Die Redewendung, jemand sei »vom Glauben abgefallen«, ist gemeinhin bekannt und bezeichnet heute losgelöst von jeder religiösen Bedeutung die Fassungslosigkeit angesichts eines besonders negativen Ereignisses. Für islamische Gelehrte ist mit dem Glaubensabfall jedoch eine theologische und islamrechtliche Debatte verbunden. In der islamischen Rechtstradition wird der Akt, eine sich zum Islam bekennende Person als vom Glauben abgefallen einzustufen, als Takfīr bezeichnet. Dieser Glaubensabfall wird als Verbrechen angesehen und zieht mehrere Konsequenzen nach sich, beispielsweise im Erb- und Familienrecht. Einem Hadith zufolge soll ein Apostat sogar mit dem Tod bestraft werden.[1]

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Takfīr zur gängigen Praxis radikalislamischer Bewegungen und Gruppierungen wie der Muslimbruderschaft, Terrororganisationen wie Al-Qāʿida und dem Islamischen Staat. Mit dieser Praxis zielen sie nicht nur auf einzelne Individuen ab, sondern versuchen seit geraumer Zeit mit dem Takfīr auch den Dschihad gegen Institutionen, ganze Staaten oder Nicht-Muslim:innen zu rechtfertigen und zu legitimieren.[2] Diese Praxis steht einem traditionellen Verständnis von Takfīr gegenüber, nach welchem dieser nicht von jedem und nur gegenüber konkreten Personen ausgesprochen werden kann. Laut der Islamwissenschaftlerin Justyna Nedza wird die Anwendung des Takfīr auf komplette Institutionen durch radikalislamische Gruppen von einer theologischen und islamrechtlichen Auseinandersetzung gestützt, in welcher die Notwendigkeit, den Takfīr auf ein konkretes Subjekt zu beziehen, aufgeweicht wird.

Nedza setzt sich daher in ihrer Monografie »Takfīr im militanten Salafismus: Der Staat als Feind” mit dieser modernen Takfīr-Praxis unter radikalislamischen Akteuren auseinander. Sie analysiert, warum und wie der Takfīr von ausgewählten islamischen Gelehrten begründet und für politische Zwecke instrumentalisiert wird. Dafür untersucht sie die Schriften von Saiyid Imām, einem islamischen Rechtsgelehrten und Theoretiker des Dschihadismus aus Ägypten, und von den in Saudi-Arabien wirkenden Rechtsgelehrten Alī al-Ḫuḍair, Nāṣir al-Fahd und Aḥmad al-Ḫālidī. Nedza ergründet zudem, inwiefern das Aussprechen des Takfīr von radikalislamischen Gruppierungen genutzt wird und die Schriften der vier Autoren dafür als Legitimation dienen können (202[3]).

Der deutsche Politikwissenschaftler Heiner Vogel stellte fest, dass sich in der Zeit der Corona-Pandemie viele theologische Diskurse, auch deutscher radikalislamischer Akteur:innen, ins Internet verlagert hätten. Das Bezichtigen des Takfīr werde dort genutzt, um beispielsweise die eigene Legitimität zu erhöhen.[4] Nedzas Monografie erscheint daher trotz ihres Fokus auf die Auseinandersetzung mit Takfīr in Ägypten und Saudi-Arabien auch für Deutschland relevant, um die von Vogel beschriebenen Dynamiken besser einordnen zu können.

Im Folgenden wird zunächst das vierte Kapitel vorgestellt, in welchem Nedza die These entwickelt, dass die vier Rechtsgelehrten ihre Auslegung des Takfīr an ihren eigenen politischen Zielen orientieren und den Takfīr so als politisches Instrument nutzen. Daran schließen wir unsere Kritik an, dass weder die Takfīr-Praxis radikalislamischer Gruppen noch die islamrechtliche Legitimation durch radikalislamische Gelehrte in einem politisch-gesellschaftlichen Vakuum vollzogen, sondern durch moderne politische Praktiken und nicht-theologische Vorstellungen beeinflusst werden; die Rechtsgelehrten verleihen ihr erst ihre scheinbare Unabhängigkeit und rein theologische Gestalt. Dies wird deutlich am Beispiel des politischen Islam. Das Wissen um den Einfluss moderner nicht-theologischer Begriffe und Praxen und deren anschließende islamrechtliche Legitimation durch radikalislamische Gruppen ist essenziell, um das moderne Takfīr-Phänomen und dessen Konsequenzen, die noch weitgehend unerforscht sind, zu verstehen.

Nedzas Analyse im Überblick: Theologisch-rechtliche Einordnung des Takfīr

Nedza arbeitet heraus, wie die vier Rechtsgelehrten die Praxis des Takfīr in ihrem besonderen nationalen Referenzrahmen ausüben und instrumentalisieren, um ihren religiösen Standpunkt zu vertreten, die jeweilige Regierung ihres Landes zu verurteilen und ihre eigene Deutungshoheit zu legitimieren. Sie erhebt den Anspruch, ebenfalls zu bestimmen, »welche Rolle dem jeweiligen räumlich und zeitlich konkreten sozio-politischen Kontext […] zukommt« (18). Auch sie erwähnt den politischen Islam[5] als Einflussfaktor, doch ihr Augenmerk liegt darauf, wie die Rechtsgelehrten den Takfīr theologisch und islamrechtlich begründen.

Nedza führt zunächst in das Verständnis von Glauben ein, da nur darüber Unglaube konzeptionell verstanden werden könne. Dabei widmet sie sich der in der islamischen Theologie diskutierten Frage, ob der Glaube »eine innere Überzeugung, eine Handlung, oder beides ist« (96). Der ägyptische Rechtsgelehrte Saiyid Imām geht davon aus, dass der Mensch im Gegensatz zu Gott keinen Einblick in die inneren Überzeugungen eines Menschen haben und der Glaube deshalb nur anhand von Handlungen erkannt werden könne (97). Dabei reiche nach seiner Vorstellung eine einzige islamwidrige Handlung aus, um erkennbar zu machen, dass ein Mensch innerlich vom Glauben abgekehrt sei. Auch nach den drei saudischen Gelehrten könne eine einzige dem Islam widersprechende Handlung selbst durch das Abstreiten des eigenen Unglaubens nicht wiedergutgemacht werden. Allerdings führen nur solche Handlungen zum Apostasie-Vorwurf, die als großer Unglaube eingestuft werden (97).

Der zentrale Vorwurf, den besonders Saiyid Imām, aber auch die drei saudischen Gelehrten anführen, und als großen Unglauben einstufen, ist die Herrschaft wider die Scharia. Saiyid Imām begreift Religion (Dīn), ähnlich wie frühere Anhänger des politischen Islam, als allumfassendes System, welches die politische und private Sphäre miteinschließt, und verbindet die Frage nach politischem Gehorsam mit dem Glauben an das Jenseits (13, 30f., 104f. und 243). Die drei saudischen Gelehrten berufen sich bei der Rechtfertigung ihrer Positionen auf die Lehren des für den saudischen Mehrheitsislam prägenden Ibn ʿAbd al-Wahhābs (1703–1792).[6] Sie sehen besonders das Bekenntnis zur unteilbaren Herrschaft Gottes durch das saudische Königshaus verletzt, da für sie die Anerkennung Gottes als einziger legitimer Gesetzgeber zum Kern des Islam gehört (105). Neben dem Vorwurf der Herrschaft wider die Scharia betonen die drei saudischen Gelehrten auch den Bruch des Prinzips von Loyalität und Abgrenzung (al-walā’wa-l-barā’) durch die saudische Regierung.[7] Das Prinzip der Abgrenzung oder Nicht-Anerkennung wird nach Ansicht der drei saudischen Gelehrten dann verletzt, wenn Loyalität oder Sympathie gegenüber Nichtmuslim:innen gezeigt werde (114). Dabei liegt der Loyalitätsbruch, der großen Unglauben sichtbar macht, vor allem in der Unterstützung von Nichtmuslim:innen im Kampf gegen Muslim:innen. Die Kritik der drei saudischen Gelehrten richtet sich insbesondere gegen die diplomatischen und militärischen Beziehungen Saudi-Arabiens zu den USA. Sie rechtfertigen mit dem Prinzip der Abgrenzung auch den Kampf gegen Nicht-Muslim:innen. Der Politikwissenschaftler Stéphane Lacroix beschreibt beispielsweise, wie das Prinzip al-walā’wa-l-barā’ von sogenannten Neojihadis in Saudi-Arabien aktiv genutzt wurde, um dem Westen den Krieg zu erklären.[8] Saiyid Imām hingegen beschäftigt sich weniger mit der Beziehung zwischen Muslim:innen und Nichtmuslim:innen, sondern kritisiert direkt die sich zum Islam bekennenden Herrscher in Ägypten für die von ihm behauptete Herrschaft wider die Scharia.

Anschließend analysiert Nedza die Ausführungen der untersuchten Autoren zu den islamrechtlich zu erfüllenden Bedingungen für den Takfīr-Vollzug. Ein Takfīr-Urteil ist demnach islamrechtlich unter anderem nur dann rechtskräftig, wenn es sich auf eine konkrete Person und eine konkrete Handlung bezieht. Sollte kein mildernder Umstand gegeben sein, ist die Beweisführung beendet. Der vermeintliche Apos­tat oder die vermeintliche Apostatin kann nun Buße tun, die von der Gemeinschaft akzeptiert oder abgelehnt wird. Bei Ablehnung folgt die Todesstrafe (137f.). Nedza arbeitet präzise heraus, dass Saiyid Imām hier mit auf den ersten Blick rein theologischen Ausführungen auf die ägyptische Regierung und die drei saudischen Gelehrten auf die Regierung Saudi-Arabiens und ihre Repräsentanten abzielen. Diese sind zwar als Kollektiv zu betrachten, doch alle vier wenden die Beweisführung gegen diese Körperschaften genauso an wie beim konkreten, auf Personen gerichteten Takfīr und relativieren oder lehnen in ihrer Beweisführung sogar alle mildernden Umstände ab, die bei einem Takfīrurteil erwogen werden müssen (152ff.). Der Takfir wird von ihnen ausgesprochen, um letztlich den physischen Kampf, also den Dschihad gegen diese Regierungen, zu rechtfertigen.

Takfīr-Analyse jenseits der theologischen Perspektive

Nedza betont, wie eingangs erwähnt, dass sie die Grundüberzeugung radikalislamischer Denkströmungen nicht nur aus theologisch-rechtlicher Perspektive analysieren, sondern möglichst auch auf den sozio-politischen Kontext eingehen möchte, mit deren Hilfe man das Denken moderner radikalislamischer Gruppierungen besser begreifen könne (18f.). Nedza weist beispielsweise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich die Praxis des Takfīr bei modernen militanten Salafisten in vielfacher Hinsicht vom Takfīr-Verständnis der traditionellen islamischen Rechtsschulen unterscheidet, und dass dieser Unterschied insbesondere im Fall von Saiyid Imām durch den Einfluss des Gedankenguts des politischen Islam ausgemacht werde (13).

Dieser Einfluss lässt sich – im Gegensatz zum traditionellen islamischen Verständnis – beispielsweise in der Betonung der Urteilsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit jedes Individuums finden. Damit einher geht bei den untersuchten Rechtsgelehrten die Vorstellung, dass der Dschihad und das Aussprechen des Takfīr Pflichten eines jeden muslimischen Individuums seien und nicht nur dem Herrscher oder einem bestimmten Rechtsgelehrten überlassen werden sollten (14f. und 218). Diesem modernen Verständnis liegt die von den klassischen Vertretern des politischen Islams elaborierte Grundüberzeugung zugrunde, der zufolge die muslimische Gemeinschaft aufgrund selbstverschuldeter Unwissenheit und unzureichender Glaubenspraxis in die vorislamische, heidnische Unwissenheit (Ǧāhilīya) zurückgefallen sei (8 und 13f.), wodurch erst der Fokus auf die Notwendigkeit eines individuellen Handelns als Lösung für die Probleme der islamischen Länder ermöglicht und gerechtfertigt wird. In diesem Zusammenhang ist auch die Forderung nach einer Praxis der selbstständigen Interpretation (Iǧtihād) von Koran und Sunna statt der blinden Befolgung bereits existierender Interpretationen (Taqlīd) zu verstehen.[9]

Nedza bleibt allerdings bei diesem Hinweis stehen und beschränkt sich in ihrer Analyse weitgehend auf die Frage, wie die von ihr untersuchten Gelehrten ausgehend von Ideen und Vorstellungen, die sie in ihrem intellektuellen Umfeld vorgefunden haben, den Takfīr und Dschihad durch eine Verknüpfung mit den islamischen Quellen umdeuten und zu rechtfertigen versuchen. Sie untersucht dabei allerdings zu wenig die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und Praktiken, die diese Ideen hervorgebracht haben, beziehungsweise ihnen ihre Bedeutung geben. Damit vermittelt sie den Eindruck, als handele es sich bei den Schriften der von ihr untersuchten vier Autoren um einen in seinem Wesen theologischen Diskurs und nicht um einen Fall von Theologisierung eines im Kern politischen und nicht-theologischen Diskurses.[10]

Dies steht im Gegensatz zu einem Bild, das beispielsweise der politische Theoretiker Andrea Mura in Bezug auf radikalislamische Diskurse im 20. Jahrhundert entwirft:

»When advocating the authenticity of the past, the aim is often to face the present, reformulating tradition in a language consonant with such aspirations. […] It is by following this process that, for instance, an Islamisation of modernity took place as an effect of colonisation, revealing a counter-hegemonic and assertive use of tradition. […] Political and economic changes have accordingly been legitimised and realised through the creative re-elaboration of the past and the dynamic re-interpretation of tradition.«[11]

Deshalb bedarf es bei der Auseinandersetzung mit Diskursen im Allgemeinen und denen radikalislamischer Akteur:innen im Besonderen einer Analyse, die sowohl traditionell theologischen als auch (modernen) nicht-theologischen Praxen Rechnung trägt, indem sie sie zuerst als solche identifiziert und dann auf die Logik ihrer Artikulation in dem untersuchten Diskurs eingeht.[12] Denn Begriffe und Ideen sind nicht für sich isolierte und unabhängig von anderen Begriffen und Ideen existierende Bedeutungsträger, sondern sie erlangen ihre Bedeutung erst durch ihre Stellung und Verbindung zu anderen Begriffen und Ideen innerhalb eines vielschichtigen Diskurses.[13]

Doch wird eine so differenzierte Untersuchung von Nedza nicht geleistet. Die Autorin geht beispielsweise kaum auf den Einfluss moderner und nicht-islamischer Diskurse oder auf das Nachwirken des Kolonialismus in den Texten der vier Autoren ein.[14] Es bleibt daher fraglich, ob die Autorin sozio-politische Einflüsse als entscheidende Faktoren ernst nimmt oder sie nicht vielmehr lediglich als Hintergrund bestimmter Debatten über Rechtsinterpretationen begreift.[15]

Durch den Fokus auf die Rechtshermeneutik wird verkannt, dass die von der Autorin untersuchten radikalen und antidemokratischen Diskurse eher als Symptome zu verstehen sind, deren Ursachen in sozio-politischen Umständen liegen. Doch erst durch diese Erkenntnis lässt sich zumindest theoretisch eruieren, wie man Radikalisierungsprozessen in der islamisch geprägten Welt und unter Muslim:innen in mehrheitlich nicht-muslimischen Ländern entgegenwirken kann. Eine solche Analyse wird von der Autorin indes nur vereinzelt geleistet, beispielsweise in Bezug auf die drei saudischen Gelehrten, deren Kritik und Takfīr gegenüber anderen saudischen Gelehrten und oppositionellen Stimmen die Regierung lange Zeit duldete, aber auf regierungskritische Ansichten und Takfīr gegenüber regierungsnahen Personen sehr schnell mit scharfen Sanktionen reagierte (89f.). Dies zeigt sehr gut, dass den drei saudischen Gelehrten in diesem Fall zunächst bewusst – aus realpolitischen und pragmatischen Gründen – eine künstlich geschaffene politische Subjekthaftigkeit eingeräumt wurde, was die Gelehrten bis zu ihrer Sanktionierung zur Annahme verleitete, jeder Muslim könne frei eine ähnliche Takfīr-Praxis üben, ohne Sanktionen fürchten zu müssen.

Sobald jedoch dieser künstlich geschaffene (Spiel-)Raum und die damit einhergehende moderne Takfīr-Praxis konsequent angewandt werden, ergeben sich weitreichende Konsequenzen. Die von militant salafistischen Akteur:innen geübte Takfīr-Praxis kann beispielsweise zu einer tiefen Spaltung und Polarisierung innerhalb der muslimischen Gemeinschaft und des salafistischen Milieus selbst führen. Das kann erklären, warum die drei saudischen Gelehrten nicht gezögert haben, moderne und liberale Muslim:innen aufgrund ihrer Ansichten des Glaubensabfalls zu bezichtigen, salafistische Prediger aus ihrem intellektuellen Milieu, die ähnliche Positionen vertreten haben, hingegen nur leicht kritisieren konnten bzw. wollten (86ff.). Die Takfīr-Praxis löst also ihre eigenen Dynamiken aus, die schnell zu Feindseligkeiten und Konflikten führen, die den sozialen Zusammenhalt untergraben können. Dies ist heute umso mehr der Fall, da sich die Praxis in die Welt der sozialen Medien verlagert hat.[16]

Resümee

In ihrem Buch zur Takfīr-Praxis moderner radikalislamischer Gruppen und Akteure am Beispiel von vier islamischen Rechtsgelehrten widmet Jusyna Nedza große Teile der Rekonstruktion und Erklärung der von diesen Rechtsgelehrten praktizierten Rechtshermeneutik. Beeindruckend in ihrer Arbeit sind die detaillierte Darstellung und Auseinandersetzung mit den islamischen Rechtstraditionen und die Erhellung ihrer Komplexität, Ambiguität und Nicht-Homogenität. Der Fokus auf die Rechtshermeneutik und die theologisch-rechtliche Ebene erweckt allerdings unvermeidlich den Anschein, als handele es sich bei der Takfīr-Praxis und dem Phänomen des politischen Islam im Allgemeinen um Gegenstände rein theologischer beziehungsweise religiöser Natur. Damit wird das Narrativ radikalislamischer Gruppen reproduziert, die ihre Positionen als rein theologisch darstellen und im Rekurs auf theologische Begriffe zu rechtfertigen versuchen. Dies lenkt den Fokus weg von den realen Ursachen hinter dem Phänomen des religiösen Extremismus und erschwert deshalb eine effektive Auseinandersetzung mit demselben. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Phänomen des politischen Islam, die insbesondere seiner historischen Gewachsenheit, sozio-politischen Bedingtheit und damit der Vielschichtigkeit radikalislamischer Diskurse gerecht wird, könnte hingegen den Weg für einen informierteren Umgang mit dem Phänomen des religiösen Extremismus ebnen.

Buchcover Justyna Nedza: Takfir im militanten Salafismus
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Literatur::
Ahmad, Irfan: Mawdudi Syed Abul al-A’la, in: Bowering, Gerhard/Crone, Patricia/Kadi, Wadad/Stewart, Devin J./Zaman, Muhammad Qasim/Mirza, Mahan (Hrsg.):
The Princeton Encyclopedia of Islamic Political Thought, Princeton 2013.

Althusser, Louis: Einleitung in die Philosophie für Nichtphilosophen, Wien 2018.

Eagleton, Terry: Literary Theory. An introduction, 2. Auflage, Minneapolis 1996.

Klevesath, Lino: Antisemitismus unter Muslim:innen oder ›muslimischer Antisemitismus‹? Zur Frage der konzeptionellen Fassung eines gesellschaftlichen Problems, in: Demokratie-Dialog, H.10/2022, S. 26–34, https://doi.org/10.17875/gup2022-1941.

Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. 3. Auflage, Frankfurt a. M. 1988.

Lacroix, Stéphane: Awakening Islam. The Politics of Religious Dissent in Contemporary Saudi Arabia, London 2011.

Laoust, Henri: Ibn ʿAbd al-Wahhāb”, in: Bearman, Peri et al. (Hrsg.): Encyclopaedia of Islam, Second Edition, Leiden 2012, http://dx.doi.org/10.1163/1573-3912_islam_SIM_3033.

Mura, Andrea: The Symbolic Scenarios of Islamism. A Study in Islamic Political Thought, Farnham/Surrey 2015.

Nedza, Justyna: Takfīr im militanten Salafismus. Der Staat als Feind, Leiden/Boston 2020.

Qutb, Sayyid: Ma’rakatuna ma’a l-Yahud, 12. Auflage, Kairo 1993.

Šabasevičiūtė, Giedrė: Sayyid Qutb. An Intellectual Biography, Syracuse 2021.

Sunan an-Nasa‹i 4059, Buch 37, Hadith 49, URL: [eingesehen am 24.06.2023].

Vogel, Heiner: Ein Haufen Schutt. Die salafistisch-dschihadistische Szene im Umbruch, in: Bundeszentrale für politische Bildung, 22.11.2022, URL: https://www.bpb.de/themen/infodienst/515398/ein-haufen-schutt/ [eingesehen am 08.07.2023].

Wagemakers, Joas: Framing the threat to Islam. Al-Walā ʾ wa-l-barā ʾin Salafi Discourse, in: Arab Studies Quarterly, Jg. 30 (2008), H. 4, S. 1–22.

[1] Vgl. dazu Sunan an-Nasa‹i 4059, Buch 37, Hadith 49. URL: https://www.bpb.de/themen/infodienst/515398/ein-haufen-schutt/ [eingesehen am 24.06.2023]. Die meisten mehrheitlich muslimischen Länder wenden aber heute nicht das schariarechtliche Strafrecht an.

[2] Nedza, Justyna: Takfir im militanten Salafismus. Der Staat als Feind, Leiden/Boston 2020, S. 13 und 16.

[3] Sofern im Text Seitenzahlen in Klammern angegeben sind, beziehen sie sich in Folge sämtlich auf Nedza, Justyna: Takfir im militanten Salafismus. Der Staat als Feind, Leiden/Boston 2020.

[4] Vogel, Heiner: Ein Haufen Schutt. Die salafistisch-dschihadistische Szene im Umbruch, in: Bundeszentrale für politische Bildung, 22.11.2022, URL: https://www.bpb.de/themen/infodienst/515398/ein-haufen-schutt/ [eingesehen am 08.07.2023].

[5] Zu den klassischen Vertretern des politischen Islam gehören Sayyid Qutb (1906-1966) aus Ägypten und Abul A‹la Maududi (1903-1979) aus Indien. Beide Denker sind unter britischer Kolonialherrschaft geboren und bereits in ihrer akademischen Ausbildung mit modernem westlichen Denken in Berührung gekommen und haben sich davon unterschiedlich inspirieren lassen. Vgl. dazu Ahmad, Irfan: Mawdudi Syed Abul al-A‹la, in: Bowering, Gerhard et al. (Hrsg.): The Princeton Encyclopedia of Islamic Political Thought. Princeton 2013, S. 333 und Šabasevičiūtė, Giedrė: Sayyid Qutb. An Intellectual Biography, Syracuse 2021, S. 7f.

[6] Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb war ein hanbalitischer Gelehrter und orientierte sich strikt an Koran und Sunna. Seine Lehren sind die Grundlage für die Auslegung des Islam in Saudi-Arabien und bilden dort die Staatsreligion. Unter anderem der Islamische Staat legitimiert einige seiner Taten mit der ideologischen Grundlage Ibn ʿAbd al-Wahhābs, siehe
Laoust, Henri: Ibn ʿAbd al-Wahhāb”, in: Bearman, Peri et al. (Hrsg.): Encyclopaedia of Islam, Leiden 2012, URL: https://www.bpb.de/themen/infodienst/515398/ein-haufen-schutt/ [eingesehen am 26.06.2023].

[7] Während walā’ die uneingeschränkte Loyalität gegenüber Gott, dem Islam und Mitgläubigen meint, bedeutet barā’ die Nicht-Anerkennung oder die Abgrenzung von allem, was unislamisch ist, vgl. Wagemakers, Joas: Framing the threat to Islam. Al-Walā ʾ wa-l-barā’ in Salafi Discourse, in: Arab Studies Quarterly, Jg. 30 (2008), H. 4, S. 1–22, hier S. 3.

[8] Lacroix, Stéphane: Awakening Islam. The Politics of Religious Dissent in Contemporary Saudi Arabia, London 2011, S. 249f.

[9] Vgl. Mura, Andrea: The Symbolic Scenarios of Islamism. A Study in Islamic Political Thought, Farnham/Surrey 2015, S. 38.

[10] Der moderne antisemitische Diskurs bei Vertretern:innen des politischen Islam kann als klassisches Beispiel hierfür genommen werden. So ist die antisemitische Vorstellung von Jüd:innen, die die Welt kontrollierten und deshalb als ewige Feinde anzusehen seien, modernen westlichen Ursprungs, die man in der Form in den klassischen islamischen Texten nicht finden kann. Dennoch hat sie ihren Weg in das Denken vieler radikalislamischer Denkströmungen gefunden und ist erst im Nachhinein von deren Vertretern:innen durch einen Rekurs auf islamische Quellen gerechtfertigt worden, vgl. dafür Qutb, Sayyid: Ma’rakatuna ma’a l-Yahud, 12. Auflage, Kairo 1993 und Klevesath, Lino: Antisemitismus unter Muslim*innen oder ›muslimischer Antisemitismus‹? Zur Frage der konzeptionellen Fassung eines gesellschaftlichen Problems, in: Demokratie-Dialog, H.10/2022, S. 26–34, https://www.bpb.de/themen/infodienst/515398/ein-haufen-schutt/.

[11] Mura: The Symbolic Scenarios of Islamism, S.36.

[12] Vgl. dazu Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1988, S. 258. und Althusser, Louis: Einleitung in die Philosophie für Nichtphilosophen, Wien 2018, S. 133f.

[13] Vgl. Eagleton, Terry: Literary Theory. An introduction, Minneapolis 1996, S. 110f.

[14] Die Begriffe Kolonialismus/Kolonialmacht kommen im Buch nur fünf Mal vor, vgl. Nedza: Takfir im militanten Salafismus, S. 330.

[15] Die Autorin verwendet in diesem Zusammenhang oft Begriffe wie »nationaler Rahmen”, »Lebensbiografie” und »Bezüge zur Kolonialgeschichte”, ohne sie genau zu erklären. Es fehlt eine klare Differenzierung und Erläuterung davon, mit welcher Art von Prägung und Beeinflussung wir es hier zu tun haben (vgl. S. 18, 50, 267).

[16] Vgl. Vogel: Ein Haufen Schutt.
Takfīr als politisches Instrument
Rezension von Justyna Nedza (2020): Takfīr im militanten Salafismus. Der Staat als Feind