Hakenkreuze, Runen, Drohungen – seit Frühjahr 2018 beklagen unterschiedliche Vertreter*innen[1] der Göttinger Zivilgesellschaft eine Häufung von Schmierereien und Sachbeschädigungen mit mutmaßlich rechtsradikalem Hintergrund.[2] Der Innenstadtbereich, vor allem aber das Gebiet um den Campus, sei das bevorzugte Ziel der TäterInnen. Als sich die Frequenz der Übergriffe Anfang 2019 erhöht, sogar Bremsschläuche von vor studentischen Wohnprojekten geparkten Fahrrädern manipuliert werden, beginnt sich auch die Lokalpresse für das Thema zu interessieren. Jetzt meldet sich auch die Universität zu Wort – und zeichnet ein ganz anderes Bild der Lage: Im vergangenen Jahr habe es keinen nennenswerten Anstieg an der rechten Szene zuzuordnenden Sachbeschädigungen gegeben.[3] Dieser offenkundige Widerspruch ist Grund genug, nachzuhaken, was sich am und um den Campus der Georgia Augusta abspielt.

Rechtsradikale Provokation: zwischen Codes und offenen Drohungen

Graffito FUCK ZOG unter einem Erdgeschossfenster des Sociooeconomicums am Campus der Universität Göttingen.»Ekelhaft« und »[e]infach nur furchtbar […]«[4] – so reagieren Göttinger Studierende am Morgen des 30. Mai 2018 auf zwei über Nacht an der Fassade des sogenannten Oeconomicums angebrachte Schriftzüge. Neben der Pforte am Gebäude der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultäten steht in schwarzer Farbe und versehen mit Hakenkreuzen der Schriftzug »Fuck ZOG« auf der einen sowie »Trans’ lives don’t matter« auf der anderen Seite. Schnell meldet sich die studentische Vertretung der angehenden Sozialwissenschaftler*innen (FSR SoWi) mit einer Einordnung zu Wort: »ZOG steht in rechten und verschwörungstheoretischen Kreisen für ›Zionist Occupied Government‹. Darin offenbart sich eine zutiefst antisemitische Sichtweise, die davon ausgeht, die gewählte Regierung würde nur aus ›Marionetten‹ einer im Hintergrund agierenden und die eigentliche Macht ausübenden Elite bestehen.«[5] Weiter deutet der FSR der bei den Hochschulwahlen mehrheitlich rot-grün wählenden sozialwissenschaftlichen Fakultät die Schmierereien nicht nur als Ausdruck eines modernen Antisemitismus, sondern auch als Angriff gegen die Studierendenvertretung selbst.

Dass sich die Aufschrift nämlich ausgerechnet unter dem Fenster der Fachschaft befinde, die sich in der Vergangenheit immer wieder zum Thema positioniert und ihre Räumlichkeiten nach außen mit einem Spruchband »Gegen jeden Antisemitismus!« versehen hat, sei kein Zufall, sondern vielmehr ein Angriff auf Positionen und das eigene politische Engagement. Mit Verweis auf die zweite Schmiererei, die Trans*personen die körperliche Unversehrtheit abspreche, sieht der FSR das Bedürfnis der TäterInnen nach verbaler wie physischer Bedrohung als deren Antrieb.[6] In derselben Nacht taucht am Gebäude der Ur- und Frühgeschichte die im Schriftbild ähnliche Parole »HOLO-MÄR – QUI BONO? – MASSENEINWANDERUNG IST VÖLKERMORD« auf.[7]

Schon Wochen vor den Vorfällen registrierten antifaschistische Initiativen eine Häufung von »Aufkleber[n], mit Filzstift aufgetragenen Kritzeleien, Sprühereien sowie in Parkbänke und Bäume eingeritzte Parolen und Symbole« in Campusnähe.[8] Immer wieder werden Vorfälle dieser Art publik. Die Motive sind verknüpft mit nationalsozialistischer Ideologie, bedienen wiederholt das antisemitische Verschwörungsbild einer »ZOG« oder richten sich gegen Trans*-Personen sowie »Zecken« oder »Antifa« als politische Gegner*innen. Mehrfach werden auch Universitätsgebäude mit entsprechenden Parolen versehen.

Graffiti auf einem Gebäude der Georg-August-Universität Göttingen: Rote Sanieren und Zecken entfernen.

Umso mehr irritiert eine Aussage des Universitätssprechers Romas Bielke, in welcher er Bezug auf die angesprochenen rechten Schmierereien nimmt. Nachdem im Januar Unbekannte das Zwangsarbeiter*innen-Mahnmal vor dem Seminar für Lateinische Philologie beschädigt und mit der – in rechtsradikalen Kreisen beliebten – Ehlaz-Rune[11] versehen hatten, sagte dieser dem Göttinger Tageblatt: »Im vergangenen Jahr hatten wir vier Graffitis, die wir inhaltlich der rechten Szene zuordnen konnten«[12], was in etwa der Anzahl der Vorjahre gleichkäme. Erst ein Hintergrundgespräch, das der Autor mit zwei Mitarbeitern des universitären Gebäudemanagements geführt hat, brachte Klarheit, wie Bielke zu seiner – den sonstigen Wahrnehmungen widersprechenden – Einschätzung gekommen war.

»Schmierereien wie jede andere«

»Für uns sind das zunächst Schmierereien wie jede andere und egal, ob von links, von rechts oder wie auch immer motiviert, müssen die entfernt werden«, erzählt der Mitarbeiter des Gebäudemanagements. Im Gespräch verdeutlicht er, dass von unangemeldeten kommerziellen Inhalten über fehlplatzierte Liebeserklärungen bis hin zu politischen Botschaften zunächst alles erfasst und dokumentiert, dann zur Anzeige gebracht und entfernt werde. »Wir entfernen alles, was dort nicht sein sollte, zunächst ohne die Inhalte genauer zu prüfen.« Lediglich Botschaften mit offensichtlich verfassungsfeindlichem Inhalt oder persönliche Beleidigungen würden von den Mitarbeiter*innen priorisiert entfernt. Insgesamt sei die Zahl rechter Botschaften am Campus, verglichen mit der Gesamtzahl solcher Vorfälle, jedoch gering. Wie beide Mitarbeiter schildern, hätten ohnehin eher linke Graffiti Konjunktur. »Ich bin das neulich nochmal durchgegangen und habe für 2018 vier Fälle gezählt, die ich rechts einordnen würde, und 2017 einen Fall«, berichtet der für Schadensbeseitigung zuständige Mitarbeiter des Gebäudemanagements und fügt hinzu: »Ich könnte nicht sagen, ob es eine Tendenz gibt. Zum einen ist die Anzahl so gering und zum anderen ist, was es [das Graffito, Anm. des Autors] genau aussagt, oft nicht bekannt.« So habe er bspw. beim Schriftzug »IN TYRANNOS« an einem Universitätsgebäude erst im Nachhinein erfahren, dass es sich dabei um den Namen einer Rechtsrock-Band handle. Auch die mehrfach am Campus aufgetauchte Ehlaz-Rune habe ihn eher an ein »Atari-Zeichen, wie früher bei Computern«, erinnert. Erst mit dem Angriff auf das Zwangsarbeiter*innen-Mahnmal habe man vermutet, aus welcher Ecke die Beschädigungen stammten.

Im Gespräch wird deutlich, dass die Schadensfälle registriert und professionell entfernt werden. Die Fachleute erinnern sich im Einzelfall noch genau an die Art der verwendeten Farbe, welche Runen leicht zu entfernen waren und mit welchen Schriftzügen man länger zu tun hatte. Expertise besteht hier naturgemäß in der Beseitigung von Schäden, während eine inhaltliche Auseinandersetzung richtigerweise nicht in den Bereich der Verwaltung fällt. Gerade weil dem so sei, werde über die Dokumentation der Schadensfälle hinaus auch keine valide Statistik geführt. Außerdem beschäftige sich das Gebäudemanagement nur mit Fällen an Universitätsgebäuden; Schmierereien bspw. an Müllcontainern, die Drittanbieter*innen auf dem Campus betreiben, würden ebenso wenig beachtet wie Drohungen an Student*innenwohnheimen, für die das Studentenwerk zuständig sei. Auch existiere keine genaue Zählung: Treten in einer Nacht mehrere ähnliche Sachbeschädigungen auf, würden diese gesammelt als eine Schadensmeldung registriert und zur Anzeige gebracht. Ob es sechs oder sechzig Schriftzüge gebe, sei beim Stellen des Antrags auf Schadensausgleich egal – das Entfernen werde schließlich ebenfalls gemeinsam berechnet. Insofern wirft das Hintergrundgespräch die Frage auf, inwiefern die Zählung von Uni-Sprecher Bielke tatsächlich Grund zur Entwarnung geben kann oder ob der beinahe verharmlosende Umgang mit den Schmierereien von offizieller Seite nicht eher dazu beiträgt, die Situation zu verschärfen.

Von anfänglicher Provokation über Gewalt zur Normalisierung

Warum also könnte ein solcher Umgang mit der Situation seitens der Verantwortlichen gefährlich sein? Ignorierten demokratische Einrichtungen Vorfälle wie diese oder redeten sie sogar klein, könne dies zu einer Verschärfung der Problematik führen. Zu diesem Ergebnis gelangen Olaf Sundermeyer, Claudia Luzar und Dierk Borstel in einer 2012 veröffentlichten Studie, die rechte Geländegewinne in Dortmund anhand des Analyseschemas des Raumordnungskampfs untersucht.[13] Zurückhaltung habe in der Vergangenheit Rechtsradikalen in Dortmund geholfen, »sich weitgehend unbehelligt auszubreiten, ganze Wohngemeinschaften mit ihren Kameraden zu belegen, vor allem linksalternative Jugendliche und Migranten zu malträtieren, einige Straßen und Plätze strategisch zu besetzen und einen der wichtigsten jährlichen Aufmärsche der rechtsextremen Szene in Europa zu organisieren.«[14] Weiter heißt es: »Schwindet der Einfluss der Demokraten unter dem Druck rechtsextremer Akteure in einem konkreten Kontext, soll von rechtsextremen Geländegewinnen gesprochen werden.«[15]
Graffito auf einem Gebäude der Georg-August-Universität Göttingen: Umvolkung stoppen!

Die Forscher*innen beschreiben vier aufeinanderfolgende Schritte rechtsextremer Wirkungsmacht, die zugleich als zentrale Kriterien dienen, »um die Wirkungsmacht der jeweiligen rechtsextremen Gruppe beschreiben zu können«[16]: (1.) Provokationsgewinne (ein Raum wird z.B. durch Sprühereien markiert und die Gruppe damit als ernst zu nehmend im Sozialraum präsentiert), (2.) Räumungsgewinne (der Versuch, eine andere Gruppe in einem Raumordnungskampf zu verdrängen, in begrenzten Räumen zu bestimmten Zeiten, z.B. Eindringen in Jugendzentren), (3.) Raumgewinne (rechtsextreme Gruppen präsentieren lokale Wirkungsmacht öffentlich, wodurch ein bestimmter Raum als »ihr Terrain« gilt und (4.) Normalisierungsgewinne (die Rechtsextremen haben neue Selbstverständlichkeiten gesetzt, sich etabliert und die Ausgrenzung anderer Gruppen ist akzeptiert; der Rechtsextremismus ist normaler Bestandteil der örtlichen politischen Kultur und kann kaum noch kritisch thematisiert werden). Raumgewinne müssen diesem Konzept zufolge jedoch nicht immer offensichtlich sein. Gerade die ersten Schritte könnten als »stille Raumgewinne«[17] auch von der Mehrheitsgesellschaft wenig beachtet ablaufen. Klar ist jedoch: »[D]ie ersten, die das merken, sind immer diejenigen, die nicht ins rechtsextreme Gedankengebäude passen oder sogar zu den Opfergruppen rechtsextremer Gewalt gehören«[18] – eine Einschätzung, die ebenso wie das Stufenmodell der Dortmunder Analyse in diesem Fall auf Göttingen übertragbar scheint.

Raumordnungskampf in Göttingen?

Neben dem trans*feindlichen Schriftzug am Oeconomicum tauchten ab Mai 2018 weitere solcher Schriftzüge auf, u.a. am Kulturwissenschaftlichen Zentrum der Universität sowie am Gebäude der Juristischen Fakultät. Hass auf sexuelle Minderheiten scheint fest im Weltbild der TäterInnen verankert zu sein und mit anderen rechtsradikalen Inhalten verknüpft zu werden. Eine politische Motivation vermutet die Polizei »aufgrund der bislang gewonnenen Erkenntnisse«[19] auch bei einer gefährlichen Körperverletzung an zwei Göttingern im November 2018. Als sich ein 27- und ein 29-jähriger Göttinger in der Nacht auf den 24. November am Theaterplatz unweit der Universität aufhalten, werden sie von zwei jungen Männern und einer Frau unvermittelt angegriffen. Nachdem u.a. die Worte »Scheiß Schwuchtel« gefallen sind, folgt eine Attacke mit einem langen metallenen Gegenstand. Das jüngere Opfer erleidet einen Kieferbruch, sein Begleiter wird ebenfalls verletzt. Später nimmt die Polizei die Personalien dreier Personen im Alter von zwanzig bis 23 Jahren auf, die der Beschreibung der TäterIn entsprechen. Die Ermittlungen dauern an.[20]

Ziel vermutlich politisch motivierter Angriffe werden in diesem Zeitraum immer wieder auch studentische Wohnprojekte direkt am Campus. Nachdem bereits im Sommer 2018 »Fuck Antifa«- sowie »Zecken!«-Graffitis an Häusern des Studentenwerks aufgetaucht waren, berichtet die Wohnrauminitiative Göttingen in einer Pressemitteilung, gleich an mehreren Wohnheimen der Initiative seien in der Nacht auf den 14. Januar alle Bremsschläuche von geparkten Fahrrädern durchtrennt worden. Da sich die Initiative in der Vergangenheit »immer wieder klar gegenüber rechten AkteurInnen positioniert« habe, aber vor allem, da erst am Tag zuvor Hakenkreuze sowie die mehrfach genannte Ehlaz-Rune am benachbarten Campus aufgesprüht worden waren, glaubt man in der Mitteilung nicht an Zufälle.[21] Auch in diesem Fall ermittelt die Polizei laut Informationen des Göttinger Tageblatt inzwischen »wegen Sachbeschädigung, des Verdachts des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen«[22].

Betrachtet man diese Angriffe mit dem Analyseschema der Dortmunder Wissenschaftler*innen, muss konstatiert werden: Inzwischen ist die Phase der Provokationsgewinne im Göttinger Fall überschritten. Nach Borstel et al. folge nun der Schritt der Räumungsgewinne, die »Gewaltaktionen gegen ›Feinde‹, raumorientierte Manifestationen, [… und] die Konzentration auf bestimmte Orte«[23] umfassen und Nicht-Rechtsextreme einschüchtern sollen. Bei Räumungsgewinnen, die »in begrenzten Räumen und zu bestimmten Zeiten« erfolgen, seien besonders »Aspekte von Angst im Spiel‹«.[24] Als Beispiele nennt die Dortmunder Studie etwa das Eindringen von Rechtsradikalen in Jugendzentren.

Vergleichbare Tendenzen scheint es jüngst auch in Göttingen zu geben. Ende Februar 2019 betreten mehrere junge Männer – wieder nachts – einen Gastronomiebetrieb in der Innenstadt. Unvermittelt schlagen sie auf Gäste des in der »linken Szene« beliebten Lokals ein – erst im Geschäft und später vor der Tür. Die hinzugerufene Polizei nimmt später zwei flüchtige Verdächtige fest. Noch am selben Tag durchsucht der Staatsschutz deren Wohnungen und findet Beweismittel. Erneut geht die Polizei von einer politisch motivierten Tat aus. Das Göttinger Tageblatt schreibt, bei den Tätern solle es sich um Mitglieder der »rechten Szene« handeln.[25]

Fazit

Auf gelbem Aufkleber in schwarzer Schrift steht: Bitte flüchten Sie weiter! Es gibt hier nichts zu wohnen. Refugees not welcome!Seit Frühjahr 2018 versuchen Rechtsradikale, sich in Göttingen über das Markieren universitärer und städtischer Räume in ein bis dato klar linkspolitisch geprägtes Stadtbild zu drängen. Immer gleiche oder zumindest ähnliche Bezüge, Thematiken und Symbole stützen hierbei die Annahme, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handelt, sondern um eine Gruppierung, die bewusst den Versuch unternimmt, »Straßen und Plätze strategisch zu besetzen«, ganz so, wie es die Urheber*innen des Raumordnungskampf-Konzepts für Dortmund beschreiben.[26] Über Provokationsgewinne hinaus häufen sich Hinweise, die dafür sprechen, dass die rechtsradikalen TäterInnen inzwischen in den Kampf um Räumungsgewinne eingetreten sind. Betroffen sind vor allem klassische Feindgruppen von Rechtsradikalen: sexuelle und religiöse Minderheiten sowie vermeintliche »Linke«. Damit wäre die zweite von insgesamt vier Stufen rechtsradikaler Geländegewinne erreicht.

Von Raumgewinnen ist in Göttingen jedoch noch nicht zu sprechen. Bis jetzt suchen die Täter*Innen für ihre Übergriffe den Schutz der Nacht und treten öffentlich nicht in Erscheinung. Genauso existieren noch keine sogenannten Angstzonen, wie sie Borstel et al. für Dortmund festgestellt haben. Noch weniger kann von einer Etablierung des Rechtsradikalismus als normaler Bestandteil der örtlichen politischen Kultur gesprochen werden, was das Erreichen der letzten Stufe des Modells markieren würde. Erwidert wird der Raumordnungskampf in Göttingen bislang mit ebenso wenig legalen Mitteln: Rechte Sprüche und Symboliken sind häufig mit antifaschistischen Sprüchen oder Symbolik übersprüht, noch bevor sie das Gebäudemanagement entfernen kann – ein deutlicher Indikator für das politische Kräfteverhältnis in der Universitätsstadt.

Zum Teil sei im Nachhinein nicht mehr zu erkennen gewesen, welche Teile der Graffitis an Campusgebäuden ursprünglich von Linken oder Rechten angebracht worden seien, berichten die Mitarbeiter des Gebäudemanagements im Gespräch. Sie ärgern sich insgesamt über die Schäden: »Von dem Geld zur Entfernung könnte man den Studenten auch etwas bieten.« Hoffnung, dass die TäterInnen ermittelt werden, bestehe jedoch selten. Würden die StraftäterInnen nicht auf frischer Tat ertappt, würden Verfahren häufig nach einer gewissen Zeit eingestellt, berichtet einer der Universitätsangestellten abschließend; und es klingt fast so, als würde sich die Hochschule geschlagen geben.

Gerade weil Versuchen rechtsradikaler Raumnahme jedoch nicht mit Resignation begegnet und die inhaltliche Auseinandersetzung in diesem Bereich nicht wie bislang auf Mitarbeiter*innen aus den Bereichen Technik und Verwaltung abgewälzt werden darf, ist es an der Zeit, den Umgang mit dem Thema zu professionalisieren. Anstelle des Leugnens immer offensichtlicherer Probleme stände gerade einer Universität der wissensbasierte Umgang mit Vorfällen dieser Art gut zu Gesicht. Dazu sollten im Mindesten die hochschuleigenen Kompetenzen in der Auseinandersetzung mit Rechtsradikalismus und seiner Symbolik genutzt und Göttinger Forscher*innen an einer wissenschaftlichen Aufarbeitung beteiligt werden.

Denkbar wäre etwa das Aufsetzen einer Meldeplattform für rechtsradikale Inhalte und Vorfälle im Rahmen einer Kooperation von Universität, Studentenwerk und Stadt. Eine solche könnte das Wissen aufmerksamer Dritter bündeln, zur schnellen und sachgemäßen Entfernung bei entsprechenden Fällen beitragen und Daten für weitere Auseinandersetzungen erzeugen. Darüber hinaus können – wie auch die Autor*innen der Dortmunder Studie feststellen – lokale Aktionspläne dabei helfen, die Aktionsräume von Rechtsradikalen zu begrenzen.[27] Gänzlich falsch erscheint nur das Kleinreden akuter Problemlagen, weshalb die Universität ihre Stellungnahme überdenken sollte.

[1] Dieser Text bemüht sich um eine gendergerechte Sprache. Das sogenannte Gender-Sternchen (*) soll ausdrücken, dass jenseits von »Mann« und »Frau« Geschlechteridentitäten existieren, die eine herkömmliche Schreibweise nicht abbildet. Trotzdem kommt es manchmal vor, dass kein Gender-Sternchen verwendet wird. Wird ein »Binnen-I« verwendet, so ist von vermutlich rechtsradikalen Personen die Rede, deren Ideologie Geschlechteridentitäten jenseits der gängigen Norm nicht zulassen. Handelt es sich z.T. bei Bezeichneten um eine homogene, im vorliegenden Text meist männliche Gruppe, wird diese – ohne zu gendern – so bezeichnet.

[2] So zeigte bspw. ein Mitglied einer Göttinger Fußball-Fangruppe die Schändung des Mahnmals am Platz der Synagoge mit Hakenkreuzen an; die Göttinger GRÜNEN äußerten sich zu gleich mehreren vermeintlich rechtsradikalen Vorfällen im Frühjahr 2019 – siehe dazu Heinzel, Matthias: Polizei ermittelt. Runen auf Zwangsarbeiter-Mahnmal gesprüht, in: Göttinger-Tageblatt.de, 14.01.2019, [eingesehen am 01.03.2019] sowie Stadtverband der GRÜNEN Göttingen: Sachbeschädigung und rechtsradikale Schmierereien auf dem Campus, 18.01.2019, [eingesehen am 05.03.2019].

[3] Vgl. Heinzel, Polizei.

[4] Facebook-Seite »FSR SoWi – Fachschaftsrat Sozialwissenschaften Göttingen«, Beitrag vom 30.05.2018, Kommentare der Nutzer*innen »Amadeus Flummi« und »Efeloh Habich«.

[5] Facebook-Seite »FSR SoWi – Fachschaftsrat Sozialwissenschaften Göttingen«, Beitrag vom 30.05.2018.

[6] Vgl. ebd.

[7] Der in falschem Latein verfasste Teil der Botschaft (cui bono = lat. für »wem nützt es«) spielt auf die geschichtsrevisionistische und in rechtsradikalen Kreisen verbreitete Erzählung an, die Shoa sei eine Erfindung jüdischer Eliten, um sich finanziell zu bereichern und das deutsche Nationalbewusstsein zu unterwandern. Die Aussage wird ergänzt um eine Passage, die auf den »großen Austausch« abzielt – ein Narrativ der sogenannten Neuen Rechten, dem zufolge (jüdische) Eliten versuchen würden, als organisch imaginierte Völker durch gezielte Immigration auszutauschen, also die Völker oder Kulturen gewissermaßen zu »ermorden«. Vgl. hierzu bspw. Weiß, Volker: Von der »Deutschenauswanderung« zum »großen Austausch«, oder »identitäre« Propaganda und ihre völkischen Vorläufer, in: NS-Dokumentationszentrum München et al. (Hg.): Angezettelt. Antisemitische und rassistische Aufkleber von 1880 bis heute, Berlin 2017, S. 125–135.

[8] Vgl. dazu die mit Belegfotos versehene Informationsbroschüre Basisdemokratische Linke (BL): Achtung Nazipropaganda! Vermehrt rechte Propaganda im Stadtbild Göttingens zu finden, 29.11.2018, [eingesehen am 01.03.2018], S. 2.

[9] Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Unterschiedliche Quellen nennen weitere Vorfälle, berücksichtigt wurden jedoch bevorzugt solche, die selbst oder von Dritten mit Fotos belegt werden konnten oder aber durch offizielle Meldungen oder Polizeiangaben bestätigt wurden.

[10] Vgl. Krüger-Lenz, Peter: Schändung des Mahnmals. Göttinger empfinden Tat als »beschämend«, in: Göttinger-Tageblatt.de, 07.08.2018, [eingesehen am 01.03.2018]; Ders.: Göttinger Mahnmal. Schmiererei angezeigt, in: Göttinger-Tageblatt.de, 07.08.2018, [eingesehen am 01.03.2019].

[11] Die ursprünglich germanische »Lebensrune« wurde im Nationalsozialismus auch in Abgrenzung zu christlicher Symbolik genutzt. Beispiele sind etwa der Sanitätsdienst der Hitlerjugend oder das Logo der Apotheken im Deutschen Reich. Da sie nicht als verfassungswidriges Kennzeichen eingestuft wird, ist sie inzwischen ein häufig verwendetes Motiv der rechtsradikalen Szene.

[12] Zit. nach Heinzel, Polizei.

[13] Siehe Sundermeyer, Olaf/Luzar, Claudia/Borstel, Dierk: Rechtsextreme Strukturen in Dortmund. Formationen und neuere Entwicklungen ein Update 2011, Dortmund 2011, [eingesehen am 27.02.2019], S. 5.

[14] Ebd.

[15] Borstel, Dierk/Luzar, Claudia: Geländegewinne. Update einer Zwischenbilanz rechtsextremer Erfolge und Misserfolge, in: Braun, Stephan et al. (Hg.): Strategien der extremen Rechten. Hintergründe, Analysen, Antworten, Wiesbaden 2016, S. 39–52, hier S. 39.

[16] Vgl. Sundermeyer/Luzar/Borstel, S. 13 f.

[17] Ebd., S. 53–56.

[18] Ebd., S. 13.

[19] Scharf, Markus: Opfer mit Kieferbruch im Krankenhaus. Göttinger angegriffen und schwer verletzt, in: Göttinger-Tageblatt.de, 29.11.2018, [eingesehen am 01.03.2019].

[20] Vgl. ebd.

[21] Pressemitteilung veröffentlicht auf der Facebook-Seite »Wohnrauminitiative Göttingen«, Beitrag vom 14.01.2019.

[22] Heinzel, Matthias: Serie von Straftaten. Ermittlungen gegen Rechts, in: Göttinger-Tageblatt.de, 15.01.2019, [eingesehen am 01.03.2019].

[23] Sundermeyer/Luzar/Borstel, S. 14.

[24] Ebd., S. 13.

[25] Siehe Heinzel, Matthias: Staatsschutz ermittelt. Schläger überfallen Lokal, in: Göttinger-Tageblatt.de, 22.02.2019, [eingesehen am 01.03.2019].

[26] Sundermeyer/Luzar/Borstel, S. 5.

[27] Ebd., S. 6.