisation 1962 in Niedersachsen und anderen Bundesländern verboten wurde, setzten Lembke und seine Ehefrau ihre Aktivitäten in dem später als Nachfolgeorganisation verbotenen Freundeskreis Vaterländischer Jugend fort. Lembke trat anschließend dem Bund Heimattreuer Jugend bei und vermutlich ab deren Gründung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), für die er 1968 als Kandidat bei den niedersächsischen Kommunalwahlen antrat.[11]
Bis Ende 1975 registrierte der niedersächsische Staatsschutz Lembke als Teilnehmer an insgesamt elf Veranstaltungen sowie als Mitglied überwachter Parteien und Organisationen. Im Januar 1976 besuchte er eine Veranstaltung der Deutschen Bürgerinitiativen des Rechtsterroristen Manfred Roeder, die den Titel »Überwindung der Demokratie durch geeinten Volkswillen« trug. Im September 1976 wurde Lembke erstmals im Zusammenhang mit gewalttätigen Ausschreitungen erfasst: Als die NPD in Uelzen eine Veranstaltung abhielt, mobilisierte die örtliche Linke gegen das Treffen. Sie wurde jedoch vor dem Veranstaltungsort von Mitgliedern des Ordnungsdienstes, unter ihnen auch Lembke, angegriffen. Die Protestierenden flüchteten erst in eine Kneipe und von dort aus in ein Jugendzentrum. Ihre Verfolger versuchten hier einzudringen, schlugen anschließend die Scheiben ein und versprühten Tränengas. Nachdem es den bis hierhin passiven Beamten gelungen war, »die Ordner zur Einsicht zu bewegen«, so der Polizeibericht, hätte »die linke Gruppe ungehindert« abziehen können.[12] Lembke wurden infolge der gestellten Anzeigen Hausfriedensbruch, Volksverhetzung, Nötigung und Körperverletzung vorgeworfen.[13] In zweiter Instanz wurde er jedoch freigesprochen.[14]
Am 11. Januar 1979 ging schließlich die erste Meldung über Lembke beim Staatsschutz ein, die ihn in Zusammenhang mit der »Vorbereitung eines Explosionsverbrechens«[15] bei einem Mitglied des Bundes Heimattreuer Jugend (BHJ) nannte:[16] Am Rande der Ermittlungen war ein Foto von Lembkes Kleinbus aufgetaucht. Der Berliner Staatsschutz fragte daher zu Lembke an, und in der Antwort des LKA erfolgte auch eine Aufzählung der Zusammenhänge, in denen Lembke mittlerweile geführt wurde: der Bund Vaterländischer Jugend, der Bund Heimattreuer Jugend, die NPD, die Deutschen Bürgerinitiativen und der Republikanische Club Dettmold.[17] In der Antwort betonte das LKA jedoch, dass diese Informationen zu Lembkes Aktivitäten »nur z. T. gerichtsverwertbar«[18] seien.
1980-1981: Verdichtung der Hinweise
Zwei Tage nach dem Oktoberfestattentat ging beim niedersächsischen LKA ein Fax der Soko Theresienwiese aus Bayern ein. Es verwies auf eine Zeugenaussage, die, wie sich infolge der weiteren Ermittlungen herausstellen sollte, von der Rechtsterroristin Sybille Vorderbrügge von den Deutschen Aktionsgruppen[19] stammte. Die Soko teilte zunächst lediglich mit, dass Lembke »in besitz von sprengmitteln, zuendschnueren, sprengkapseln u.a. sein«[20] solle; »er soll auch ueber ein groesseres sprengstoffdepot verfuegen«, so das Schreiben weiter. Zwar sei ein Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat derzeit nicht erkennbar, jedoch werde diese Mitteilung »zur bearbeitung in eigener zustaendigkeit uebermittelt.«
Das Schreiben aus Bayern führte dazu, dass ein Durchsuchungsbefehl erwirkt wurde: Am Folgetag durchsuchten Beamte der Kripo Uelzen zusammen mit zwei Beamten des Bundesgrenzschutzes, die mit einem Minensuchgerät ausgerüstet waren, das Haus und das Grundstück Lembkes. Dabei wurden zwei Rollen Sprengkabel, das Magazin eines G3-Sturmgewehrs, zehn bronzene Reichskriegsadler mit Hakenkreuzemblemen sowie Ausrüstungsmaterial für paramilitärische Übungen des BHJ gefunden. Lembke wurde außerdem von der Kripo zu dem in Berlin aufgefundenen Foto befragt. Diesbezüglich gab er an, dass das Foto vermutlich auf einem seiner Lehrgänge aufgenommen worden sei. Hinsichtlich des Oktoberfestattentats gab Lembke lediglich an, aus den Medien davon erfahren zu haben. »[D]as zustandekommen der hinweise zu spur 253 kann er sich angeblich nicht erklaeren«, so der Bericht der Kripo Uelzen. Auch zu möglichen Kontakten zu Manfred Roeder und zur Wehrsportgruppe Hoffmann, die im Fall des Oktoberfestes der Mittäterschaft verdächtig war, gab Lembke nur schmallippig Antwort. Bei Letzterer, so Lembke, habe er lediglich bis zu deren Verbot die Organisationszeitschrift Wehrsportprogramm bezogen.[21]
Obwohl nunmehr von zwei Ermittlungsgruppen im Kontext rechtsterroristischer Aktivitäten Anfragen zu möglichen Verwicklungen in Sprengstoffdelikte gestellt worden waren und auch die Hausdurchsuchung entsprechendes Material zutage gefördert hatte, tauchen in der Leitakte zu Lembke keine Hinweise auf weitere Ermittlungen seitens des niedersächsischen LKA auf. Erst im April 1981 kam erneut Bewegung in den Fall: Der zuständige Ermittlungsrichter im Verfahren gegen die Mitglieder der Deutschen Aktionsgruppen um Manfred Roeder ordnete Erzwingungshaft gegen Lembke an. Dieser hatte die Aussage zu seinen Verbindungen zu Roeder verweigert und war durch die Aussage Sibylle Vorderbrügges belastet. Am 15. April 1981 ordnete der Ermittlungsrichter daher eine sechsmonatige Beugehaft für Lembke an,[22] in der dieser den Behörden gegenüber beharrlich schwieg.
Seinen Mithäftlingen gegenüber war Lembke jedoch offener: Im Juni 1981 meldete sich ein ehemaliger Mithäftling Lembkes bei der Kripo Heidelberg. »lembke teilte ihm mit, dass er einer rechtsextremen gruppe im bereich uelzen angehoeren wuerde«[23], so teilte es die Heidelberger Kripo den Uelzener Kollegen und dem niedersächsischen LKA mit. Der Mithäftling sei von Lembke aufgefordert worden, sich über eine namentlich genannte Kontaktperson an zwei Personen weiterleiten zu lassen, »die ihn dann in die dort bestehende gruppe aufnehmen und ihn im Umgang mit schusswaffen und sprengstoffen ausbilden wuerden, da in naechster zeit u.a. auch sprengstoffattentate geplant seien.« Der Mithäftling habe dies dem für sein eigenes Strafverfahren zuständigen Staatsanwalt mitgeteilt. Er sei jedoch von der Staatsanwaltschaft angewiesen worden, »bevor von hier aus keine entscheidung ergangen sei, keine verbindung […] aufzunehmen.« Vor dem Hintergrund der bisherigen Verdachtsmomente wäre es naheliegend gewesen, dass die sich offenbarende Chance vonseiten der niedersächsischen Behörden genutzt würde – die Reaktionen waren jedoch verhalten: Die Kripo Uelzen leitete das Schreiben an die Ermittlungsgruppe des BKA weiter, und das LKA unternahm selbst nichts. Anscheinend sah man hiermit in Hannover seine Pflicht als getan an.[24]
1981: Aufdeckung der Depots und Selbstmord Lembkes
Am 26. Oktober 1981 um 07:30 Uhr entdeckte ein Revierförster zufällig das erste Munitionsdepot, das nur 200 Meter von Lembkes Wohnhaus entfernt lag. Die Kripo Uelzen, die zunächst die Ermittlungen übernahm, ließ daraufhin das Haus Lembkes durchsuchen, fand weiteres belastendes Material[25] und nahm Lembke, der die Aussage zu dem Fund verweigerte, in Untersuchungshaft. Einen Tag später übernahm das LKA die Ermittlungen, die nun durch die neu gegründete Ermittlungsgruppe Sprengstoff durchgeführt wurden. Noch vor dem Eintreffen der Ermittlungsgruppe am Fundort ging jedoch ein anonymer Anruf bei der Kripo Uelzen ein, der über ein weiteres Versteck informierte.[26] Hier stießen die Beamten neben Schulungsmaterial der Bundeswehr und der Polizei auf das Depotverzeichnis Lembkes, das für die weiteren Ermittlungen ausschlaggebend war. Da Lembke weiterhin die Aussage verweigerte, wurde nunmehr ein Sprengmittelbeseitigungskommando der Bundeswehr angefragt, um weitere Verstecke zu finden.[27]
Am 30. Oktober 1981 teilte Lembke der Staatsanwaltschaft noch morgens mit, dass er zunächst weitere Verstecke nicht preisgeben werde. »Ich will mir dadurch eine Verhandlungsposition verschaffen, und zwar nicht für mich«[28], so zitiert ihn das Protokoll der Vernehmung. Als Lembke jedoch noch während der Vernehmung mitgeteilt wurde, dass weitere Depots aufgedeckt worden waren, erklärte er sich bereit, zu kooperieren. So wurden mit einer Ausnahme am 30. Oktober 1981 sämtliche verzeichneten Depots mithilfe Lembkes geöffnet. Hinsichtlich weiterer beteiligter Personen gab Lembke jedoch laut Polizeiprotokoll »unmissverständlich zu verstehen, dass es für ihn die Begriffe Moral und Ehre gäbe, an denen er auch heute festhalten werde.« Zum letzten Container verweigerte Lembke die Führung, »um sich für etwaige Verhandlungen Spielraum zu lassen.« Bei vier Verdächtigen im Umfeld Lembkes wurden währenddessen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen durchgeführt, die unter anderem zahlreiche weitere Waffen, Munition und weiteres militärisches Material aufdeckten.[29]
Im Anschluss an die Begehung der weiteren Depots wurde Lembke erlaubt, seine Frau zu Hause aufzusuchen. Auf dem Weg dorthin erkundigte sich der begleitende Polizeikommissar nochmals nach dem Inhalt des Depots, dessen Offenlegung Lembke bisher verweigerte. Der Kriminalbeamte berichtete:
»Lembke deutete mir an, dass sich in diesem Depot keine Waffen, Munition, Sprengstoff oder andere Einsatzmittel befänden [sic!] sondern Aufzeichnungen, aus denen wir auf weitere für uns in diesem Zusammenhang interessante Personen schließen könnten. Deswegen wollte er über die Preisgabe dieses Materials in Ruhe nochmal nachdenken, er meinte aber, dass wir beide zu einer Regelung kommen könnten […]. Bei seinen Ausführungen setzte sich Lembke immer wieder mit dem Spannungsfeld auseinander, auf der einen Seite auszusteigen und mit seiner Vergangenheit Schluss zu machen, um mit seiner Familie in Frieden leben zu können und auf der anderen Seite nicht zum Verräter an ›Kameraden‹ zu werden.«[30]
Am folgenden Wochenende ruhten die Ermittlungen und Lembke wurde zurück in die Justizvollzugsanstalt gebracht, wo er sich in der Nacht vom 31. Oktober 1981 mithilfe eines Kabels, das er bei seinem letzten Besuch bei seiner Frau mitnehmen durfte, erhängte. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg formte gegenüber der Presse anschließend das Narrativ, das den Selbstmord Lembkes bis heute rahmt: Lembke habe aus »Treue« gegenüber seinen Gesinnungsgenossen gehandelt, die er durch seinen Selbstmord vor der Enttarnung schützen wollte.[31] 1981 schien damit zumindest aus Sicht der Lüneburger Staatsanwaltschaft klar zu sein, dass es sich bei Lembke nicht um einen Einzeltäter gehandelt haben konnte, sondern dass die Depots einer Gruppierung zuzuordnen waren.
Die Protokolle der Ermittlungen zum Tod Lembkes zeichnen allerdings ein anderes Bild von den Umständen, die zu seinem Selbstmord führten. So meldete sich ein Mithäftling Lembkes noch am Todestag bei der Gefängnisleitung, um eine Aussage zu machen, die er einen Tag später nochmals gegenüber der Polizei wiederholte. Der Häftling berichtete von einem Gespräch bei einem gemeinsamen Hofgang am Nachmittag des 31. Oktobers 1981 – dem Tag von Lembkes Suizid:
»Im Laufe des Gespräches fragte mich Lembke auch, ob es in seinem Falle schon Verhaftungen gegeben habe. Ich antwortete ihm, dass ich im Radio mitbekommen habe, dass Durchsuchungen und Verhaftungen durchgeführt worden seien. Heute erinnere ich mich daran, dass Lembke meine Antwort ziemlich getroffen hatte. Als ich ihm zu verstehen gab, dass es mich doch wundere, weil [sic!] man ihn nicht in einem Sicherheitstrakt untergebracht habe, gab er mir die Antwort, dass er sich darüber auch wundere, er aber von hier nicht weggehen würde, bevor seine Frau nicht bei seinem Bruder in München in Sicherheit sei. […] L. erschien mir bis dahin ruhig und gelassen.«[32]
Lembke habe ihn nun gefragt, ob er für ihn Zeitungsausschnitte zu seinem Fall sammeln könne, und er sei zusehends nervöser geworden. »Im Gegensatz zu seinem Verhalten im Hof war Lembke beim Hinaufgehen zur Zelle äußerst hektisch. Kurz vor dem Einschließen weinte er und sprach zusammenhanglos über seine Familie«, so der Zeuge weiter. Er habe den Eindruck gehabt, »einen gebrochenen Menschen vor mir gehabt zu haben.«
Die Aussagen konterkarieren das Bild einer Person, die vermeintlich vom Schutz ihrer Gesinnungsgenossen angetrieben freiwillig in den Tod ging. Auch vor dem Hintergrund der in Lembkes Zelle aufgefundenen Notizen erscheint diese Darstellung fragwürdig. Denn Lembke hatte sich anscheinend in den Tagen vor seinem Selbstmord eine Strategie für die weitere Offenlegung seiner Verbindungen zurechtgelegt: »11. Zunächst Auflösung von Oechtringen, Wegzug der Frau und Kinder (14 Tage) danach meine Offenlegung, wieweit 13/14/15 hängt von der Lage ab. 12. Meine Offenlegung planvoll angehen mit Fachleuten.«[33] Führt man die Zeugenaussage und die Notizen, die Lembke angelegt hatte, zusammen, so ergibt sich ein Bild von Lembkes Selbstmord, das deutlich von der Darstellung in der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft abweicht: Lembke hatte sich nicht das Leben genommen, um Kameraden zu schützen. Sein ursprünglicher Plan scheint es gewesen zu sein, seine Familie in Sicherheit zu bringen und dann zumindest so umfassend wie nötig auszusagen, um seine Haftstrafe zu reduzieren.
1981-1982: Nachermittlungen und Einstellung des Verfahrens
Am 3. November 1981 übernahm das Bundeskriminalamt auf Weisung des Generalbundesanwalts die weiteren Ermittlungen im Fall Lembke wegen des Verdachts auf Gründung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits die Medien das Narrativ über Lembkes Freitod zum Schutz seiner Kameraden übernommen. Dieses schien sich durch die Reaktionen aus der rechten Szene zu bestätigen. Kurz nach Lembkes Tod verteilte die Bürgerinitiative gegen die Kriegsschuld und antideutsche Greuellügen um den Neonazi Edgar Geiß Flugblätter, in denen Lembke als »Märtyrer und aufrechter Patriot«[34] bezeichnet wurde. Bei der Staatsanwaltschaft und verschiedenen Polizeidienststellen gingen in den Folgewochen zudem zahlreiche Drohanrufe ein, die Konsequenzen für den »Mord«[35] an Lembke androhten.
Die Hinweise auf Komplizenschaft Lembkes waren zu diesem Zeitpunkt zwar zahlreich, zugleich hatten jedoch sowohl das BKA als auch die Landeskriminalämter Bayern und Niedersachsen durch mangelnde Aufmerksamkeit, Ermittlungsfehler und Fahrlässigkeit die wesentlichen Möglichkeiten, die Strukturen um Lembke aufzuklären, verpasst. Zunächst hatte ein Kommunikationsfehler vonseiten des bayerischen LKA dazu geführt, dass die niedersächsischen Beamten bei der ersten Hausdurchsuchung bei Lembke im Herbst 1980 nur das Grundstück, nicht aber den umliegenden Wald mit Minensuchgeräten durchsucht hatten. Das bayerische LKA hatte ihnen lediglich mitgeteilt, dass Lembke über »ein groesseres sprengstoffdepot«[36] verfüge – Sybille Vorderbrügge hatte jedoch in ihrer Vernehmung explizit mitgeteilt, dass er die Depots als Forstarbeiter im Wald angelegt habe.[37] Zudem hatten die weiteren Vernehmungen von Mitgliedern der Deutschen Aktionsgruppen durch das BKA darauf hingewiesen, dass Lembke Personen im Gebrauch von Sprengstoff ausbilde und Anschlagspläne verfolge.[38] Anstatt den Hinweisen nachzugehen, war ein routinisierter Vorgang angelegt worden, in dem gegen Lembke wegen des Besitzes von Sprengkabeln und des aufgefundenen G3-Magazins ein Verfahren angestrengt wurde, das ohne weitere Ermittlungen der Polizei eingestellt worden war. Ein – möglicherweise vager – Zusammenhang zum Oktoberfestattentat schien aufgrund der konkreten Belastung Lembkes also möglich. In diesem Zusammenhang war auch die Möglichkeit, sich während seiner Beugehaft durch einen Informanten Zugang zur Gruppe um Lembke zu verschaffen, weder vom BKA noch vom LKA Niedersachsen genutzt worden. Auch die möglichen Zusammenhänge zwischen Lembke und dem Sprengstofffund in Berlin waren nicht weiter untersucht worden. Lembke wurde zudem in der Justizvollzugsanstalt am Wochenende seines Todes weder engmaschig überwacht noch wurden weitere Vernehmungen durch das LKA angestrengt. Nach seinem Suizid fehlte dem BKA somit der wichtigste Zeuge.
Dementsprechend war das LKA vor dem Hintergrund einer regelrechten Berichterstattungswelle über den Fall bemüht, gegenüber dem eigenen Innenministerium die Verfehlungen des BKA aufzuzeigen. In einer Stellungnahme vom 5. November 1981 betonte das LKA, es sei »[e]rstaunlich, dass das BKA nicht versucht hat, den [Name] als V-Person zu gewinnen und die Sache Lembke damals schon vollständig aufzurollen; vor allem das Umfeld des Lembke vollständig aufzuklären.«[39] Handschriftlich fügte ein Mitarbeiter hinzu, dass die Kripo Uelzen nach den Waffenfunden mit dem BKA telefoniert habe, um die Ermittlungen zu übergeben. Der zuständige Beamte beim BKA habe jedoch »in etwa geantwortet, Lembke sei ein regionaler Rechtsradikaler. Das solle man in Uelzen selber machen.«
Die Strategie des BKA, das den Fall anscheinend nur widerwillig wieder aufnahm, bestand hingegen darin, großflächig nach möglichen personellen Verstrickungen zu suchen. Verschiedene Spuren der vorherigen Ermittlungen liefen zu Bundeswehrangehörigen, Reservisten sowie zu einem ehemaligen Beamten des Bundesgrenzschutzes. Über diesen engeren Kreis hinaus hatten anonyme Anrufe und Schreiben auf mögliche Verbindungen zu weiteren Personen hingewiesen. In mehreren dieser Fälle kam es in den ersten Novemberwochen zu Verhaftungen, Hausdurchsuchungen mit Waffen- und Sprengstofffunden, einer freiwilligen Übergabe von Waffen und Sprengstoff sowie dem Auffinden weiterer Depots, jedoch konnte in keinem dieser Fälle der direkte Zusammenhang mit Lembke nachgewiesen werden.[40] Daher weitete das BKA nunmehr die Ermittlungen aus. Sämtliche Einträge im Telefonbuch Lembkes wurden beim LKA abgefragt, wodurch eine Vielzahl von potenziellen Verknüpfungen entstanden. Es enthielt die Namen und Nummern einer Vielzahl einschlägig bekannter Personen: Mehrere Mitglieder der NSDAP/AO, Mitglieder diverser Wehrsportgruppen, der NPD, der VSBD/PdA, des BHJ und der Wiking-Jugend waren unter den abgefragten Personen.[41] Das BKA ermittelte offensichtlich binnen kürzester Zeit in alle Richtungen. So entstand schnell die beeindruckende Zahl von 1.600 Personenüberprüfungen und 200 vernommenen Zeugen. Sie ist jedoch vor dem Hintergrund der vorherigen Ermittlungspannen eher als ein Zeugnis des Scheiterns denn als ein Signum konziser Polizeiarbeit zu sehen. Bei genauerem Hinblick zeugt sie vielmehr davon, dass es trotz der massiven Hinweise auf Mittäterschaften nicht gelungen war, die Strukturen um Lembke aufzuklären.
In seinem Ermittlungsbericht war das BKA 1982 abschließend bemüht, das Handeln Lembkes in einen neuen Kontext zu rücken: Es stellte Lembke als Einzeltäter dar, der »aus einer übersteigerten ›Russenangst‹ heraus«[42] eine »nahezu wahllose Anhäufung von Sprengstoff, Waffen, Munition und Giften« betrieben habe, die »eine gezielte Sammlung für terroristische Aktivitäten bzw. andere Straftaten nicht erkennen lassen.« Zwar ließe sich aus der Anlage von »einigen wenigen Depots« die Vermutung ableiten, dass Lembke Hilfe erhalten habe. Die Beweisführung gegen den Kern der Verdächtigen sei jedoch »nicht zu führen.« Diese Bagatellisierung des Komplexes wurde nochmals durch die Darstellung im Ermittlungsbericht des Generalbundesanwalts übertroffen: »Der Lebensweg und die Biografie Lembkes […] deuten nicht darauf hin, dass Lembke die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik durch Sprengstoffanschläge oder Mordtaten erschüttern wollte.«[43] Lembke sei von einer »verstandesmäßig nicht völlig fassbaren Furcht vor einem russischen Überfall durchdrungen« gewesen und entschlossen, »den erwarteten Eindringlingen als Einzelkämpfer oder Führer von Partisanen Widerstand entgegenzusetzen. Zu diesem Zweck könnte er die in den Erddepots gefundenen Kampfmittel gesammelt und vergraben haben.«
Die Mitgliedschaft in verbotenen rechtsextremen Organisationen, die bekannte Gewaltbereitschaft, die offenen Enden und die Widersprüchlichkeiten in den Ermittlungen, die deutlichen Hinweise darauf, dass sich Lembke in verschiedenen Kontexten als Lieferant von Sprengstoffen angeboten hatte, dass er Personen rekrutieren wollte und schließlich dass selbst der Selbstmord Lembkes anscheinend mit der Angst vor möglichen Racheaktionen Dritter verbunden gewesen war – all das blieb im Fazit der Ermittlungskommission des BKA und im Ermittlungsbericht des Generalbundesanwalts unerwähnt. Damit täuschte der Bericht nicht nur über die Ermittlungsfehler hinweg, er konstruierte auch die Figur eines Einzeltäters und entpolitisierte dessen Motiv.
Das in den Abschlussberichten kaschierte Scheitern der Ermittlungen zeugt jedoch weniger von einem Dilettantismus in der Ermittlungsarbeit als davon, dass die Sicherheitsbehörden das Gefahrenpotenzial rechter Gewalt falsch einschätzten. Trotz einer regelrechten Mordwelle, die alleine in den Jahren 1980 und 1981 mindestens 18 Todesopfer gefordert hatte,[44] zeigte sich im Fall Lembke, dass einzelne Beamte aufgrund einer niedrigen Priorisierung des Falls Gelegenheiten verstreichen ließen, Licht auf die Zusammenhänge zu werfen, mit deren Aufklärung sie beauftragt waren.
Resümee
Die Ermittlungen folgten damit einer Arithmetik, die bereits aus zahlreichen Prozessen gegen rechtsterroristische Akteure in den 1980er Jahren bekannt ist: Sie konzentrierten sich auf den absoluten Kernbereich der Täter, anstatt die umgebenden Strukturen in den Blick zu nehmen; regelmäßig wurde erst gar nicht der Versuch unternommen, die Beschuldigten wegen der Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen zu verurteilen. Täter wurden pathologisiert, ihre Motive in der persönlichen Situation gesucht und ihre Taten damit entpolitisiert. Den Kontexten, in denen Taten geplant wurden und sich Täter bewegten, der Wahl der Opfer und den grundierenden Feindbildern und Motiven, die vonseiten der Täter artikuliert wurden, wurde nur unzureichende Aufmerksamkeit gewidmet. Fehlbewertungen und -interpretationen waren dabei nicht nur bei den Sicherheitsbehörden zu finden, sondern sie wurden, darauf verweist Darius Muschiol, in einem Zusammenspiel zwischen Sicherheitsorganen, Politik und Wissenschaft produziert. Eine schiefe Sicht, die den Rechtsterrorismus an den linksterroristischen Strukturen maß und seine historische Eigenständigkeit und seine autonome Entwicklung verkannte, führte demnach dazu, dass Behörden die rechtsterroristischen Zusammenhänge und die von ihnen ausgehenden Gefahren falsch einschätzten.[45]
Im Fall Lembke drängt sich zudem der Eindruck auf, dass die Vereinzelung des Täters einen nachträglichen Charakter hatte. Sie konstituierte sich durch eine Selektion der Spuren, die zwar durchaus den gängigen Chiffren der vorangegangenen Prozesse gegen rechtsterroristische Akteure folgte, jedoch darüber hinaus bestrebt war, das Scheitern der Ermittlungen zu verdecken. Nicht nur die Diskrepanz zwischen den Stellungnahmen der Lüneburger Staatsanwaltschaft nach dem Tod Lembkes und den abschließenden Ermittlungsberichten verweist hierauf. Auch die Gleichzeitigkeit des Insistierens der an den Ermittlungen beteiligten Beamten auf vorliegende Hinweise auf eine Mittäterschaft und die Bagatellisierung dieser Hinweise im Abschlussbericht des BKA sind so zu erklären.
Quellen::
Niedersächsisches Landesarchiv
Nds. 100 Acc. 149/97 Nr. 152.
Nds. 147 Acc. 2001/069 Nr. 6.
Nds. 147 Acc. 2001/069 Nr. 7.
Nds. 147 Acc. 2001/069 Nr. 11.
Nds. 147 Microfiche Acc. 161/89 Nr. 015536.
Justizdokumente::
Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 13. Juni 2017 – 2 BvE 1/15 –, Rn. 1161, URL: https://www.bverfg.de/e/es20170613_2bve000115 [eingesehen am 19.03.2025].
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof: Einstellung der wiederaufgenommenen Ermittlungen wegen des Oktoberfestattentats vom 26. September 1980, 08.07.2020, URL: https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/Pressemitteilung-vom-08-07-2020.html [eingesehen am 19.03.2025].
Bundestagsdrucksachen
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode: Drucksache 18/3259: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele, Irene Mihalic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Berlin 2014.
Medienbeiträge::
O. V.: Es ist Wolfszeit, in: Der Spiegel, 08.11.1981, URL: https://www.spiegel.de/politik/es-ist-wolfszeit-a-8bacbbea-0002-0001-0000-000014344702 [eingesehen am 14.02.2025].
Panorama: Peter Naumann – ein Rechtsextremist rüstet ab, 17.08.1995, URL: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama/archiv/1995/-,panorama15890.html [eingesehen am 19.03.2025].
Yücel, Deniz: Aus Liebe zu Allah, in: Jungle World, 02.01.2002, URL: https://jungle.world/artikel/2002/01/aus-liebe-zu-allah [eingesehen am 19.03.2025].
Literatur::
Bundesministerium des Innern: Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Berlin 1980.
Chaussy, Ulrich: Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen. Wie Rechtsterrorismus und Antisemitismus seit 1980 verdrängt werden, Bonn 2021.
Heymann, Tobias von: Die Oktoberfest-Bombe, Berlin 2008.
Muschiol, Darius: Einzeltäter? Rechtsterroristische Akteure in der alten Bundesrepublik, Göttingen 2024, https://doi.org/10.46500/83535724.
Salzborn, Samuel: Die Stasi und der westdeutsche Rechtsterrorismus. Drei Fallstudien (Teil II), in: Deutschland Archiv, 19.04.2016, URL: http://www.bpb.de/224934 [eingesehen am 14.02.2025].
Schmelzer, Pablo: Heinz Lembke (1937–1981), in: Botsch, Gideon/Kopke, Christoph/Wilke, Karsten (Hrsg.): Rechtsextrem. Biografien nach 1945, Berlin/Boston 2023, S. 235–250, https://doi.org/10.1515/9783111010991.
Schmidt-Eenboom, Erich/Stroll, Ulrich: Die Partisanen der NATO: Stay-Behind Organisationen in Deutschland 1946-1991, Berlin 2015.
[1]Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Acc. 2001/069 Nr. 6.
[2]O.V.: Es ist Wolfszeit, in: Der Spiegel, 08.11.1981, URL: https://www.spiegel.de/politik/es-ist-wolfszeit-a-8bacbbea-0002-0001-0000-000014344702 [eingesehen am 19.03.2025].
[3]Am 26. September 1980 detonierte ein Sprengsatz auf dem Münchener Oktoberfest, der zwölf Menschen das Leben kostete und über hundert Personen verletzte. Unter den Toten befand sich auch der Täter. Da er Beziehungen zur rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann gehabt hatte, hatten die Behörden das Attentat zunächst als vermutlich rechtsextremistisch motiviert eingestuft (siehe etwa Bundesministerium des Innern: Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Berlin 1980, S. 44). In den folgenden Ermittlungen wurde das Motiv jedoch entpolitisiert und nunmehr in den persönlichen Umständen des Täters gesehen. Erst eine Neuaufnahme der Ermittlungen im Jahr 2014 führte dazu, dass die Bundesanwaltschaft diese Darstellung wieder revidierte. Siehe hierzu: Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof: Einstellung der wiederaufgenommenen Ermittlungen wegen des Oktoberfestattentats vom 26. September 1980, 08.07.2020, URL: https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/Pressemitteilung-vom-08-07-2020.html [eingesehen am 19.03.2025].
[4]Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Microfiche Acc. 161/89 Nr. 015536.
[5]Schmelzer, Pablo: Heinz Lembke (1937–1981), in: Botsch, Gideon/Kopke, Christoph/Wilke, Karsten (Hrsg.): Rechtsextrem. Biografien nach 1945, Berlin/Boston 2023, S. 235–250, hier S. 245, https://doi.org/10.1515/9783111010991.
[6]Muschiol Darius: Einzeltäter? Rechtsterroristische Akteure in der alten Bundesrepublik, Göttingen 2024, https://doi.org/10.46500/83535724 sowie Panorama: Peter Naumann – ein Rechtsextremist rüstet ab, 17.08.1995, URL: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama/archiv/1995/-,panorama15890.html [eingesehen am 19.03.2025].
[7]Kritisch gewürdigt von Chaussy, Ulrich: Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen. Wie Rechtsterrorismus und Antisemitismus seit 1980 verdrängt werden, Bonn 2021, S. 220–230. Tatsächlich fehlt zumindest in den Ermittlungen des niedersächsischen Landeskriminalamtes ein Abgleich der Sprengstofffunde bei Lembke mit den Asservaten des Oktoberfestattentates.
[8]Zuletzt wurde diese Frage 2017 auf Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke im Bundestag zum Gegenstand eines Gerichtsentscheids des Bundesverfassungsgerichts, das über den Fall Lembke und weitere rechtsterroristische Akteure das Recht auf Auskunftsverweigerung über mögliche V-Personen der deutschen Sicherheitsbehörden verhandelte: Bundesverfassungsgericht: Beschluss vom 13. Juni 2017 – 2 BvE 1/15 –, Rn. 1161, URL: https://www.bverfg.de/e/es20170613_2bve000115 [eingesehen am 19.03.2025].
[9]Stay-Behind-Organisationen (SBO) waren paramilitärische Strukturen, die in der Nachkriegszeit entlang der Grenze zum Ostblock gebildet worden waren. Diese meist als kleine einzelne Zellen organisierten Einheiten sollten im Falle eines Angriffs Informationen hinter der Front sammeln oder durch Sabotageakte die logistischen Strukturen des Angreifers stören.
[10]Exemplarisch etwa Heymann, Tobias von: Die Oktoberfest-Bombe, Berlin 2008, S. 436-453; Schmidt-Eenboom, Erich und Stroll, Ulrich: Die Partisanen der NATO: Stay-Behind Organisationen in Deutschland 1946–1991, Berlin 2015, S. 217–229.
[11]Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Microfiche Acc. 161/89 Nr. 015536.
[12]Die Zeugenaussagen konterkarierten dieses Bild insofern, als die Angegriffenen vom Ordnungstrupp während des Abzugs drangsaliert und verhöhnt wurden. Auch hierauf begründeten sich die Anzeigen, die unter anderem gegen Lembke erstattet worden waren.
[13]Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Microfiche Acc. 161/89 Nr. 015536.
[14]Schreiben des Kriminalkommissariats Uelzen vom 25.06.1981, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Microfiche Acc. 161/89 Nr. 015536.
[15]Schreiben des LKA Berlin vom 11.01.1979, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Microfiche Acc. 161/89 Nr. 015536.
[16]Nach Informationen des Ministeriums für Staatssicherheit tauchte dieselbe Person zu Beginn der 1980er Jahre im Kontext von Aktivitäten der rechtsterroristischen Hepp-Kexel-Gruppe in der Lüneburger Heide auf. Siehe Salzborn, Samuel: Die Stasi und der deutsche Rechtsterrorismus. Drei Fallstudien Teil II), in: Bundeszentrale für politische Bildung, 19.04.2016 URL: https://www.bpb.de/themen/deutschlandarchiv/224934/die-stasi-und-der-westdeutsche-rechtsterrorismus-drei-fallstudien-teil-ii/ [eingesehen am 19.03.2025].
[17]Wenngleich die Republikanischen Clubs in den ausgehenden 1960er Jahren aus der APO heraus gegründet wurden, scheint es sich lt. Darstellung des LKA bei dem Republikanischen Club Detmold um einen als rechtsextrem klassifizierten Verein zu handeln. Darauf verweist zumindest die Darstellung im Fax des Kriminalkommissariats Uelzen vom 29.09.1980.
[18]Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Microfiche Acc. 161/89 Nr. 015536. Konkret bedeutete diese Mitteilung, dass ein Teil der Informationen, die in diesem Zusammenhang vom Staatsschutz weitergegeben worden waren, zunächst nicht für die Verwendung im Gerichtsverfahren geeignet seien. Diese Klausel wird von Sicherheitsbehörden genutzt, um die Enttarnung von V-Personen zu verhindern. Die Mitteilung gelangte auch in eine Antwort der Kriminalpolizei Uelzen an die Sonderermittlungskommission Theresienwiese, die im Falle des Oktoberfestattentats ermittelte. Die Süddeutsche Zeitung hatte diesen Umstand in einem Artikel vom 3. Juli 2014 aufgegriffen und gemutmaßt, dass Lembke daher eine V-Person der Sicherheitsbehörden gewesen sein könnte, und die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hatte diese Mutmaßung in einer Anfrage zum Oktoberfestattentat aufgegriffen (Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode: Drucksache 18/3259: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele, Irene Mihalic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Berlin 2014). Aufgrund der hier vorliegenden Mitteilung spricht jedoch viel eher einiges dafür, dass mindestens eine der Mitteilungen zu Lembkes Aktivitäten durch eine V-Person mitgeteilt worden war. Wäre Lembke selbst V-Person gewesen, so wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine sechsmonatige Beugehaft gegen ihn angeordnet worden.
[19]Die Deutschen Aktionsgruppen waren 1980 aus Mitgliedern der Deutschen Bürgerinitiativen gegründet worden und verübten zwischen Februar und August 1980 mindestens fünf Sprengstoff- und zwei Brandanschläge, bei denen mehrere Personen verletzt und die beiden Geflüchteten Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân ermordet wurden.
[20]Hier und im Folgenden: Schreiben SoKo Theresienwiese, 28.09.1980, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Microfiche Acc. 161/89 Nr. 015536.
[21]Schreiben des Kriminalkommissariats Uelzen vom 29.09.1980, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Microfiche Acc. 161/89 Nr. 015536.
[22]Schreiben des BKA vom 30.04.1981, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Microfiche Acc. 161/89 Nr. 015536.
[23]Hier und im Folgenden: Schreiben der Kripo Heidelberg vom 24.06.1981. Die Mitteilung an das BKA findet sich am Ende eines Faxes, mit dem die Kripo Uelzen den anderen im Verteiler befindlichen Dienststellen Mitteilung über den Ermittlungsstand zu Lembke macht: Schreiben des Kriminalkommissariats Uelzen vom 25.06.1981, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Microfiche Acc. 161/89 Nr. 015536.
[24]Diese Sichtweise unterstreichen auch die Stellungnahmen, die vonseiten der zuständigen Kriminalpolizeidienststelle Lüneburg gegenüber dem niedersächsischen Innenministerium vorgenommen wurden. Hier betonte die zuständige Kripo Lüneburg, dass das BKA zu diesem Zeitpunkt »bereits weitgehend in der Sache Lembke tätig« gewesen sei. Daher sei es ohnehin erstaunlich, dass das BKA den Fall nicht nach den späteren Waffenfunden direkt an sich gezogen habe. Siehe Schreiben des Leiters der Kripo Lüneburg an das Ministerium des Innern, 05.11.1981, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 100 Acc. 149/97 Nr. 152.
[25]Unter anderem Folien, die für die Verpackung von aufgefundenem Plastiksprengstoff benutzt worden waren.
[26]Der Hinweisgeber wurde dem LKA gegenüber als »anonymer Hinweisgeber« angegeben, hatte jedoch laut Vermerk der Kripo Uelzen persönlich die Fundstelle gezeigt. Siehe Vermerk der Kripo Uelzen vom 17.02.1982, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Acc. 2001/069 Nr. 11. Da die Person von der Uelzener Kriminalpolizei dennoch im Vermerk anonymisiert wurde und zugleich auf einen Fundort verweist, an dem sich unter anderem Schulungsmaterial der Polizei befand, liegt die Vermutung zumindest nahe, dass es sich bei dem Hinweisgeber selbst um einen Polizeibeamten oder zumindest einen ehemaligen Polizeibeamten handelte.
[27]Ermittlungsbericht vom 28.10.1981, in: Niedersächsisches Landesarchiv, Nds: 147 Acc. 2001/069 Nr. 11.
[28]Hier und im Folgenden Bericht der Ermittlungsgruppe Sprengstoff vom 31.10.1981, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Acc. 2001/069 Nr. 11.
[29]Bericht LKA, Abt. 6, 05.11.1981, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 100 Acc. 149/97 Nr. 152.
[30]Bericht Kriminalbeamter, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Acc. 2001/069 Nr. 6.
[31]So etwa die Hannoversche Presse: o. V.: Heideförster erhängte sich nach Geständnis in der Zelle. Zeitungsausschnitt in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 100 Acc. 149/97 Nr. 152.
[32]Hier und im Folgenden: Protokoll vom 02.11.1981, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Acc. 2001/069 Nr. 6.
[33]Hinterlassenschaften Lembkes aus der JVA, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Acc. 2001/069 Nr. 6.
[34]Schmelzer: Heinz Lembke, S. 244.
[35]Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Acc. 2001/069 Nr. 7.
[36]Schreiben SoKo Theresienwiese, 28.09.1980, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Microfiche Acc. 161/89 Nr. 015536.
[37]Vermerk BKA, 24.11.1980, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Acc. 2001/069 Nr. 7.
[38]Telefax Ermittlungsgruppe BKA vom 25.11.1981, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 100 Acc. 149/97 Nr. 152.
[39]Hier und im Folgenden: Schreiben der Kripo Lüneburg an Nds. MdI, 05.11.1981, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 100 Acc. 149/97 Nr. 152.
[40]Telefaxe vom 11.11.1981, 19.11.1981 und 25.11.1981, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 100 Acc. 149/97 Nr. 152.
[41]Siehe Anfragen des BKA vom 07.11.1981 bis 06.01.1982, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Acc. 2001/069 Nr. 11. Unter den Abfragen fanden sich auch Personen, die im Fall der Hepp-Kexel-Gruppe nach Angaben der Stasi eine wesentliche Rolle spielten und einige Monate nach dem Tod Lembkes in die Lüneburger Heide zogen, wo sie anscheinend logistische Funktionen übernahmen, siehe dazu: Salzborn: Die Stasi und der westdeutsche Rechtsterrorismus.
[42]Hier und im Folgenden: Auszug Abschlussbericht BKA, in: Niedersächsisches Landesarchiv: Nds. 147 Microfiche Acc. 161/89 Nr. 015536.
[43]Hier und im Folgenden zitiert nach Chaussy, Oktoberfestattentat, S. 226–227.
[44]Nguyễn Ngọc Châu, † 23.08.1980; Đỗ Anh Lân, † 25.08.1980; Gabriele Deutsch, Robert Gmeinwieser, Axel Hirsch, Markus Hölzl, Paul Lux, Ignatz Platzer, Ilona Platzer, Franz Schiele, Angela Schüttrigkeit, Errol Vere-Hodge, Ernst Vestner, Beate Werner, † 26.09.1980; Shlomo Lewin und Frieda Poeschke, † 19.12.1980; Seydi Battal Koparan, † 01.01.1981. Bei Celalettin Kesim, der schon am 05.01.1980 tödlich verletzt worden war, konnte der Täter nicht abschließend ermittelt werden – es könnte sich um ein Mitglied der faschistischen »Grauen Wölfe« oder der islamistischen Millî Görüş-Bewegung handeln. Am 05.01.1981 waren Kesim und einige Genossen der kommunistischen TKP von Mitgliedern beider Gruppierungen angegriffen worden, als sie Flugblätter am Kottbusser Tor in Berlin verteilten. Siehe Yücel, Deniz: Aus Liebe zu Allah, in: Jungle World, 02.01.2002, URL: https://jungle.world/artikel/2002/01/aus-liebe-zu-allah [eingesehen am 19.03.2025].
[45]Siehe auch Muschiol, Einzeltäter, S. 383-453. Um nur auf einige dieser Differenzen zu verweisen: Rechtsterroristische Gruppierungen der 1970er und frühen 1980er Jahre organisierten sich oftmals öffentlicher und versuchten, den Schritt in den Untergrund zu vermeiden; Biografien und Altersstrukturen waren heterogener als bei linksterroristischen Gruppen, was Kontinuitäten und Wissenstransfer ermöglichte; die Anziehungskraft von Militär und Exekutive auf Personen mit nationalistischen Einstellungen und die mangelnde Abwehr dieser Institutionen führten dazu, dass Verbindungen zu Personen aus Bundeswehr, Bundegrenzschutz und mitunter auch aus der Polizei häufiger anzutreffen waren; Strukturen waren oftmals kleinteilig oder in autonomen Zellen konzipiert, die zugleich ein hohes Maß an Vernetzung in kultur- und parteipolitische Organisationen des nationalistischen Feldes aufwiesen. In der zeithistorischen Wahrnehmung von Wissenschaft, Politik und Sicherheitsbehörden wurden diese Differenzen regelmäßig als defizitär wahrgenommen.