Eine radikalislamische Moscheegemeinde im Kontext von Behörden und Stadtgesellschaft

von Lino Klevesath, 29.04.2022

Am 29.04. ist die FoDEx-Studie zur Moschee des ehemaligen »Deutschsprachigen Islamkreises« in Hildesheim erschienen. Die auf Forschungsinterviews aufbauende Untersuchung geht der Frage nach, warum die Hildesheimer Moschee zu einem »Hotbed« dschihadistischer Radikalisierung wurde. Wieso ging ein Großteil der bis 2016 stattgefundenen Ausreisen aus Niedersachsen in das damals vom sogenannten »Islamischen Staat« kontrollierte Gebiet von dort aus?

Illustration der früheren Moschee des 'Deutschsprachigen Islamkreises' in Hildesheim
Die frühere Moschee des „Deutschsprachigen Islamkreises“ in Hildesheim (Bild: Arne Gellrich)
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Die 2012 gegründete Moschee war von der Öffentlichkeit lange unbeachtet geblieben, auch wenn sie bereits frühzeitig unter Beobachtung des niedersächsischen Verfassungsschutzes gestanden hatte. Nach Razzien der Sicherheitsbehörden und der Verhaftung des damaligen Imams Ahmad A., genannt »Abu Walaa«, geriet sie jedoch in den Fokus des öffentlichen Interesses. 2021 wurde Abu Walaa vor dem Oberlandesgericht Celle unter anderem wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu zehneinhalb Jahren Haft verurteilt. Da seine Anwälte Revision einlegten, ist das Urteil allerdings bis heute nicht rechtskräftig.

Die Studie basiert auf mehreren Interviews, die mit Besuchern der ehemaligen Moschee, einer Vertreterin einer anderen Moscheegemeinde, Mitarbeitenden von Behörden, Personen aus dem Bereich der sozialen Arbeit sowie einer Anwohnerin aus der Nachbarschaft der ehemaligen Moschee geführt wurden. Ergänzend werden die Ergebnisse eigener Beobachtungen des Strafprozesses gegen »Abu Walaa« und die Postings auf seinen Telegram-Kanälen hinzugezogen. In den Blick genommen wird auch, welche Wechselwirkungen zwischen der Entwicklung der DIK-Moschee und ihrem Umfeld bestanden. Dabei gilt das Augenmerk nicht nur den Besucher:innen und Unterstützer:innen der Moscheegemeinde, sondern auch der Hildesheimer Stadtgesellschaft als Ganzes.

Die Untersuchung verfolgt die Entwicklung der Moscheegemeinde von ihrer Entstehung über die Konsolidierung bis hin zu ihrer Spätphase einschließlich der Polizeirazzien sowie dem Vereinsverbot und der Schließung der Moschee. Die Studie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass das Vorhandensein einer charismatischen Führungspersönlichkeit in Person des Imams »Abu Walaa« der wichtigste Faktor dafür war, dass aus dem Raum Hildesheim weit mehr Ausreisen in das IS-Gebiet stattfanden, als angesichts der Größe der Stadt zu erwarten gewesen wäre. Hinzu kommt, dass »Abu Walaa« auf »Peer-to-Peer-Interaktionen« im Anwerbeprozess setzte und somit nicht nur gezielt seine Vertrauten für den Dschihad mobilisierte, sondern diese auch dazu inspirierte, in ihrem Freundeskreis weitere Personen anzuwerben, die sich potenziell für eine Ausreise in Richtung des IS-Gebiets und die Unterstützung der Terrororganisation gewinnen ließen. Ohne Abu Walaa wäre die Moschee wahrscheinlich eine puristisch-salafistische, in Teilen auch politisch-salafistische Moschee geblieben und hätte sich somit nicht zu einer dschihadistisch geprägten Moschee entwickelt. Zudem zeigt sich, dass die Moschee bis zum Schluss eine heterogene Gruppe von Betenden anzog und viele Personen die dschihadistische Ausrichtung nicht teilten. Der Vorstand des Vereins unterstützte Abu Walaa allerdings bis zum Schluss.

Die sozioökonomischen Probleme der Hildesheimer Nordstadt, wie es sie auch in ähnlichen Vierteln deutscher Großstädte gibt, waren hingegen nicht entscheidend für die Herausbildung der DIK-Moschee. Dass sich die Gemeinde dort ansiedelte, wurde auch durch Zufälle begünstigt. Lokale Missstände begünstigten zwar die Etablierung und Entwicklung der Gemeinde, waren jedoch keine zentrale Ursache für deren zeitweiligen Erfolg. Die Studie zeigt überdies, dass das Vorgehen der Behörden in Teilen der muslimischen Community sehr negativ wahrgenommen wurde. Daher sollte künftig geprüft werden, wie sich polizeiliche Maßnahmen sensibel gegenüber der muslimischen Teilöffentlichkeit kommunizieren lassen und inwieweit sich bei deren Durchführung religiöse Belange berücksichtigen lassen, ohne deren Effektivität zu gefährden. Zudem zeigt die Studie beispielhaft, welche eine wichtige Rolle Orte im Radikalisierungsprozess spielen können. Daher sollten Präventionsprogramme nicht nur das Radikalisierungsrisiko von Individuen in den Blick nehmen, sondern auch auf die Rolle einzelner Moscheegemeinden fokussieren. Hilfreich wäre die Herausbildung attraktiver religiöser Angebote für muslimische Jugendliche, die Alternativen zu einem rigiden Salafismus darstellen würden.

Die vollständige Studie kann unter https://www.fodex-online.de/publikationen/dik-hildesheim abgerufen werden.