Die Bundestagswahl steht gewissermaßen vor der Haustür. Betrachtet man Wahlkämpfe als Zeitfenster, in denen sich die politische Diskussion – nicht nur bei Parteien, politischem Personal und Medien, sondern auch bei den potenziellen Wählerinnen und Wählern – intensiviert, gilt dies für soziale Netzwerke gleichermaßen. Sie erscheinen als ideale Nährböden für öffentliche politische Auseinandersetzungen und sind – auch weil sie in dieser Hinsicht gewissermaßen den Reiz wissenschaftlichen »Neulands« besitzen – für viele Forschende äußerst interessant. Auch das Forschungskonsortium »Wahlkampf in (a)sozialen Netzwerken. Politische Online-Kommunikation und Diskursverhalten im Kontext des Bundestagswahlkampfs 2017« setzt sich mit diesem Gegenstand auseinander. Unter der Leitung von Wolf Schünemann (Hildesheim) soll gemeinsam mit Michael Gertz (Heidelberg) und Mitarbeitern des Göttinger Instituts für Demokratieforschung (im Rahmen der Forschungsstelle für politisch-religiöse Extremismen) der Einfluss internet-basierter Kommunikationsformen auf die politische Debattenkultur im Bundestagswahlkampf 2017 untersucht werden.[1] Doch was ist eigentlich das Besondere an politischer Kommunikation und Kommunikation über Politik im Internet?

Auf dem Papier ermöglichen netzbasierte Kommunikationsformen die vollständig gleichberechtigte Teilnahme von Individuen am politischen Diskurs: Theoretisch ist es denkbar, dass Politikerinnen und Politiker online in den direkten Austausch mit potenziellen Wählerinnen und Wählern treten. Diese Art der direkten Kommunikation zwischen Wählenden und Wählbaren stellt dabei den Kern einer idealen deliberativen, direkten und digitalen Demokratie dar.[2] So weit die Theorie. Bereits vor über zwanzig Jahren hat der Politikwissenschaftler Hubertus Buchstein in kritischen Anmerkungen darauf hingewiesen, dass digitale Kommunikationsmedien eine fundamentale Herausforderung sowohl für die politische Theorie als auch für die politische Praxis bedeuteten, da diese eine für das politische Denken der Moderne grundlegende Unterscheidung infrage stellten und aufzuheben drohten: die Differenzierung zwischen öffentlicher und privater Sphäre, zwischen Citoyen und Bourgeois, die durch die digitale, unmittelbare Kommunikation zunehmend brüchig, die Unterscheidung schlicht hinfällig werde. Personalisierte Newsfeeds – oder persönliche Tageszeitungen, wie diese Vision zehn Jahre vor der Geburt von Facebook genannt wurde – und unvermittelte Kommunikation würden eine maßgeblich durch Medien vermittelte und aggregierte Öffentlichkeit sukzessiv aushöhlen und schließlich ersetzen. Zudem sei im Zuge der Digitalisierung die Debatte um demokratische Zensur durch »technisches K.O.« vollständig zugunsten der nahezu ungehemmten Meinungsfreiheit entschieden. Die Frage, ob Hassreden, rassistische sowie sexistische Äußerungen oder Gewaltaufforderungen im Namen der Meinungsfreiheit zu tolerieren oder ob sie vielmehr eine Grundvoraussetzung des demokratischen Miteinanders verletzten und deshalb zu sanktionieren seien, würde durch die Privatisierung der Öffentlichkeit im Internet insofern zugunsten libertärer Meinungsfreiheit beantwortet, als es kaum Möglichkeiten gebe, die private oder pseudo-öffentliche Kommunikation zu sanktionieren, ohne sie komplett zu überwachen.[3] Man denke nur an die Debatte über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, um dieses Problem im aktuellen Gewand zu erleben.[4]

Dass die politische Auseinandersetzung in der Facebook-Agora gegenwärtig keinen guten Ruf genießt und den Idealen demokratischer Auseinandersetzung nicht gerecht wird, ist also keineswegs aus heiterem Himmel über das Medium und die sozialen Netzwerke hereingebrochen, sondern vielmehr tief in die Struktur des Internets eingelassen. Die scheinbar allgegenwärtigen Eskalationsspiralen in der öffentlichen Auseinandersetzung hinterlassen den Eindruck, dass folgende populäre Gegenwartsdiagnose überaus zutreffend ist: Während Meinungen durch intensive Beharrungskräfte geschützt, gestützt und intensiviert werden, schwinden die Räume für konstruktive, konsensorientierte, dialogische Auseinandersetzungen. Was bleibt, ist der konfrontative Gestus in den Kommentarspalten. Hate Speech[5] – auch: Hassrede, Hasskommentare, Hasspostings – ist der Begriff der Wahl, wenn von Texten und Beiträgen die Rede ist, die mehr Invektive als Innovation, mehr Destruktion statt Konstruktion und mehr Geifer als Gespräch sind. Die Zeichen der Kommunikation in sozialen Netzwerken stehen also auf Konfrontation und Eskalation, so die verbreitete Deutung.

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Zum einen ist die schiere Banalisierung des Internets als Technologie dafür verantwortlich. Nicht nur hat sich die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer innerhalb von nur zwei Jahrzehnten allein in Deutschland von vier Millionen gelegentlichen Usern im Jahr 1997 auf knapp sechzig Millionen faktisch tägliche User im Jahr 2016 erhöht.[6] Zum anderen war es nie einfacher zu surfen. Das Smartphone hat das Netz allgegenwärtig und ständig verfügbar gemacht. Es ist ubiquitär. Soziale Netzwerke sind somit zu einem entscheidenden Ort der persönlichen Selbstvergewisserung und kulturellen Sinnstiftung avanciert – sie sind sozialisierte und sozialisierende Instanz zugleich. Dies bedeutet auch, dass soziale Netzwerke in vielerlei Hinsicht und bei diversen Gelegenheiten als Resonanzboden für Propaganda und Radikalisierung bis hin zum offenen Extremismus dienen können.[7] Soziale Medien sind verstärkt zu abgeschotteten Räumen, voneinander abgegrenzten Diskursarenen, mithin: zu Echokammern geworden.[8] Diese (oftmals ideologisch) sortierten Diskussionsräume sind Produkt und Katalysator einer zunehmenden Polarisierung politischer Kommunikation. Statt sich in der Diskussion einander anzunähern, reproduzieren sich Meinungen und Werthaltungen gleich einem Fraktal der Selbstbestätigung und unterminieren den Raum für Konsensfindung. Im äußersten Fall ist das Ergebnis eine »crippled epistmology« im Sinne einer unversöhnlichen und unnachgiebigen, zum Konsens jenseits der eigenen Anschauungen unfähigen Sicht auf die Welt.[9] Dass soziale Medien Sortierungs-, Zuordnungs- und Identifikationsprozesse in ideologisch-politische Lager bis hin zum Radikalismus und Extremismus erlauben und auch stellenweise begünstigen, ist also in vielerlei Hinsicht wahrscheinlich.[10] Mithin könnten derlei Prozesse gar dazu führen, dass politische Kommunikation in sozialen Netzwerken zu einem Resonanzraum für jenen menschenverachtenden Chauvinismus oder, wie der Konflikt- und Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer es nennt, für eine »Entkultivierung des Bürgertums«[11] wird. Und dies nicht nur an den Rändern des politischen Spektrums, sondern auch und vielleicht gerade aus der soziodemografischen und ökonomischen Mitte der Gesellschaft heraus.

Sollten diese Annahmen zutreffen, rückt zugleich die Suche nach Ursachen und Begleiterscheinungen, die solche Konfrontationen und Eskalationen bedingen und flankieren, in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Wesentlich hierbei ist, dass diese Prozesse nicht in einem luftleeren Raum ablaufen. Soziale Medien sind mitnichten ausschließlich virtuell, sondern produzieren mitunter höchst manifeste Realitäten – und sind zugleich Ergebnis gesellschaftlicher Prozesse. So ist die fortdauernde Ungewissheit darüber, ob Donald Trump seine Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten nun dank der sozialen Medien, insbesondere Facebook, gewonnen habe oder eben nicht, gerade aufgrund der fehlenden eindeutigen Auflösung dieser Frage ein Ausweis dieser komplexen und interdependenten Gemengelage.[12] Die Kommunikation in sozialen Netzwerken steht keineswegs für sich alleine, sondern ist eingebettet in ein Umfeld gesellschaftlichen Handelns. Sie wird produziert und rezipiert, schließlich auch inkorporiert – Menschen (be-)arbeiten Kommunikation, und diese wirkt sich aus: auf Individuen, Gesellschaft und Politik.

Eine Annäherung an das Diskursverhalten in dieser Umgebung muss diesem komplexen Geflecht angemessen Rechnung tragen. Entsprechend vielschichtig fallen die Fragen aus, die zu einer ersten Sondierung des Forschungsfeldes gestellt werden: Was prägt Debatten in sozialen Netzwerken? Nach welchen Mustern funktionieren sie? Welche Bedingungen müssen gegeben sein, damit eine Eskalation oder auch Deeskalation auf der diskursiven Ebene eintritt? Zum einen werden diese Fragen an die Debatten selbst herangetragen, natürliche Daten also gesammelt und ausgewertet. Zum anderen ermöglichen es zusätzliche im Forschungskonsortium angedachte Erhebungsmethoden, beispielsweise eigens durchgeführte Experimente und Gesprächsrunden, solche Zusammenhänge weiter zu erhellen, zu testen oder auch infrage zu stellen.

Kurzum: Bei dem Forschungsvorhaben geht es auch um die Identifikation von Mustern, Regelmäßigkeiten und Bedingungen von Netzkommunikation im Spannungsfeld zwischen deliberativen Diskursen auf der einen und enthemmten Hasstiraden auf der anderen Seite. Gleichzeitig geht es auch darum, die »Mitte« der Gesellschaft, die sich nicht zwingend zu politischem Aktivismus bekennt oder sich vielleicht auch gar nicht so sehr für Politik interessiert, auf ihr Erregungspotenzial im Sinne einer aufpeitschenden Sprache hin abzuklopfen. Dieses Vorhaben steht in der Tradition eines zunächst kritisch-skeptischen Verständnisses von zivilgesellschaftlichem Engagement, die von einem naturgegebenen positiven Beteiligungs- und Zivilgesellschaftsbegriff zunächst einmal absieht: Konzepte, die auf einer Förderung von Aspekten wie »Engagement«, »Freiwilligkeit« und »Zivilgesellschaft« oder auch »Kommunikation« in sozialen Medien zur Revitalisierung der Demokratie basieren, blenden den Aspekt einer möglichen »negativen Mobilisierung« aus.[13] Somit lässt sich auch über die politische Auseinandersetzung in sozialen Netzwerken sagen, dass sie keineswegs zu demokratisch-diskursiver Zivilität einer perfekten direkten Demokratie führen muss, sondern auch nicht intendierte Nebenfolgen haben kann, die so gar nicht im Sinne einer Demokratie sind. In jüngerer Zeit hat vor allem das Beispiel Pegida gezeigt, dass zivilgesellschaftliches Engagement auf freiwilliger Basis per se nicht zwingend zu einer Verbesserung des demokratischen Gemeinwesens beiträgt – weder auf der Straße noch in den sozialen Netzwerken.

Und schließlich stellt sich auch die ganz banale Frage: Wie wichtig ist den Menschen das Internet in ihrer politischen Kommunikation? So unschön und bedenklich die Kommunikation online stellenweise auch sein mag — als wie wirkmächtig ist sie nun eigentlich einzuschätzen? Schließlich geht es hier um das Internet, über das immer alle reden. Die angedeuteten Fragestellungen bieten genug Gelegenheit, sich einzumischen und mitzureden.

[1] Weitere Informationen zum Projekt finden sich auf der Projekt-Website: https://www.uni-hildesheim.de/wahlkampfanalyse/.

[2] Vgl. bspw. Zehnpfenning, Barbara: Mehr Transparenz – weniger Demokratie? Über die politische Dimension des Internets, in: Kneuer, Marianne (Hrsg.): Das Internet: Bereicherung oder Stressfaktor für die Demokratie?, Baden-Baden 2013, S. 35–56, hier S. 56 und Schünemann, Wolf J. et al.: Transnationalisierung und Demokratisierung politischer Öffentlichkeit über Soziale Medien – ein Politikfeldvergleich, in: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft, Jg. 10 (2016), H. 2, Supplement, S. 233–257, hier S. 234.

[3] Buchstein, Hubertus: Bittere Bytes: Cyberbürger und Demokratietheorie, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Jg. 44 (1996), H. 4, S. 583-607, hier S. 593 ff.

[4] Eine kurze Zusammenfassung der Debatte und der Argumente gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz liefert Hanfeld, Michael: Meinungsfreiheit im Neuland, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.05.2017, URL: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-spd-die-medienaufsicht-und-das-netzgesetz-von-heiko-maas-15022336-p2.html?printPagedArticle=true [eingesehen am 24.08.2017].

[5] Zur exponierten Position des Begriffes in der Debatte vgl. bspw. Amadeu-Antonio-Stiftung (Hrsg.): »Geh sterben!«. Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet. Amadeu-Antonio-Stiftung, URL: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/hatespeech.pdf [eingesehen am 24.11.2016]. Zu einer grundsätzlichen Annäherung an den Begriff siehe Butler, Judith: Haß spricht. Zur Politik des Performativen, Frankfurt a.M. 2006.

[6] Vgl. exemplarisch ARD-ZDF-Onlinestudie: Entwicklung der Onlinenutzung in Deutschland 1997 bis 2016. Personen ab 14 Jahren, in: ARD-ZDF-Onlinestudie, URL: http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/index.php?id=558 [eingesehen am 28.07.2017].

[7] Vgl. exemplarisch die Auswertung der Pegida-Facebook-Gruppe in Göttinger Institut für Demokratieforschung: Büchse der Pandora? PEGIDA im Jahr 2016 und die Profanisierung rechtspopulistischer Positionen. Gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms ›Demokratie Leben! ‹, Göttingen 2016, S. 38–78.

[8] Vgl. Lütjen, Torben: Die Politik der Echokammer. Wisconsin und die ideologische Polarisierung der USA, Bielefeld 2016; Sunstein, Cass R.: Going to Extremes. How Like Minds Unite and Divide, New York 2009.

[9] Vgl. Hardin, Russell: The Crippled Epistemology of Extremism, in: Breton, Albert et al. (Hrsg.), Political Extremism and Rationality, Cambridge 2002, S. 3–22.

[10] Dies ist eine Position, die in der Debatte um die Bedeutung der FilterBubble ebenfalls vertreten wird, vgl. bspw. Behrens, Christoph: Der Mythos von der Filterblase, in: Süddeutsche Zeitung, 28.11.2016, URL: http://www.sueddeutsche.de/wissen/erkenntnistheorie-der-mythos-von-der-filterblase-1.3254772 [eingesehen am 29.11.2016]; Flaxman, Seth et al.: Filter Bubbles, Echo Chambers, and Online News Consumption, in: Public Opinion Quarterly Jg. 80 (2016), SH. 1, S. 298–320.

[11] Heitmeyer, Wilhelm: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) in einem entsicherten Jahrzehnt, in: ders (Hrsg.): Deutsche Zustände. Bd. 10, Berlin 2012, S. 15–41, hier S. 35.

[12] Vgl. bspw. Read, Max: Donald Trump Won Because of Facebook, in: select all 2016, 09.11.2016, URL: http://nymag.com/selectall/2016/11/donald-trump-won-because-of-facebook.html [eingesehen am 22.11.2016].

[13] Vgl. Geiges, Lars et al.: Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?, Bielefeld 2015, 192 f.