Sichtbar verhülltDie neue Präsenz muslimischer Frauen in den sozialen Medien (Teil 1)
Religion ist heute nicht länger ein Phänomen, das man ausschließlich in Büchern oder Gotteshäusern findet. In den letzten Jahren taucht sie zusehends in aufwendig bearbeiteten und mit bunten Bildern illustrierten Posts oder in kurzen Videos auf, die auf Handybildschirmen flackern. Immer mehr Muslim*innen wenden sich den sozialen Medien zu, um über ihren Glauben, ihre Zweifel und ihren religiösen Alltag zu sprechen und um andere beim Führen eines religiösen Lebens zu beraten.
Noch vor wenigen Jahren traten fast ausschließlich Männer im Internet auf, um einen islamischen Lebenswandel sowohl als Prediger als auch als Aktivisten vorzuleben. Jüngst treten jedoch zunehmend muslimische Frauen mit eigenen Kanälen in den sozialen Medien an die Öffentlichkeit, um zu zeigen, wie sie den Islam leben, und um ihre Deutung der Religion an ihre meist weiblichen Followerinnen weiterzugeben. Zumeist tragen die Frauen dabei Kopftuch und folgen damit dem Gebot eines orthodoxen Verständnisses des Islam zur Verhüllung der Frau, während sie sich zugleich durch ihre prominente Stellung mittels Bilder und Videos in den sozialen Netzwerken exponieren.
Eine der deutschsprachigen Musliminnen, die bei TikTok, YouTube und Instagram in den letzten Monaten besonders viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, ist Hanna Hansen, deren bürgerlicher Name Victoria Stadtlander lautet (Wildwechsel 2011). Als kopftuchtragende deutschstämmige Konvertitin erreichen ihre Videos Tausende von Zuschauer*innen. Hansen, die früher als Model, Boxerin und DJ wirkte, teilt heute sunnitisch-islamische Reflexionen mit einem Schwerpunkt auf Hingabe für den Glauben und Lebensprüfungen. Jedoch werden gegen die stellvertretende Miss Germany von 2004 (Coblenz 2025) in mehreren Medienberichten (Spilcker 2025; Ruhs 2025; Soibel 2025) und durch die Verfassungsschutzämter in Bayern (Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration 2025, S. 11–13) und Nordrhein-Westfalen Vorwürfe erhoben: Hansen werbe demnach für »eine islamistische Weltanschauung« und »salafistische Veranstaltungen« (Ministerium des Innern Nordrhein-Westfalen 2025, S. 229). Laut Medienberichten ist sie zudem nach islamischem Recht seit 2024 eine der Ehefrauen von Sven Lau, der 2017 wegen der Unterstützung einer dschihadistischen Gruppierung in Syrien zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war (Altmann 2025).
Dieser Artikel untersucht, wie Hansen ihr Muslim-Sein in ihren Webauftritten konstruiert, welche Rolle ihre konfessionelle Identität und religiöse Pflichten spielen und wie sie ihre Konversion beschreibt. Wir untersuchen außerdem, welche Rolle Weiblichkeit in den Videos spielt, ob politische Überzeugungen in ihren Erzählungen vorkommen und wie diese implizit oder explizit dargestellt werden.[1] Unsere interpretative Analyse stützt sich auf die drei aufrufstärksten Videos auf Hansens YouTube-Kanal (Stichtag: 25. August 2025).
| # | Titel | Dauer | Datum | Aufrufe | Kommentare | URL |
| 1 | Polizei-Einsatz morgens in meinem Hotelzimmer in Wien. Reine Schikane (Hanna Hansen 2025) | 03:36 | 12.03.2025 | 15.551 | 676 | https://www.youtube.com/watch?v=I1DYXbGq6T0 |
| 2 | Warum Islam? Mein Weg! Podcast Folge 1 (Hanna Hansen 2024) | 29:46 | 23.02.2024 | 12.271 | 183 | https://www.youtube.com/watch?v=O6tybRPX8iE |
| 3 | Strafanzeige wegen Volksverhetzung !! bitte teilen (Hanna Hansen 2024a) | 01:14 | 12.09.2024 | 10.670 | 309 | https://www.youtube.com/watch?v=1F4gd3HWqwU |
Ein Polizeieinsatz als göttliche Prüfung
Hansen berichtet in ihrem meistgesehenen Clip (Hanna Hansen 2025), dass die Polizei sie mitten in der Nacht durch lautes Hämmern geweckt habe, und zeigt eine aufgezeichnete sowie zurechtgeschnittene Szene dreier Personen vor ihrer Hotelzimmertür, eine davon dem Augenschein nach ein Polizist. Sie gibt an, das nächtliche Klopfen habe sie an »Die Polternde«, die 101. Sure des Korans, erinnert (1:18), deren Titel darauf verweisen soll, wie das göttliche Gericht am Jüngsten Tag zuschlagen werde. Trotz ihres Rufens, dass sie eine bedeckte Muslima sei und den Zutritt verweigere (1:42), sei die Polizei kurz darauf in das Zimmer eingedrungen. Hansen beschreibt die Situation als »Unrecht« (1:07) sowie »Grenzüberschreitung« (2:22) und betont, es habe keine »Gefahr im Verzug« (2:36) vorgelegen. Sie blendet im Clip eine Infobox ein, der zufolge ihr mitgeteilt worden sei, die Haustechnik benötige Zugang; doch hält sie die Begründung für vorgeschoben und verweist darauf, dass es sich um eine gezielte »Schikane« (2:53) handeln könne, da andere Muslim*innen ähnliche Erfahrungen machten. Damit ordnet sie den Vorfall in einen breiteren, politischen Rahmen ein.
Im weiteren Verlauf interpretiert Hansen das Ereignis religiös: Für sie sei dieser Vorfall ein spirituelles Zeichen, ein »Beweis« (3:14), dass sie sich auf dem richtigen Weg im Islam befinde. Sie ruft ihre Zuschauer*innen dazu auf, auch angesichts solcher Vorfälle standhaft im Glauben zu sein, Daʿwa (3:23) zu betreiben (also zum Islam aufzurufen) und sich an »den Salaf« (3:32), also den frommen »Vorfahren«, zu orientieren. Insbesondere Akteure, die der salafistischen Szene zugeschrieben werden, beziehen sich häufig auf diese ersten drei Generationen der Muslim*innen.
Hansen empfindet den Vorfall nicht nur als ungerecht, sondern bettet ihn auch in eine Konstruktion des Muslim-Seins ein, in der Prüfungen und Standhaftigkeit zentrale Elemente sind. Auch Weiblichkeit wird indirekt thematisiert, da auf die Verletzlichkeit der Intimsphäre muslimischer Frauen hingewiesen wird. Auffällig ist, dass jede konkrete Information über die Ursache des Polizeieinsatzes fehlt und auch keine Stellungnahme des Hotels herangezogen wird. Obwohl das grundsätzliche Problem der Diskriminierung von Muslim*innen real ist, bleibt also unklar, ob sie tatsächlich Opfer eines Fehlverhaltens geworden ist.
Durch die Verknüpfung des nächtlichen Klopfens mit der eschatologischen Koransure überhöht sie das Geschehen religiös und lässt die Aufklärung des tatsächlichen Vorfalls schließlich nachranging wirken. Ihre Behauptung, der Vorfall belege die Richtigkeit ihrer Glaubensüberzeugung, scheint anzudeuten, dass das Leben für Muslim*innen ohnehin aus gottgewollten Prüfungen besteht.
Vom Laufsteg zur islamischen Mission
Hansens zweitbeliebtestes YouTube-Video (Hanna Hansen 2024), das faktisch allerdings eine reine Audioaufnahme ist, thematisiert ihre Konversion zum Islam. Darin berichtet sie, dass sie sich nirgends zu Hause gefühlt und nirgends »innere Ruhe« (0:42) gefunden habe. Nach einer Ausbildung zur Physiotherapeutin sei sie nach Paris gegangen, um sich als Model zu versuchen. Sie sei damit erfolgreich geworden und habe für viele verschiedene Modelabels gearbeitet. Doch »Geld, Ruhm, Reichtum und Schönheit« (2:55 ff.) hätten nichts daran geändert, dass sie dieser extravagante Lifestyle nicht erfüllt habe. Dies sei auch nach dem Karrierewechsel und der anschließenden weltweiten Tätigkeit als DJ so geblieben. Hansen berichtet weiter von ihrer Erkundung verschiedener Religionen, etwa des Hinduismus, den sie durch die Mutter eines Freundes kennengelernt habe. Diese Frau habe den Hinduismus in Form von frühmorgendlicher Meditation praktiziert. Sie habe damals gedacht: »Was für eine Disziplin, was für eine schöne Sache« (9:28). Sie vergleicht diese Praktik mit ihrem heutigen täglichen islamischen Morgengebet vor Sonnenaufgang. Weiterhin habe sie sich mit dem Christentum beschäftigt und auch die Bibel gelesen, jedoch ohne eine »wohlige Wärme« (11:01) zu empfinden. Trotz ihrer heutigen Glaubensgewissheit erscheinen ihr ihre frühere allumfassende Suche in verschiedenen religiösen Quellen und deren Lektüre noch immer gerechtfertigt:
»Ich habe mir das [ein Buch zum Hinduismus] auch durchgelesen, weil ich es wissen wollte. Ne? Ich gebe jedem sein Recht, grundsätzlich erst einmal, und gerade dann, wenn man noch nicht wirklich weiß und noch nicht wirklich angekommen ist, sollte man das auch bitte tun.« (8:47)
Eines Tages habe sie dann völlig spontan den Koran im Internet bestellt, was sie als göttliche Fügung deutet. Sie habe sich in die Worte des Korans »verliebt« (12:54); diese erlaubten es ihr, sich durch die Medien unbeeinflusst selbst ein Bild vom Islam zu machen. Der politische Verweis auf den Einfluss der Medien auf das Islambild legt nahe, dass Medienschaffende pauschal als Akteur*innen gesehen werden, die den Islam in ein schlechtes Licht rücken wollen.
Hansen betont, dass es wichtig sei, sich neben dem Koran auch selbst mit den Hadithen, also den ursprünglich mündlichen Überlieferungen vom Propheten Mohammed, zu befassen. Mit dem Verweis auf die Sammlungen von Muḥammad al-Buḫārī und Muslim ibn al-Ḥaǧǧāǧ offenbart sie implizit ihr Bekenntnis zum Sunnitentum. Diese werden unter sunnitischen Muslim*innen mehrheitlich als die wichtigsten Hadith-Zusammenstellungen angesehen. Sie erläutert beispielhaft, wie sie ihr Leben nach den Lehren der Hadithe ausrichte: So nehme sie das Essen mittlerweile ohne Schwierigkeit mit der rechten Hand zu sich, wie es der Prophet getan habe,[2] obwohl ihr das anfangs als Linkshänderin schwergefallen sei (16:24). Durch die Ausblendung alternativer Interpretationen des Islam bleibt unbedarften Zuschauer*innen indes die konfessionelle Vielfalt des Islam verborgen, und der sunnitische Islam wird damit implizit als die einzige (legitime) Form der islamischen Religion markiert.
Hansen berichtet, dass sie vor drei Jahren konvertierte und sich selbst noch am Anfang ihrer religiösen Entwicklung sieht. Sie bietet an, anderen Menschen mit ihrer Lebenserfahrung zur Seite zu stehen und sie tatkräftig zu unterstützen. »Die Medien gaukeln uns vor, dass es schön ist, eine Hülle zu sein« (23:52), und »dass es nicht wichtig ist, Werte zu haben« (23:59), bemerkt Hansen. Sie übt somit nicht nur scharfe Kritik an Nicht-Muslim*innen als Personen, die keiner ethischen Richtschnur folgen würden. Sie warnt ihre Zuhörer*innen auch vor den Qualen der Hölle und weist sie gleichzeitig auf die Wonnen des Paradieses hin, mit denen gläubige Menschen mit aus islamischer Sicht guten Taten belohnt würden (19:54). Vor allem an ihre weiblichen Zuhörerinnen gerichtet, erklärt sie, dass es nicht wichtig sei, ob sie Designerkleidung, schöne Uhren und Taschen trügen, wie sie selbst dies einst getan habe. Zwar sei das per se kein Fehler, aber die Anerkennung von außen dürfe nicht die eigene Priorität werden (25:27). Sie ruft zur Unterstützung ihrer eigenen Spendenaktion für einen Brunnen »in Afrika« (26:58) auf, ohne Näheres über die Örtlichkeit oder die Details des Projekts bekanntzugeben.
Insgesamt kann das Video vor allem als Darstellung ihres eigenen Weges der Sinnsuche hin zum Islam verstanden werden. Obwohl Hansen ihre Konversion als tiefgreifend beschreibt und das frühere Streben nach materiellem Glück als sinnlos markiert, zeigt sie doch auch Kontinuitäten auf, da sie etwa von ihrer religiösen Sinnsuche vor der Annahme des Islam berichtet. Sie beschreibt ihre Vergangenheit nicht als durchweg negativ – bisweilen scheint noch ein gewisser Stolz mitzuschwingen, wenn sie etwa darauf verweist, für viele Modelabels gearbeitet zu haben. Es ist außerdem bemerkenswert, dass sie ihr Pseudonym aus der Mode- und DJ-Szene weiterhin nutzt, anstatt einen islamischen Namen anzunehmen. Der Fokus auf die Modewelt und die Frage, ob das Tragen von schöner Kleidung, Schmuck und Taschen erstrebenswert ist, zeigt, dass sich das Video insbesondere an Frauen richtet und Hansen somit ihre eigene Weiblichkeit zum Thema macht.
Die Tatsache, dass sie das Befolgen des Gebotes, auch als Linkshänderin mit der rechten Hand zu essen, als ein Beispiel für ihre islamische Glaubenspraxis anführt, zeigt, dass sie sich für eine rigide Interpretation religiöser Pflichten entscheidet, die deren Befolgung auch dann einfordert, wenn sie keinen für den Menschen erkennbaren ethischen Mehrwert erbringen. Der prominente Verweis auf die Belohnung im Paradies und die scharfe Bestrafung in der Hölle ist ein weiteres Indiz für eine rigide Religionsauffassung und eine dichotome Weltsicht, in der Dinge, die für das Urteil über den Menschen am Tag des Jüngsten Gerichts nach islamischer Lehre unerheblich sind, keine Rolle spielen. Für eine gewisse Offenheit spricht allerdings, dass sie Rituale anderer Religionen nicht kategorisch als falsch zurückweist, sondern etwa dem Hinduismus positive Aspekte abgewinnen kann.
Über die Darlegung ihrer eigenen religiösen Suche konstruiert sie schließlich islamischen Aktivismus als Teil ihres Muslim-Seins – etwa indem sie um Spenden bittet – und inszeniert sich als Person, die ihren Zuschauer*innen religiöse Ratschläge erteilen kann. Dass sie selbst einräumt, ihr eigenes Wissen über den Islam sei bisher begrenzt (22:49), stellt für sie kein Hindernis dar.
Vom Versprecher zur Kollektivbeleidigung
Im drittbeliebtesten YouTube-Video äußert sich Hanna Hansen zu einer Bundestagsrede von Katharina Dröge vom 11. September 2024, von der ein kurzer Ausschnitt gezeigt wird (Hanna Hansen 2024a). In dieser bezeichnet die Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen den Islam wörtlich als »Gift« (Dröge 2024). Hansen empfindet dies als persönliche Beleidigung und sieht darin eine gezielte Diffamierung der gesamten Religionsgemeinschaft. Sie betont, dass solche Aussagen geeignet seien, den öffentlichen Frieden zu stören, da sie Hass und Vorurteile gegen Muslim*innen schüren könnten. Sie beruft sich in diesem Zusammenhang auf den Tatbestand der Volksverhetzung und erklärt, Dröge deshalb angezeigt zu haben, und appelliert an ihre Zuschauer*innen, es ihr gleichzutun (0:15). Scheinbar ist Hansen nicht bewusst, dass Abgeordnete durch das Grundgesetz[3] vor Strafverfolgung für im Bundestag getätigte Aussagen mit Ausnahme von »verleumderische[n] Beleidigungen« geschützt sind und eine Strafverfolgung in diesem Fall somit ausgeschlossen ist. Hansen kritisiert zusätzlich, dass in dem betreffenden Kontext der Islam mit Terrorismus in Verbindung gebracht worden sei, was sie als implizite Gleichsetzung empfindet.
Tatsächlich hat Dröge sich versprochen und wollte eigentlich vom »Gift des Islamismus« und nicht vom »Gift des Islam« sprechen, wie sie noch am selben Tag bei X einräumte (Dröge 2024a). Der Wortlaut des Plenarprotokolls wurde entsprechend abgeändert (Deutscher Bundestag 2024, S. 23862). Hansen beschreibt Muslim*innen in einer Opferrolle, die sich für sie aus negativen öffentlichen Darstellungen des Islam und Angriffen auf die Religion zu ergeben scheint. Tatsächlich zeigt gerade dieser Versprecher, wie nah »Islam« und »Islamismus« im öffentlichen Bewusstsein scheinbar sind – was sich nicht nur im Mediendiskurs widerspiegelt, sondern auch in der Sprache von Politiker*innen. Ein solcher öffentlicher Versprecher ist keineswegs belanglos, denn er kann zu konkreten negativen Folgen für die muslimische Community im deutschsprachigen Raum beitragen – und Vorurteile sowie die gesellschaftliche Ausgrenzung muslimisch gelesener Menschen verstärken. Hansens Ansinnen, sich gegen anti-islamische Aussagen in der Öffentlichkeit zur Wehr zu setzen, ist nachvollziehbar und grundsätzlich – angesichts der in der Mehrheit der deutschen Bevölkerung weitverbreiteten anti-muslimischen Vorurteile (Diekmann/Janzen 2024, S. 24–25) – geboten.
Auffällig ist jedoch der aktivistische Charakter des Videos: Weder religiöse Pflichten und konfessionelle Identität noch ihre Weiblichkeit spielen eine Rolle. Durch das Verschweigen von Dröges Richtigstellung und die Aufforderung an ihre Zuschauer*innen, rechtlich haltlose Anzeigen zu stellen, trägt Hansen dazu bei, negative Emotionen zu schüren und einen sachlichen Diskurs zu erschweren. Mit ihrem Fokus auf die Darstellung eines Angriffs auf den Islam legt sie nahe, dass das Erleiden von Angriffen auf die eigene Religion und die religiöse Gemeinschaft sowie der Widerstand dagegen für sie zum Muslim-Sein in der deutschen Gesellschaft dazugehören. Zwar enthält das Video keine offensichtlich ideologischen Elemente, die mit dem politischen Islam in Verbindung gebracht werden könnten; es erscheint jedoch zumindest wahrscheinlich, dass sie bewusst eine Darstellung wählt, die einen Konflikt zwischen Muslim*innen und Nicht-Muslim*innen schürt.
Ergebnisse und Konklusion
Die Analyse der beliebtesten Clips des untersuchten YouTube-Kanals zeigt, dass Hanna Hansen politische Inhalte prominent in ihren Filmen platziert. Zwei der drei analysierten Videos von Hansen sind als politisch zu kategorisieren. Nur im Clip »Warum Islam? Mein Weg!« spielen politische Inhalte nicht die Hauptrolle – hier wird lediglich die negative Darstellung des Islam in den Medien beklagt.
Zwar konstruiert Hansen ihr Muslim-Sein auch als Ergebnis einer persönlichen Reise, die nicht von politischen Auseinandersetzungen bestimmt ist. Jedoch sieht sie ihre Konversion nicht allein als Ziel eines selbstständig eingeschlagenen Weges, sondern schreibt der göttlichen Fügung eine besondere Rolle zu. Zugleich ist ihre Ausübung des Islam nicht auf persönliche Frömmigkeit begrenzt – vielmehr fordert sie Muslim*innen auch zur Daʿwa auf, also zum Aufrufen zum Islam, und praktiziert diese selbst. Die Daʿwa umfasst für sie dabei auch das Thematisieren vorgeblicher oder tatsächlicher Benachteiligungen von Muslim*innen, wie an den Videos zur vermeintlichen Schikane durch die Polizei im Hotel oder dem Clip zur Kritik an Katharina Dröges Bundestagsrede deutlich wird.
Hansen wählt eine Darstellung, die suggeriert, dass Akteure in den Reihen der Polizei und den Medien durchweg zum Nachteil von Muslim*innen handeln – sei es durch die Zeichnung eines negativen Islambildes oder durch gegen Muslim*innen gerichtete Einsätze. Verbale Darstellungen, die ein pauschal negatives Bild von Gruppen zeichnen, wie es Hansen in Bezug auf Polizeibeamte und Medienschaffende in Ansätzen tut, können bereits als die erste Stufe einer Outgroup-Feindlichkeit verstanden werden, die Berger (2018) zufolge das zentrale Element einer jeden extremistischen Weltanschauung ist.[4] Allerdings greift Hansen in den untersuchten Videos nicht das für die Demokratie zentrale Prinzip an – also das Konzept der durch allgemeine Wahlen operationalisierten Volkssouveränität (Merkel 2004, S. 36–38) – und die Idee menschengemachter Gesetze, während Vordenker des politischen Islam wie Sayyid Quṭb (Linnhoff 2020, S. 179–181) oder der bekannte deutsche Internet-Prediger Pierre Vogel explizit die Idee als unislamisch verurteilen, dass Mehrheiten Regeln entgegen den Geboten von Koran und Sunna setzen dürfen (Vogel 2018, 09:28 ff.). Da sie sich in den untersuchten Videos jedoch nicht mit grundlegenden Fragen der politischen Ordnung beschäftigt, lässt sich über ihre diesbezüglichen Einstellungen keine endgültige Aussage treffen.
Im Hinblick auf die Frage, wie rigide ihre Islam-Interpretation ist, bleibt zu betonen, dass es Hansen wichtig ist, vor den im Jenseits drohenden Strafen der Hölle zu warnen und ihnen die positive Aussicht auf das Paradies gegenüberzustellen. Dies kann ein zentrales Element eines dichotomen Weltbildes sein, in dem Handlungen, die nach islamischen Geboten weder gut noch schlecht sind, kaum vorkommen oder als irrelevant angesehen werden. Doch trotz Hansens prominenter Warnung vor dem Jenseits lässt ihre Darstellung des Phänomens des Religiösen auch Raum für Ambivalenzen, da sie etwa auch einem hinduistischen Meditationsritual etwas Positives abgewinnen kann.
Die Konstruktion ihrer konfessionellen Identität innerhalb des Islam bleibt den Zuschauer*innen ohne vertiefte islambezogene Kenntnisse verborgen, denn Hanna Hansen thematisiert ihre Zugehörigkeit zum Sunnitentum nicht. Doch mit ihrem Verweis auf die sunnitischen Hadith-Sammlungen von al-Buḫārī und Muslim ibn al-Ḥaǧǧāǧ als authentisches Wissen gibt sie implizit ein Bekenntnis zum Sunnitentum und zu dessen exklusivem Anspruch ab, der wahre Islam zu sein. Damit ist Hansens Konstruktion ihrer muslimischen Identität nicht dialogisch angelegt und alternative Lesarten des Islam bleiben unsichtbar.
Auftritte von Musliminnen auf YouTube können grundsätzlich dazu dienen, Anhängerinnen des Islam, die als Frauen doppelt von Diskriminierung bedroht sind, sichtbarer zu machen. Oft setzen sie soziale Netzwerke bewusst als Werkzeuge ein, um ihrer Perspektive, die bisher in der Mehrheit der Gesellschaft wenig Beachtung findet, zu Aufmerksamkeit zu verhelfen (El Sayed und Hotait 2024). Auch Hanna Hansen trägt durch ihre Auftritte auf YouTube zur Sichtbarkeit kopftuchtragender konservativer Musliminnen bei, die vor wenigen Jahren noch undenkbar war und angesichts des islamischen Verhüllungsgebotes auch weiterhin unter Muslim*innen umstritten ist.
So spricht etwa Pierre Vogel davon, dass unter Muslim*innen manche die Meinung vertreten würden, »man sollte sich als Frau […] nicht so zeigen« (Habibiflo Dawah Produktion 2025, 0:58). Für diese Position ließen sich laut Vogel zwar Argumente finden, jedoch sei Hansens Präsenz für die Sache des Islam und die Akzeptanz des Kopftuchs nützlich. Hierbei ist klar, dass Vogel keinesfalls als repräsentativ für Muslim*innen in Deutschland gelten kann und auch von der Mehrheit nicht als Instanz für die Frage, was dem Islam nützt oder schadet, akzeptiert werden dürfte. Dennoch zeigt sich, dass Hansen durch ihre mediale Präsenz selbst innerhalb der eigenen Community, die den sunnitischen Islam rigide auslegt, zur Akzeptanz einer öffentlichen Rolle für Frauen beiträgt. Doch nutzt sie ihre Präsenz nicht allein, um der Perspektive kopftuchtragender Frauen Raum zu geben, sondern auch zur Abwertung anderer gesellschaftlicher Gruppen.
Literatur:
Altmann, Markus. 2025. »Islamistischer Internet-Star Hanna Hansen mit ›Scharia-Polizist‹ Lau verheiratet«. In Focus. Online verfügbar unter https://www.focus.de/panorama/welt/islamistischer-internet-star-hanna-hansen-mit-scharia-polizist-lau-verheiratet_f854ec41-589c-4231-8689-770fc8e53e2e.html zuletzt geprüft am 07.09.2025.
Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration. 2025. Verfassungsschutzinformationen Bayern 1. Halbjahr 2025. München: Selbstverlag.
Berger, John M. 2018. Extremism. Cambridge, Massachusetts: The MIT Press.
Coblenz, Catharina. 2025. Islamismus-Influencerin kommt nach Bielefeld: Wer ist Hanna Hansen? In WDR. Online verfügbar unter https://www1.wdr.de/nachrichten/hanna-hansen-islamismus-influencerin-100.html zuletzt geprüft am 22.08.2025.
Deutscher Bundestag. 2024. Plenarprotokoll 20/184. In bundestag.de. Online verfügbar unter https://dserver.bundestag.de/btp/20/20184.pdf#P.23861 zuletzt geprüft am 29.08.2025.
Diekmann, Isabell und Olga Janzen. 2024. Zwischen Pauschalisierung und Differenzierung: Einstellungen gegenüber Muslim:innen und dem Islam in Deutschland. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. https://doi.org/10.11586/2024084
Dröge, Katharina. 2024. Rede von Katharina Dröge, 184. Sitzung vom 11.09.2024, TOP Einzelplan 04. In bundestag.de. Online verfügbar unter https://www.bundestag.de/mediathek/video?videoid=7614871 zuletzt geprüft am 29.08.2025.
Dröge, Katharina/katdro. 2024a. Post vom 11.09.2024. X. Online verfügbar unter https://x.com/katdro/status/1833847592502935797 , zuletzt geprüft am 29.08.2025.
El Sayed, Fatima, Nader Hotait. 2024. Exploring the role of TikTok for intersectionality marginalized groups: The case of Muslim female content creators in Germany, In Frontiers in Political Science https://doi.org/10.3389/fpos.2024.1496833
Habibiflo Dawah Produktion. 2025. Pierre Vogel – Meinung zu Hanna Hansen? YouTube. Online verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=l4q1_2m6rvM, zuletzt geprüft am 07.09.2025.
Hanna Hansen. 2024. Warum Islam? Mein Weg! Podcast Folge 1. YouTube. Online verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=O6tybRPX8iE, zuletzt geprüft am 02.09.2025.
Hanna Hansen. 2024a. Strafanzeige wegen Volksverhetzung !! bitte teilen. YouTube. Online verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=1F4gd3HWqwU, zuletzt geprüft am 02.09.2025.
Hanna Hansen. 2025. Polizei-Einsatz morgens in meinem Hotelzimmer in Wien. Reine Schikane. YouTube. Online verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=I1DYXbGq6T0, zuletzt geprüft am 02.09.2025.
Hanna Hansen. 2025a. Wenn Scham vergeht! Von zwei Geschlechtern zu grenzenloser Verwirrung! #Islam #lgbtq #dawah. YouTube. Online verfügbar unter https://www.youtube.com/shorts/rNfMOmy36Eo , zuletzt geprüft am 03.09.2025.
Linnhoff, Josef. 2020. ›Associating‹ with God in Islamic thought: A comparative study of Muslim interpretations of shirk. Edinburgh: Edinburgh Research Archive. https://doi.org/10.7488/era/236.
Merkel, Wolfgang. 2004. Embedded and defective democracies. In Democratization 11: 33–58. https://doi.org/10.1080/13510340412331304598.
Ministerium des Innern Nordrhein-Westfalen. 2025. Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2024. Düsseldorf: Selbstverlag.
PierreVogelde. 2018. Wie steht der Islam zur Demokratie? Pierre Vogel (9.03.2013 Münster). YouTube. Online verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=LlV9INIO8xo, zuletzt geprüft am 01.08.2020.
Ruhs, Julia. 2025. Kopftuch statt Freiheit: Wie junge Frauen ihre eigene Unterwerfung feiern. In i>Focus. Online verfügbar unter https://www.focus.de/politik/deutschland/kopftuch-statt-freiheit-warum-junge-frauen-ihre-eigene-unterwerfung-feiern_a6c39b0c-64f8-490c-a388-5ae799bfc12e.html, zuletzt geprüft am 22.08.2025.
Soibel, Dimitri. 2025. Sie lockt Frauen in die Islamisten-Szene: Geheimdienst warnt vor Hanna Hansen, In bild.de. Online verfügbar unter https://www.bild.de/news/inland/islamistin-hanna-hansen-wirbt-junge-frauen-fuer-radikale-salafistenszene-an-689dc2ccb7e38d4fabb22ef7, zuletzt geprüft am 22.08.2025.
Spilcker, Axel. 2025. Früher modelte Hanna Hansen für Hugo Boss – heute lockt sie Frauen in die Hölle. In Focus. Online verfügbar unter https://www.focus.de/panorama/frueher-modelte-sie-fuer-hugo-boss-heute-lockt-hanna-hansen-frauen-in-die-hoelle_de9750bc-88a4-4cbd-ac37-a554a6c67fe1.html, zuletzt geprüft am 22.08.2025.
Sunan Ibn Māǧa, Band 4, Buch 29, Hadith 3266 (ohne Datum). In sunnah.com. Online verfügbar unter https://sunnah.com/ibnmajah:3266, zuletzt geprüft am 01.09.2025.
Wildwechsel. 2011. »Auflegen ist eine Sucht!« Hanna Hansen aka Victoria Stadtlander im Interview! In Wildwechsel. Online verfügbar unter https://www.wildwechsel.de/auflegen-ist-eine-sucht-hanna-hansen-aka-victoria-stadtlander/, zuletzt geprüft am 22.08.2025.
[1] Dieser Artikel ist der erste Teil einer Untersuchung, die sich mit muslimischen Influencerinnen befasst. Im zweiten Teil sollen die Videoinhalte von Lena Glams (bürgerlich: Lena Drefs), einer früheren Schönheits-Influencerin, die ebenfalls zum Islam konvertierte, untersucht werden.
[2] Das Gebot, Essen mit der rechten Hand zu sich zu nehmen, wird durch einen Hadith überliefert (Sunan Ibn Māǧa, Band 4, Buch 29, Hadith 3266, ohne Datum).
[3] Artikel 46, Absatz 1 GG.
[4] Ein Blick auf ein von Hansen gepostetes YouTube-Short (Hanna Hansen 2025a), das nicht im eigentlichen Untersuchungs-Sample inkludiert wurde, verdeutlicht, dass sich Hansens Outgroup-Feindlichkeit nicht nur gegen als Eliten wahrgenommene Gruppen richtet: Im Clip »Wenn Scham vergeht! Von zwei Geschlechtern zu grenzenloser Verwirrung! #Islam #lgbtq #dawah« aus dem August 2025 äußert sich Hansen feindselig gegenüber der LGBTIQA+-Gemeinschaft und bringt die im Koran (wie auch in der Bibel) geschilderte göttliche Vernichtung der Menschen um Lot mit Schamlosigkeit, sexueller Entgrenzung und der Abkehr von der Zweigeschlechtigkeit in Verbindung. Sie deutet zudem an, dass auch die heutige Gesellschaft eine göttliche Strafaktion fürchten müsse.