Dezember 2017: Die AfD hielt ihren Bundesparteitag in Hannover ab. Die Präsenz der rechten Partei in der niedersächsischen Landeshauptstadt blieb nicht unwidersprochen und motivierte diverse Gruppierungen zum Gegenprotest, auch Zufahrtswege wurden durch (Sitz-)Blockaden versperrt. Die Polizei schickte sich an, diese u.a. mithilfe von Wasserwerfen zu räumen – ein Vorgehen, das angesichts von Temperaturen um den Gefrierpunkt z.T. auf massive Kritik seitens der Gegendemonstrant*innen stieß.[1] Die AfD kommentierte diesen Sachverhalt am 3. Dezember auf ihrer Facebook-Seite und fragte ihre Follower*innen mittels Bildelement, ob angesichts von »Linksextremisten«, die über Kälte jammerten, der Einsatz von Wasserwerfern gerechtfertigt sei (siehe Abb. 1).[2]

Das Bild gab zwei Antwortmöglichkeiten vor: »Ja – selbstverständlich!«, versehen mit dem typischen Like-Daumen von Facebook, und »Nein – sowas geht nicht!«, illustriert durch ein Emoji, das für gewöhnlich Belustigung oder Ironie markiert. Die Interaktionen drückten nicht nur eine klare Meinung aus – für »Ja« gab es 19.500 Interaktionen, für »Nein« knapp 400 –, sondern der Beitrag wurde auch über 3.000 mal kommentiert.[3] Der Publizist Stefan Winterbauer hat festgestellt, dass die verbalen Einlassungen zu dem Post erschreckend seien: Statt Wasserwerfern wünschten sich einzelne Kommentierende den Einsatz von Gülle, Gummigeschossen, Maschinengewehren oder Flammenwerfern. Winterbauer zitiert den damaligen Pressesprecher der AfD, Christian Lüth, der verlautbaren ließ, dass die Partei diese Einlassungen verurteile, da sie inhaltlich und stilistisch nicht den Vorstellungen der Partei entsprächen.[4] Die Partei weist also jede Verantwortung für derartige Entgleisungen zurück, verlagert diese stattdessen auf ihre Facebook-Fans.

Abb. 1: Posting auf der AfD-Facebook-Seite (ohne Kommentarspalte), Screenshot-Datum: 28.11.2019, URL: facebook.com/1703635286333470

Dieses Beispiel verweist auf ein grundsätzlicheres Phänomen: Die Online-Kommunikation von Parteien und Politiker*innen, besonders im Wahlkampf, zieht große journalistische Aufmerksamkeit auf sich. Was Politiker*innen sagen, wird bewertet und nachbesprochen und kann zu handfesten Skandalen führen. Ähnlich intensiv und meist als gesellschaftliche Niedergangserzählung verfasst, werden die Kommentarspalten von Journalist*innen und anderen Beobachter*innen der Gesellschaft kommentiert. Während politisches Personal an seinen konkreten Äußerungen je individuell gemessen wird, geht es bei den Kommentaren um ein Gesamtphänomen angeblicher Entgrenzungen und Enthemmungen, um eine Kommunikation oftmals geprägt von Hass und Hetze.

Weniger Aufmerksamkeit wird dem Zusammenhang zwischen diesen beiden Phänomenen gewidmet. Gehen Leser*innen auf die Facebook-Seite einer Partei oder von prominenten Politiker*innen, sehen sie dort jedoch nicht nur den Beitrag dieser Institution oder Person, sondern nehmen diesen mitsamt zumindest den obersten Kommentaren der anderen User*innen wahr. Beitrag und Kommentare bilden ein Gesamtwerk mehrerer, oftmals schlecht zu koordinierender Autor*innen. Am Beispiel eines ausgewählten Facebook-Postings der AfD aus dem Bundestagswahlkampf 2017 möchten wir zeigen, dass der Zusammenhang zwischen den Inhalten der Kommentare und der Beiträge selbst keinesfalls rein zufällig ist. Denn den Beitragenden ist es möglich, Impulse zu setzen, um Themen, Narrative und Querverweise in den Kommentaren zu evozieren, ohne diese selbst explizit äußern zu müssen und so dem prüfenden Auge der Journalist*innen entgehen zu können bzw. Kritik am eigentlichen Post als überzogen erscheinen zu lassen.

Dies ermöglicht die gleichzeitige Thematisierung unterschiedlicher Überzeugungen, die explizit ausgesprochen nicht zwingend konfliktfrei zusammenpassen, indem die Ausdeutung expressis verbis den Kommentierenden überlassen wird. Dadurch können konkurrierende Interpretationen seitens der Kommentierenden eine (Selbst-)Bestätigung erfahren, ohne dass sich die ursprünglichen Akteur*innen klar positionieren müssen. Die Leser*in kann in der Gesamtwirkung die Botschaft trotzdem entschlüsseln, ohne die Andeutungen im ursprünglichen Post verstehen zu müssen.

Wir stellen damit explizit ein multimediales Vorgehen in den Vordergrund und distanzieren uns von computergestützten Auswertungsverfahren. Deren Fokus liegt vornehmlich auf einer Analyse der (Kommentar-)Texte, wodurch die Verbindung zwischen Kommentaren und Posting aufgehoben wird. Dies ignoriert jedoch die Grammatisierungen des Postings an sich: Damit ist gemeint, dass sowohl das Formulieren oder Erstellen eines Postings als auch das Kommentieren eines Postings vielschichtigen technischen Regeln und sozialen Konventionen unterliegt. Weder Postings noch Kommentare sind beliebige Artefakte, sondern Ausfluss wirksamer Kommunikationsregime.[5] Dazu gehören bspw. der Präsentationsmodus von Facebook für Postings und die Positionierung einzelner (Bild-Text-)Elemente zueinander oder die Konventionen von Texten als Äußerungsmedium für Kommentare.[6]

Im Folgenden tragen wir die voranstehenden Überlegungen an ein konkretes Beispiel heran. Anhand eines Facebook-Postings der AfD zum Thema Familiennachzug widmen wir uns exemplarisch dem Zusammenspiel von Posting und Kommentaren. Die Daten entstammen dem Kooperationsprojekt »Wahlkampf in (a)sozialen Netzwerken« der Universitäten Hildesheim, Heidelberg und Göttingen, das den Facebook-Wahlkampf der Parteien und Spitzenkandidat*innen der nun auch im Bundestag vertretenen Parteien zwischen dem 29. Januar und dem 24. September 2017 untersucht hat.[7] Methodisch gehen wir, wenn auch angesichts der begrenzten Ressourcen dieses Beitrags stark verkürzt, im Sinne der dokumentarischen Methode vor.[8] Aus diesem Grund legen wir den Fokus auf die Interpretation des Postings, besonders auf das visuelle Element, während die Kommentare lediglich kursorisch Eingang in die Analyse finden.

Anwendungsbeispiel

Die Interpretation erfolgt in drei Schritten: Der erste Schritt berücksichtigt die Wirkung des Bildes im technischen Kontext, wenn über den ID-Link direkt auf den Statusbeitrag zugegriffen wird (Abb. 1). Diese Darstellung resultiert aus technischen Vorgaben und prädisponiert erste Konfrontationen mit dem Bild, das am 29. August 2017, also knapp vier Wochen vor der Bundestagswahl, bei Facebook eingestellt wurde. Bei der Interpretation eines Bildes, das online geteilt und digital rezipiert wird, ist einzubeziehen, welche Regeln technisch auf die Rezeption des Bildes oder, allgemeiner gesprochen, des Inputs einwirken könnten; die kollektive Erfahrung des Bildes und die kollektive Handlung, also die Kommentierung, folgen Konventionen, die z.T. von Facebook vorgegeben sind.[9]

Hierbei sind vor allem zwei Faktoren zu beachten: Zum einen, dass der Begleittext des Postings nicht komplett lesbar ist, sondern nach knapp der Hälfte, hinter »nachhaltig zerstör …«, abbricht. Der Rest des Textes wird erst durch die Interaktion mit einem Hyperlink (»Mehr anzeigen«) zugänglich und sichtbar gemacht. Zum anderen ist die Präsentation eindeutig auf das Bildelement ausgerichtet, die »Info- und Kommentarspalte« nimmt lediglich ein knappes Viertel der Darstellungsbreite ein. Da dies, wie erwähnt, eine technologisch produzierte Darstellungsform ist, die stark auf das Bild auf der linken Seite fokussiert ist, während der Text dezent daneben platziert ist, scheint es sinnvoll, aus dieser technologisch vorgegebenen Darstellung zunächst das Bildelement genauer in den Blick zu nehmen und den Infotext bis auf Weiteres hintanzustellen.

Abb. 2: »Familiennachzug«, Abbildung im Browser, Screenshot-Datum: 27.08.2018, URL: http://facebook.com/387_540404695989874_1607034699326863

Die folgende Beschreibung (Abb. 2) konzentriert sich aus Platzgründen stark auf Elemente, die für den zweiten Interpretationsschritt wesentlich sind, ist methodisch aber umfassender angelegt. Im zweiten Schritt erfolgt eine Bildanalyse inklusive Interpretationsversuch.[10] Ziel ist es, Zugriff auf implizite Kommunikationsgehalte von Bildern zu erlangen und in ihrer immanenten Dimension zugänglich zu machen. Dies dient dem Zweck, die »konjunktive, implizite Sinnebene«[11] zu erfassen.

Formulierende Interpretation

Die Grundstruktur des Bildes ist rechteckig, nahezu quadratisch. Die Farbgebung ist düster, es dominieren Blau-, Grau-, und Ockertöne, mit vereinzelten Elementen in kräftigem Rot und Weiß. Die Grundkomposition des Bildes besteht aus den in Teilen sichtbaren Transparenten vor einer Gebäudewand, die Buchstaben weisen auf den (unvollständigen) Slogan »Refugees Welcome« hin. Im starken Kontrast zu den dunklen Tönen sind die Textelemente in Weiß-Rot (»Familiennachzug«), Schwarz-Grau (»Weitere 2 Millionen Migranten ab 2018: Jetzt gibt uns Merkel den Rest«) und Weiß-Blau-Rot (»Trau dich Deutschland!«, »Alternative für Deutschland«) gehalten – wobei Erstere eine rechteckige Form haben, mit jedem Zeilenumbruch weiter mittig eingerückt werden und die Schriftgröße zunimmt. Das AfD-Schriftelement zeichnet sich durch den geschwungenen Anstieg zum rechten Bildrand hin aus.

Abb. 3: »Familiennachzug« mit eingezogenen Feldlinien, eigene Darstellung

Bei der Interpretation des Bildes stehen drei Aspekte im Mittelpunkt: die Positionierung der Transparente, die Positionierung und Gestaltung der Textfelder sowie der AfD-Banderole am unteren Bildrand. Diese vermitteln auf einer zunächst rein bildlich-formalen Ebene, unbesehen des Textes, bereits Eindrücke, die bei der Betrachtung wirken. Um diese Eindrücke zu verdeutlichen, kann man die Formsprache der Bildebene mittels Hilfslinien betonen (Abb. 3). Durch die Feldlinien wird klar, dass die drei benannten Formelemente eine innerbildliche Dynamik andeuten.

Weiterhin erscheint die Anordnung der Textelemente als eine Art Treppe, die drei Stufen hinabführt. Diese Treppenform verweist kompositorisch auf eine negative Aussage: Es geht »abwärts«. Bei der Formgebung des Transparents verhält es sich anders: Hier herrscht eine aufsteigende Tendenz vor, deren Steigung rechts der Schnittlinie der beiden Transparenthälften deutlich zunimmt. Das dritte dynamische Bildelement ist schließlich die blaue Banderole am Fuß des Bildes. Diese steigt in einer parabolischen Kurve von links nach rechts an, die blaue Fläche nimmt also in Leserichtung immer mehr Raum ein und spiegelt damit die Steigungskurve des Transparents.

Unterstützt wird diese Dynamik durch die Schriftsetzung der zentralen Textfelder: Der Farbwechsel, die zunehmende Schriftgröße und der Fettdruck korrespondieren mit einer Zuspitzung im Ton. Der Familiennachzug umfasse zwei Millionen Migranten ab 2018; der Doppelpunkt formuliert eine Art Drohung. Dies kulminiert in der Aussage »Jetzt gibt uns Merkel den Rest!«, betont durch den zentral gesetzten Text und die nochmals erhöhte Schriftgröße im Fettdruck. Die Textlogik folgt also einer Eskalation: Der Familiennachzug für Geflüchtete führt zu zwei Millionen zusätzlichen Migranten und das wird mit einer direkten Schuldzuweisung an Angela Merkel verknüpft, die einem suggerierten »uns« »den Rest« gebe. Dieses »uns« ist neben dem »dich« in »Trau dich!« das einzige Personalpronomen; es findet also auf Textebene eine persönliche Ansprache statt.

Reflektierende Interpretation

Um diese Eindrücke nun zusammenzubinden: Auf der oberflächlichen Ebene handelt es sich bei dem Bild um eine zwar harsche, aber sprachlich nicht zwangsläufig eskalierende Form der Wahlkampfkommunikation. Werden jedoch die Schriftelemente und ihre Einbettung in die Komposition genauer untersucht, entsteht ein tiefergehender Interpretationsspielraum. Zunächst suggeriert die Verwendung des Wortes »uns« eine Verbundenheit zwischen den Betrachter*innen und der produzierenden Bildinstanz, also in diesem Fall mit der AfD als Partei verkörpert durch ihren Facebook-Account. Die Positionierung der Aufforderung »Trau dich Deutschland!« verstärkt diese Verbundenheit, indem sie zugleich personalisiert und auf einer verallgemeinernden Ebene (ganz Deutschland) operiert. Hier vollzieht sich die Etablierung eines populistischen Moments, die Gleichsetzung zwischen dem »Volk« (der Imperativ »Trau dich« vollzieht die Gleichsetzung mit »Deutschland«) und der AfD (wobei das »uns« eine Einheit zwischen der AfD und dem imperativ adressierten Deutschland suggeriert).

Hervorzuheben ist die Interaktion mit dem Transparent, vor das die Textbotschaft gesetzt wurde: Sowohl die Schnittlinie als auch die oberen Kanten des Transparents deuten auf die »2 Millionen ab 2018«. Unterstützt wird dies noch durch die Trennung zwischen »jetzt Merkel« links, also diesseits von 2018, und »gibt uns den Rest« rechts, also jenseits von 2018. Die Schnittstelle zwischen den beiden Transparenten vermittelt somit den Eindruck einer Zäsur.[12] Die Betrachter*innen werden mit einer düsteren Thematik konfrontiert, bei welcher dem suggerierten »[U]ns«, also den Betrachter*innen sowie der AfD, durch den von Angela Merkel verantworteten Familiennachzug »der Rest gegeben« werden soll – eine Phrase, die erklärungsbedürftig ist.

»Jemandem den Rest geben« ist oftmals eine Umschreibung, die darauf hinausläuft, jemanden – in diesem Falle das identische »[U]ns« – »zur Strecke« zu bringen. Gleichzeitig ließe sich »den Rest geben« auch so lesen, dass es Bezug auf die Migrant*innen nimmt, die mittels Familiennachzug einreisen: Insofern handelt es sich um eine herabwürdigende Beschreibung dieser potenziell einreisenden Menschen; sie werden als »Rest«, als Aus- und Überschuss kategorisiert. Diese Herabwürdigung spiegelt sich in der Platzierung der Botschaft vor einem Transparent, das sich ursprünglich positiv auf die Willkommenskultur bezieht. Der Begriff »Rest« ist also ambivalent und hat potenziell eine doppelte Bedeutung: Er markiert die angekündigten Migranten zugleich als Aus- und Überschuss und verknüpft dies direkt mit der Bedrohung, die daraus angeblich für die autochthone Bevölkerung erwachse, der durch diesen Immigrationsschub ein doppelter Rest gegeben würde.

Da die formale Logik der Präsentation eine Steigerung darstellt, lässt sich die Botschaft auch umformulieren und zuspitzen: »Der Familiennachzug gibt uns durch 2 Millionen zusätzliche Migranten den Rest und es ist die Schuld von Merkel.« Diese Deutungsfigur ist ihrerseits anknüpfungsfähig an ethnopluralistische Denkweisen – ein Konzept, das mit dem aufkommenden Anti-Islamismus seit den 2000er Jahren zunehmend mit einem rassistisch-völkischen Überfremdungsgedanken verknüpft ist: Die europäischen Gesellschaften »seien nicht mehr ›Herr im eigenen Haus‹ und würden zu ›Ausländern im eigenen Land‹.«[13]

Von einem völkischen Ethnopluralismus ist es nicht mehr weit bis zur »Theorie des großen Austauschs«. Diese Denkfigur der modernen, ethnopluralistischen radikalen Rechten[14] befürchtet den Austausch der autochthonen Bevölkerung inklusive ihrer sukzessiven Auflösung durch vermeintlich kulturfremde Zuwander*innen.[15] Damit evoziert die Bildsprache Anknüpfungspunkte an rechtsradikales Gedankengut, wie es bspw. bei der Identitären Bewegung gepflegt und propagiert wird. Die Bildgestaltung in Form einer abwärts führenden Treppe unterstreicht subtil den potenziell apokalyptischen Grundton der Aussage.

In die Suggestion der Bedrohungslage ist jedoch bereits im Bildsinn eine Lösungsperspektive eingebettet. Der nach rechts zunehmend breiter werdende blaue Streifen der Banderole symbolisiert einen Hoffnungsschimmer: Sofern sich Deutschland bloß traue, sich zur AfD zu bekennen, könne das Schlimmste vielleicht noch abgewendet werden – hier spielt der Zeitpunkt des Postings, vier Wochen vor der Bundestagswahl 2017, eine wichtige Rolle. Damit knüpft das Bild an diverse etablierte Denk- und Mobilisierungsmuster in rechtsnationalen und -radikalen Kontexten an und formuliert den Betrachter*innen und Kommentator*innen affizierte Interaktionsangebote, an die mithilfe von Kommentaren angedockt werden kann.

Es ist wichtig, hervorzuheben, dass diese rekonstruierten Sinngehalte nicht zwingend intendiert sein müssen: Ebenso ist denkbar, dass einige Designelemente Resultate impliziten Orientierungswissens und vorbewusster Handlungspraxen und ihrer zugrunde liegenden Deutungsmuster sind.[16] Soll heißen, dass nicht jedes Element in der Bilddarstellung gezielt und zu einem bestimmten Zweck so und nur so gestaltet wurde, sondern dass Vorstellungsmuster des Politischen die Bildproduktion mitbestimmt haben könnten, ohne dass dies der bildproduzierenden Instanz bewusst gewesen sein muss.

Dadurch eröffnet sich für die Kommentare unabhängig vom Begleittext ein Referenzrahmen, der den Rezipient*innen und Kommentator*innen für die Interaktion zur Verfügung steht und diese präfiguriert. So ergibt die kursorische Auswertung, dass sich die Topoi und narrativen Muster, welche die Kommentare strukturieren, als Anknüpfung und Spiegelung, aber auch als Ausdeutung und Erweiterung des Postings lesen lassen: Besonders Angela Merkel zieht in vielfacher Weise die Wut der Kommentator*innen auf sich. Sie bescheinigen ihr eine Geisteskrankheit, betonen, dass sie gestoppt gehöre, man ihr den Rest geben würde oder sie in der »Uckermark entsorgt« werden müsse. Die Kostenperspektive für künftige Generationen wird genauso eingebracht wie Invektiven gegen die Wähler*innen der Union, da sich nur die »dümmsten Schafe ihre Metzger« selbst aussuchen würden.

Situativ sind diese Szenarien einerseits anschlussfähig an wortreiche Ressentiments: So könne man sich einem Kommentar zur Folge nicht mehr auf die Straße trauen, »muss Einwanderern beim Klauen zusehen und wenn man etwas sagt, wird man bedroht«. Die Justiz messe mit zweierlei Maß, aus Deutschland würde binnen zwei Jahren ein »xxx-l-Flüchtlingscamp« und hätte man geahnt, wie die Steuergelder der kommentierenden Person – die selbstverständlich nicht »ausländerfeindlich« sei, immerhin kenne sie »auch ein paar nette Leute, die arbeiten gehen und integriert sind« – eingesetzt würden, hätte sie keine gezahlt. In diesem Kommentar finden sich nahezu alle Topoi wieder, die das Posting offeriert.

Daneben stehen sehr drastische Ausrufe, die vor einem Bürgerkrieg warnen (»EIN BÜRGERKRIEG IST DEMZUFOLGE VORPROGRAMMIERT!«), oder Kommentarinteraktionen, die unverhohlen antisemitische Verschwörungstheorien formulieren. Unter dem Kommentar, dass Merkels Mutter Jüdin sei, findet sich folgende Antwort: »Stimmt. Das Judentum wird immer mit der Mutter weitergegeben. Es wird auch gemunkelt, dass Merkel einen Israelischen [sic!] Pass hätte. Und was schworen nochmal die Juden nach dem 2. WK? ………. erst zu ruhen, bis alles deutsche Vermögen in jüdischer Hand ist.« Diese Thematisierung der jüdischen Weltverschwörung ist unmittelbar an die antisemitischen Konnotationen des »Großen Austauschs« geknüpft und damit ein klassisches rechtsradikales Motiv mit einer langen historischen Tradition.[17]

Inhaltliche Anlagerung durch rhetorische Autovervollständigung

Diese kurze Inspektion der Kommentare offenbart bereits eine große Bandbreite ehrverletzender, rassistischer und antisemitischer Invektiven. Zwar kann an dieser Stelle keine umfassende Auswertung präsentiert werden, aber die Anschlussfähigkeit der Kommentare an die rekonstruierten Bildinhalte wurde in Grundzügen deutlich. Diesen Prozess der Explikation lediglich subtiler Bildinhalte durch einen Kommentar wollen wir zusammenfassend als inhaltliche Anlagerung bezeichnen: Damit meinen wir einen Prozess, bei dem intersubjektiv geteilte Deutungsrahmen – hier zwischen den Bild-Produzent*innen und den Bild-Rezipient*innen – auf der Ebene eines einzelnen Kommunikationsereignisses die Basis für eine Interaktionsbeziehung sind, bei der schließlich Inhalte und Positionen einseitig zur Geltung gebracht werden. Nur eine der beiden Interaktionsparteien schreibt die Inhalte und Interpretationen, die das Posting bietet, aus. Die Formulierung des diffusen Inhaltes wird gewissermaßen delegiert: Es kommt durch eine rhetorische Autovervollständigung zum outsourcing des Klartextes.

Diese Auslagerung, respektive die Verlagerung von expliziten Inhalten aus dem Posting in die Kommentare, ermöglicht Rechtfertigungsstrategien, wie sie der Pressesprecher der AfD eingangs beim Wasserwerfer-Posting an den Tag gelegt hat. Die inhaltliche Ausdeutung, die Formulierung von Invektiven oder auch Hate Speech komme von den Kommentator*innen. Die Partei und ihre Plattform werden davon überschwemmt, mehr als Distanzierung und Verurteilung bleibe der Partei nicht. Andererseits können mithilfe dieser Strategie der sprachlich unauffälligen Botschaften Parteikommunikationsakte und politische Botschaften an sich in eine Scharnierposition gerückt werden und zwei Funktionen zugleich erfüllen: Auf der einen Seite wirken sie in den allgemeinen massenmedialen Diskurs und stellen eine Anschlussmöglichkeit her. Auf der anderen Seite ist es durch inhaltliche Anlagerung möglich, integrativ in politische Milieus und Untergruppen zu wirken, die mobilisiert, womöglich sogar rekrutiert, zumindest aber nicht verschreckt oder zurückgewiesen werden sollen.

Dieser Prozess bedarf dringend weiterer Erforschung. Wir möchten hierfür den Begriff der Memefizierung vorschlagen. Dieser greift den kommunikativen Prozess der inhaltlichen Anlagerung auf der Ebene des einzelnen Kommunikationsereignisses auf und bettet ihn in einen spezifisch strukturierten medialen Zusammenhang ein. Diese Vermittlungsposition zwischen gesellschaftlich-massenmedialem Diskurs und einem parteizentrierten Diskurs lässt sich, so die Hoffnung, mithilfe dieses Begriffs in zukünftigen Forschungsarbeiten direkt adressieren und analysieren. Der Begriff soll zum einen die kollektiven, intersubjektiv geteilten Prozesse der Herstellung, Referenz und Weiterentwicklung sowie -verbreitung von Sinn würdigen, auf die der popkulturell etablierte Begriff Meme auch bezogen werden kann.[18] Zugleich berücksichtigt er aber die zunehmende Bedeutung visueller Kommunikationsformen in digitalen Medien auch und gerade bei der radikalen Rechten, die immer stärker über Memes stattfindet.[19] Die konzeptionelle Verfeinerung ist sicherlich in Zukunft noch zu leisten.

[1] Vgl. dazu o. V.: Proteste gegen AfD in Hannover: Wasserwerfer bei 0 Grad!, in: euronews, 02.12.2017, URL: https://de.euronews.com/2017/12/02/proteste-gegen-afd-in-hannover-wasserwerfer-bei-0-grad [eingesehen am 28.11.2019].

[2] Der nicht abgebildete Text zum Bild lautet: »+++Mitmachen: In Hannover kommen trotz winterlicher Temperaturen Wasserwerfer zum Einsatz – ist das gerechtfertigt?+++ Wenn es ums Austeilen geht, sind Linksextreme kompromisslos. Das mussten einige Delegierte gestern leidlich erfahren – Krankenhausaufenthalte und Knochenbrüche inklusive. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, um die zum Teil bedrohliche Lage zu entschärfen, sofort machte sich deshalb seitens linker Aktivisten Unmut in den sozialen Netzwerken breit.Was meinst Du? Sollte die Polizei auch weiterhin oder sogar noch stärker durchgreifen? Oder sollte man auf linksextreme Antidemokraten noch mehr Rücksicht nehmen?«

[3] Alle Angaben beziehen sich hier auf den kompletten Zeitraum von zwei Jahren zwischen Erstellung des Postings und der Abfassung dieses Artikels.

[4] Vgl. Winterbauer, Stefan: »Alternative: Flammenwerfer« – die Ohnmacht beim Pseudo-Kampf gegen Facebook-Hatespeech von AfD-Fans, in: Meedia, 04.12.2017, URL: https://meedia.de/2017/12/04/alternative-flammenwerfer-die-ohnmacht-beim-pseudo-kampf-gegen-facebook-hatespeech-von-afd-fans/ [eingesehen am 28.11.2019].

[5] Vgl. Traue, Boris: Visuelle Diskursanalyse. Ein programmatischer Vorschlag zur Untersuchung von Sicht- und Sagbarkeiten im Medienwandel, in: Zeitschrift für Diskursforschung, Jg. 1 (2013), H. 2, S. 117–136, hier S. 128 ff.

[6] Vgl. Schmidt, Jan-Hinrik: Linked. Vom Individuum zur Netzgemeinschaft, in: Stiegler, Christian u. a. (Hg.): New Media Culture: Mediale Phänomene der Netzkultur, Bielefeld 2015, S. 83–95.

[7] Für eine Vorstellung des Projektes vgl. Schmitz, Christopher: Wahlkampf in (a)sozialen Netzwerken. Oder: Hate Speech jenseits politischer Extreme, in: Demokratie-Dialog, Jg. 1 (2017), H. 1, S. 10–14 und Schünemann, Wolf J./Steiger, Stefan: Parteien und Spitzenkandidaten auf Facebook im Bundestagswahlkampf 2017. WORKING PAPER 1.1 – METADATENANALYSE, URL: https://www.uni-hildesheim.de/wahlkampfanalyse/index.php/2018/05/04/wahlkampfkommunikation-und-interaktion-der-parteien-und-spitzenkandidaten-im-bundestagswahlkampf-2017/ [eingesehen am 03.02.2020].

[8] Vgl. Bohnsack, Ralf: The Interpretation of Pictures and the Documentary Method [64 Paragraphs], in: Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research, Jg. 9 (2008), H. 3, Art. 26, URL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0114-fqs0803267 [eingesehen am 04.02.2020]; Bohnsack, Ralf: Die dokumentarische Methode in der Bild- und Fotointerpretation, in: Ders. u. a. (Hg.): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis, Wiesbaden 2013, S. 75–98; Bohnsack, Ralf: Bildinterpretation, in: Soziopolis, 25.05.2016, URL: https://www.soziopolis.de/verstehen/was-tut-die-wissenschaft/artikel/bildinterpretation/ [eingesehen am 15.04.2019]. Für praktische Anwendungsbeispiele siehe bspw. Jukschat, Nadine/Kudlacek, Dominic: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte? Zum Potenzial rekonstruktiver Bildanalysen für die Erforschung von Radikalisierungsprozessen in Zeiten des Internets – eine exemplarische Analyse, in: Hohnstein, Sally/Herding, Marita (Hg.): Digitale Medien und politisch-weltanschaulicher Extremismus im Jugendalter. Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis, Halle (Saale) 2017, S. 59–82; Schreiber, Maria/Kramer, Michaela: »Verdammt schön«. Methodologische und methodische Herausforderungen der Rekonstruktion von Bildpraktiken auf Instagram, in: Zeitschrift für Qualitative Forschung, Jg. 17 (2016), H. 1–2, S. 81–106.

[9] Vgl. Dolata, Ulrich/Schrape, Jan-Felix: Kollektives Handeln im Internet. Eine akteurtheoretische Fundierung, in: Berliner Journal für Soziologie, Jg. 24 (2014), H. 1, S. 5–30.

[10] Zum Vorgehen vgl. sehr prägnant Jukschat/Kudlacek, S. 63–65.

[11] Ebd., S. 60.

[12] Ob und inwiefern berücksichtigt werden sollte, dass es die Silbe »Come« von »Wel-Come« ist, die sich rechts dieser Zäsur befindet, lässt sich sicherlich ebenfalls diskutieren.

[13] Priester, Karin: Rechtspopulismus – ein umstrittenes theoretisches und politisches Phänomen, in: Virchow, Fabian u. a. (Hg.): Handbuch Rechtsextremismus, Wiesbaden 2016, S. 533–560, hier S. 541.

[14] Radikal als vorstellungsbezogene Kategorie verstanden als »Positionen, die für autoritäre Politik und Gesellschaftsformen stehen und dabei tendenziell antiliberal, völkisch, rassistisch und geschichtsrevisionistisch sind«. Finkbeiner, Florian/Geiges, Lars/Trittel, Katharina: Rechtsradikalismus in Niedersachsen. Akteure, Entwicklungen und lokaler Umgang, Bielefeld 2019, S. 13.

[15] Vgl. Brumlik, Micha: Das alte Denken der neuen Rechten. Mit Heidegger und Evola gegen die offene Gesellschaft, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 3/2016, S. 81–92.

[16] Vgl. Bohnsack, Ralf/Nentwig-Gesemann, Iris/Nohl, Arnd-Michael: Einleitung: Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis, in: Bohnsack, Ralf u. a. (Hg.): Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis, Wiesbaden 2013, S. 9–32, hier S. 9.

[17] Vgl. Botsch, Gideon: Rechtsextremismus und »neuer Antisemitismus«, in: Glöckner, Olaf/Jikeli, Günther (Hg.): Das neue Unbehagen. Antisemitismus in Deutschland heute, Hildesheim u. a. 2019, S. 21–38, hier S. 30 ff.

[18] Vgl. Shifman, Limor: Memes in a Digital World. Reconciling with a Conceptual Troublemaker, in: Journal of Computer-Mediated Communication, Jg. 18 (2013), H. 3, S. 362–377; Grünewald-Schukulla, Lorenz/Fischer, Georg: Überlegungen zu einer textuellen Definition von Internet-Memes, in: kommunikation @ gesellschaft, Jg. 19 (2018), Sonderheft, S. 1–10.

[19] Vgl. Bogerts, Lisa/Fielitz, Maik: »Do You Want Meme War?« Understanding the Visual Memes of the German Far Right, in: Fielitz, Maik/Thurston, Nick (Hg.): Post-Digital Cultures of the Far Right. Online Actions and Offline Consequences in Europe and the US, Bielefeld 2019, S. 137–154.