Ein großer Bahnhof, irgendwo in Niedersachsen: Menschen drängen von einer Seite zur anderen, telefonieren oder suchen nach ihrem Gleis. Ich bin etwas nervös und taste mit der Hand nach dem beige gemusterten Leinenschal in meiner Umhängetasche. Als wir in die Straßenbahn steigen, kommt es mir so vor, als sähe ich heute mehr Frauen mit Kopftüchern und langen Gewändern als gewöhnlich, aber vielleicht spielt mir meine Wahrnehmung auch einen Streich. Ich bin mir nicht ganz sicher, was mich erwarten wird – Moscheen von innen kenne ich bisher nur aus dem Urlaub, vor allem aus der Türkei. Dort wurde man zu Beginn der Predigt stets gebeten, das Gebäude zu verlassen, um die Gläubigen nicht zu stören. Ich erinnere mich an wunderschöne, riesige Bauten, verziert mit bunten Glasfenstern, gerahmt von Minaretten, die bis in den Himmel reichen.

Die Sonne scheint und mir ist warm in der langen schwarzen Hose mit der hochgeschlossenen Bluse. Ich fummele mein Tuch aus der Tasche – soll ich es jetzt schon anlegen oder erst direkt vor der Moschee? Besser jetzt gleich: Ich bedecke meinen Kopf und die hochgesteckten Haare. Es fühlt sich ungewohnt an.

Das Gebäude, in dem sich die Moschee befindet, ist ein unscheinbarer Klinkerbau. Keine bunten Fenster, kein Minarett – nicht einmal ein Schild über dem Eingang, das auf ein Gotteshaus hinweist. Von den ca. 2800 Moscheen in Deutschland haben nur knapp 150 eine Kuppel und Minarett[1]. Es ist außerdem überraschend schwierig, die genaue Anzahl von Moscheen in Bund oder Land zu beziffern, es gibt keine vollständigen Listen, zumindest keine öffentlich zugänglichen[2]. Zwar gibt es eine Website[3], doch wird diese nicht regelmäßig gepflegt. Recherchen der Zeitung Die Zeit ergaben, dass die Moscheeverbände und Betreiber der einzelnen Gebetshäuser unter anderem Angriffe oder Hassnachrichten befürchten, wie es in der Vergangenheit schon vorgekommen ist[4]. Das erklärt vielleicht auch das schlichte Äußere dieser Moschee.

Den Frauenbereich betrete ich durch ein braunes Metalltor. In meiner Anspannung wirkt es bedrohlich und abweisend. Meine beiden Kollegen verschwinden durch den Haupteingang, ich stehe nun auf einer leeren Auffahrt, nur zwei Kinder spielen mit einem Fahrrad. Ich begrüße sie und sofort fragen sie mich: Wie ich heiße, wie eine Fahrradklingel funktioniert und ob ich denn weiß, wie schnell so ein Rad fahren kann. Sie scheinen keine Scheu vor Fremden zu haben und nehmen mich bei der Hand, um mir den Waschraum zu zeigen, in dem die Frauen die Möglichkeit haben, die rituelle Gebetswaschung durchzuführen. Der sogenannte wuḍūʾ, die kleine Waschung, ist von Muslimen vor jedem Gebet durchzuführen, denn ohne rituelle Reinheit ist ein Gebet nicht gültig[5]. Vor dem wuḍūʾ, wie vor vielen anderen religiösen Handlungen im Islam, soll der oder die Gläubige seine bzw. ihre Absicht zur Waschung erklären, um sich vollkommen auf die Handlung zu konzentrieren. Definitiv zu waschen sind Hände, Mund und Nase sowie Gesicht und Unterarme. Auch über den Kopf wird mit Wasser gestrichen; zum Schluss kommen die Füße. Diese Reihenfolge sollte unbedingt eingehalten werden[6]. Für die Muslime bedeutet dieses Prozedere die Reinwaschung von kleinen Sünden; von jenen, die mit den Augen und den Händen begangen wurden und jenen, zu denen ihre Füße sie getragen haben.[7]

Bild: Annemieke Munderloh; beispielhaft die Ditib-Moschee in Göttingen

Mein Tuch zurechtrückend gehe ich ins Innere des Gebetshauses. Dort ziehe ich meine Schuhe aus und stelle sie in das hohe Regal neben der Tür. Der Raum ist nicht sehr groß, etwa 80 Personen passen sitzend hinein. Die hintere Hälfte ist mit Teppichboden ausgelegt, im vorderen Teil bedeckt ein großer, gemusterter Läufer einen Teil des Linoleums. An der Wand hängt ein Bücherregal mit ungefähr 20 Koranen, von der schlichten Decke baumeln verschiedenfarbige Pompons aus Krepppapier. Auf dem Boden sitzen fünf junge Frauen, eine spricht mich lächelnd an. Ich stelle mich vor und werde eingeladen, mich zu ihnen in den Kreis zu setzen. Anscheinend findet gerade eine Art Fragerunde statt. Amina[8], die mich begrüßt hat, beantwortet Harleen, einer weiteren jungen Frau, die anscheinend konvertieren will, Glaubensfragen. Harleen sagt, sie praktiziere schon seit einigen Jahren den Glauben, möchte nun aber – auch als Zeichen ihrer nicht-muslimischen Familie gegenüber – den nächsten Schritt gehen. Ihre Fragen deuten jedoch darauf hin, dass sie noch nicht viel von der Geschichte und den Vorschriften der Religion weiß, was mir widersprüchlich vorkommt. Rechts von mir sitzen zwei Jugendliche; ich bin überrascht, sie in stylish zerrissenen Jeans und T-Shirt in der Moschee anzutreffen. Auch Harleen trägt T-Shirt, dazu einen bodenlangen, undurchsichtigen Rock. Keine der drei trägt eine Kopfbedeckung. Ich selber stand am Morgen gut eine Stunde vor meinem Kleiderschrank, um ein adäquates Outfit zusammenzustellen. Nur zu gut erinnere ich mich an eine Gruppe betagter Frauen, die mich vor der al-Aqsa-Moschee in Jerusalem zurechtgestutzt hat, weil die Ärmel meines Oberteils nicht ganz bis zu den Handgelenken reichten. Amina erklärt mir, dass im Koran nicht geschrieben stehe, dass sich Muslimas – oder Gäste – im Gotteshaus auf eine besondere Art und Weise zu kleiden hätten. Viele tun es jedoch aus Ehrerbietung der Gebetsstätte gegenüber, auch in Anlehnung an die alltäglichen Bekleidungsvorschriften für muslimische Frauen. Sollte ich noch einmal wiederkommen, solle ich mir nicht zu viele Gedanken darüber machen.

Aminas Gewand ist komplett schwarz, neben ihr sitzt Farah, sie ist in lachsrosa gekleidet. Beide tragen ḫimār und ʿabāya. Der ḫimār ist eine traditionelle Form des Schleiers, der bis zur Hüfte reicht und nur das Gesicht frei lässt. ʿabāya beschreibt ein bodenlanges, langärmeliges Kleid, das über der normalen Kleidung getragen wird. Zwischen den Rechtsschulen gibt es auch hier aufgrund verschiedener Auslegungen des Korans Uneinigkeit darüber, was einer Muslima an Bekleidungsvorschriften auferlegt wird. Von einer Vollverschleierung ist nirgends direkt die Rede, die Verse sind aber zu ungenau formuliert, um die Frage endgültig beantworten zu können. Beschrieben wird, dass Frauen »ihre Scham« bedecken sollen, indem sie »ihren Schal sich über den […] Schlitz (des Kleides) ziehen«.[9] Die Scham des Mannes, erklärt mir Amina, reiche von seinem Bauchnabel bis zu den Knien, während die der Frau ihren gesamten Körper mit Ausnahme der Füße, Hände und des Gesichts umfasse. Generell seien sich die Gelehrten einig, dass die Kleidung einer Muslima ab Beginn der Pubertät blickdicht und nicht körperbetont fallen solle.

Das Kopftuch, das in Verbindung mit der den Körper als Ganzes bedeckenden Kleidung getragen wird (ḥiǧāb), fällt in Deutschland kaum noch auf. Ḫimār und ʿabāya hingegen, von Amina und Farah außerhalb der Moschee noch in Kombination mit einem Gesichtsschleier (niqāb) getragen, sorgten vor allem in den letzten Jahren für Aufregung. Oft fälschlicherweise als »Burka« (burquʿ) bezeichnet, ist es eigentlich der niqāb, der von manchen als besonders störend empfunden wird. Der Deutsche Bundestag differenziert die Gewänder folgendermaßen: »Ein Niqab ist ein kopfbedeckender Gesichtsschleier mit schmalem Augenschlitz […]. Er wird in Verbindung mit einem Tschador [= den gesamten Körper verdeckendes, dunkles Tuch, A.M.] […] getragen. Werden die Augen vollständig bedeckt, bezeichnet man das Kleidungsstück als Burka«[10]. Die beiden jungen Frauen erzählen später, wie ihnen auf der Straße schon oft Beleidigungen zu ihrer vermeintlichen burquʿ an den Kopf geworfen worden seien.[11] Auch wenn sie es mittlerweile gewöhnt seien, sagt Amina, tue es doch jedes Mal weh – besonders, wenn ihre Kinder dabei seien.

Amina beantwortet unsere Fragen schnell und bestimmt, mit vielen wörtlichen Zitaten aus dem Koran. Sie hat eine angenehme Stimme und ein einladendes Lächeln. Die jungen Frauen scheinen zu ihr aufzublicken. Langsam füllt sich die Moschee, andere Frauen verschiedener Altersgruppen betreten den Raum, fast alle von ihnen in verschiedenfarbigen langen Gewändern. Wenige sind im westlichen Stil gekleidet, in Vorbereitung auf das Gebet ziehen sie sich lange Röcke und ḫimār über, die in einem Weidenkorb nahe der Tür von der Moschee bereitgestellt werden. Die meisten der Anwesenden sind zwischen 25 und 35 Jahre alt, etwa jede fünfte ist Konvertitin. Ich hätte erwartet, dass der Altersdurchschnitt, ähnlich wie in christlichen Kirchen, höher liegt. »Das war früher anders«, erzählt Amina. Als sie vor einigen Jahren die Moschee kennenlernte, habe die Gemeinde hauptsächlich aus älteren Frauen bestanden. Heute hätten es die jungen Muslimas – und vor allem die Konvertitinnen – leichter, sich einen gleichaltrigen Freundeskreis innerhalb der Gemeinde aufzubauen.

Die Frauen begrüßen sich herzlich, jede bekommt eine Umarmung – auch ich. Zu der Begrüßung gehört eine Grußformel auf Arabisch, die ich nicht erwiedern kann, sodass ich bei einem einfachen »salām« bleibe. Mit den Frauen füllen auch immer mehr Kinder den Raum, manche der älteren Mädchen schon mit ḫimār und ʿabāya, auch ein paar der Jungen tragen traditionelle Kleidung, sogenannte ǧallābas: lange, weite Gewänder mit Kapuze. Die Kinder wuseln durch die auf dem Boden sitzenden Frauen und ehe ich mich versehe, sitzen zwei kleine braunhaarige Mädchen auf meinem Schoß und streiten sich um den klimpernden Schlüsselbund aus meiner Tasche. Mir gefällt die Atmosphäre, ich fühle mich nicht mehr wie ein Eindringling und unterhalte mich mit ein paar anderen jungen Frauen, die sich zu mir gesetzt haben, um mehr über mich zu erfahren. Ihre Freundlichkeit reißt auch dann nicht ab, als ich ihnen erzähle, dass ich keine Konvertitin sei, noch nicht einmal wirklich an einen Gott glaube und mich eigentlich nur meine Arbeit heute in diese Moschee geführt habe. Im Gegenteil: Sie fragen mich nach meiner Arbeit und erzählen mir von ihren Studiengängen oder Jobs. Viele haben interessante Geschichten, wie sie zu ihrem Glauben gefunden haben: Manchen, aus eher atheistisch geprägten Familien, sei »ein Leben ohne eine Religion zu leer« gewesen, anderen habe eine rein wissenschaftliche Erklärung der Welt irgendwann nicht mehr ausgereicht. Wieder andere erzählen, dass sie in ihrer Jugend Phasen gehabt hätten, in denen sie sich von ihrem Glauben abgewendet hätten, sich aber mit zunehmendem Alter ihrer »Fehler bewusst wurden« und auf die eine oder andere Weise den Weg zurück gefunden hätten. Sie alle freuen sich, dass ich Interesse an ihrem Glauben zeige, und beantworten mir viele Fragen so gut sie können. Ich muss derweil aufpassen, meine beobachtende Distanz nicht völlig zu verlieren.

Mittlerweile ist es 14:00 Uhr, über die Lautsprecher in der Ecke ertönt der Ruf zum Gebet. Das Gespräch zwischen Amina, Farah und Harleen hat sich weiterentwickelt; Harleen hat sich für das Konvertieren am heutigen Tag entschieden, jetzt gleich soll es geschehen. Amina klärt sie darüber auf, dass sie dafür das Glaubensbekenntnis aufsagen müsse. Sie winkt zwei junge Frauen in ḫimār und ʿabāya heran, die sich neben Harleen setzen, um ihre Konversion zu bezeugen. Farah wird für Harleen vorsprechen, da diese die arabische Sprache nicht beherrscht und somit Hilfe beim Rezitieren braucht. Der Singsang des Imams im Hintergrund verleiht der Situation eine besondere Erhabenheit. Dann geht alles ganz schnell: Das Glaubensbekenntnis ist vergleichsweise kurz und schon kommen andere Frauen herbei, um Harleen zu umarmen und im Glauben willkommen zu heißen; auch ich stehe auf und umarme sie kurz, meine Reaktion erfolgt in diesem Moment ganz intuitiv – eine Umarmung erscheint ob des eindrucksvollen Momentes angemessen. Harleen strahlt in die Runde. Ich frage mich, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, zuerst ihr Wissen über den Islam zu fundieren.

Die Predigt beginnt auf Arabisch, danach folgt der Inhalt auf Deutsch. Die Frauen versuchen, die Kinder ein wenig zu beruhigen, die Gespräche verstummen, trotzdem sind einige mit ihrem Handy beschäftigt oder nippen an ihrem Coffee to go. Der arabische Teil der Predigt fällt knapper aus und es klingt, als ob der Imam hauptsächlich abläse. Der deutsche Teil ist ausführlicher und er scheint freier zu reden als zuvor. Sehen können wir ihn nicht, er predigt im Nebenraum vor der männlichen Gemeinde, aber die Stimme schallt klar aus den zwei Boxen an der Wand. Es geht um Ehrlichkeit und Treue sowie die Verpflichtung eines jeden Muslims, sich an die an den Glauben gekoppelten Ge- und Verbote zu halten – uch Menschen anderer Konfessionen gegenüber. Nach der halbstündigen Predigt folgt das Gemeinschaftsgebet. Dafür wenden sich die Betenden der hinteren linken Ecke des Raumes zu. Da das Gebäude nicht als Moschee erbaut wurde, sind die Innenräume nicht gen Mekka ausgerichtet. Die Ausrichtung zur Kaʿba ist indes zentral für das Gebet[12]. Damit Muslime auch außerhalb der Moschee jederzeit wissen, in welche Richtung sie sich wenden müssen, gibt es mittlerweile Gebetsteppiche mit eingebautem Kompass oder Handy-Apps mit integriertem Gebetsalarm, welche die genaue Ausrichtung nach Mekka berechnen. Meine Kollegen erzählen mir später, dass auch im Männerbereich nur eine angedeutete Gebetsnische (miḥrāb) die Richtung weise.

Als das Gebet beginnt, nimmt mich Amina an die Hand. Gemeinsam gehen wir in den vorderen Teil des Raumes, um den Betenden nicht im Wege zu sein. Harleen folgt uns; sie sagt, dass sie das Gebet noch nicht richtig beherrsche. Auch das wundert mich. Farah reiht sich in die Gruppe der Frauen ein, sie stehen, wie vom Imam erbeten, eng nebeneinander – »Schulter an Schulter, Knöchel an Knöchel«. Amina erklärt mir, dass sie heute wegen ihrer Monatsblutung nicht mitbete. Obwohl im Koran nur geschrieben steht, dass der Mann seine Frau während der Menstruation meiden solle[13], sind sich die Gelehrten doch einig, dass das Gebet für die menstruierende Frau absolut verboten, also ḥarām, sei. Wir sprechen während des Gebets auf Zimmerlautstärke; auch die Kinder werden wieder lauter, einige der älteren beten schon mit. Ich denke an die Atmosphäre in vielen christliche Kirchen: die erhabene Stille, die sich während des Gottesdienstes im Innenraum ausbreitet, bei dem selbst das knarrende Öffnen der Tür so manchem Zuspätkommer einen bösen Blick beschert. Familien mit kleinen Kindern sieht man selten und wenn sie weinen oder nicht mehr still sitzen können, muss ein Elternteil mit ihnen draußen warten. Hier ist das anders, lebendiger, zumindest für die Frauen einfacher zu handhaben.

Heute gibt es im Anschluss ein gemeinsames Essen. Ich will nicht aufdringlich sein und bleibe am Rand sitzen, doch Farah zieht mich mit sich und drückt mir einen Teller in die Hand. Es gibt Reis mit Gemüse, Rosinen, Nüssen und Huhn, dazu Pommes und eine leicht würzige Soße. Mir wird erzählt, dass es früher nach fast jedem Freitagsgebet eine Mahlzeit gegeben habe, die von einigen Frauen aus der Gemeinde als Spende an die Moschee zubereitet worden sei. Mittlerweile geschehe dies nur noch zu besonderen Anlässen. Hin und wieder klopft es an der Tür und Teller mit Essen werden zum Männerbereich durchgereicht. Als ich mich um kurz vor vier verabschiede, ist der Raum immer noch voller Frauen, die über ihre Pläne fürs Wochenende sprechen und sich über Rezepte oder Kindererziehung austauschen – oder über den Islam fachsimpeln. Amina hat erneut eine Traube Frauen um sich, die sie um Rat fragen. Viele, mit denen ich mich unterhalten hatte, umarmen mich zum Abschied. Sie würden sich freuen, mich hier bald wiederzusehen.

Auf dem Rückweg lasse ich mir die Ereignisse noch einmal durch den Kopf gehen. Insgesamt bin ich positiv überrascht; der durch unser Forschungsinteresse initiierte Moscheebesuch hat sich trotz meiner Bemühungen um Distanz schleichend zu einem Kennenlernen in ungewohnter Atmosphäre verwandelt. Auch wenn es vieles am Islam gibt, das ich (noch?) nicht verstehe oder auch definitiv ablehne: Ich glaube, dass Begegnungen wie die heutige wichtig sind, um sich einander anzunähern. Ich hätte gerne noch mehr Unterhaltungen geführt, denn die rein positive Darstellung des Lebens mit niqāb und ʿabāya von Amina und Farah, die ihre Bedeckung als Möglichkeit sehen, ihrem Gott näher zu sein, steht in Kontrast zu vielen Berichten von Frauen, die sich durch die Kleidungsvorschriften und die Dominanz des Mannes im Islam unterdrückt fühlen. Doch glaube ich, nun besser zu verstehen, warum so viele Menschen in den letzten Jahren zum Islam konvertiert sind. Gerade für gesellschaftlich Ausgegrenzte ermöglicht die Gemeinde es, sich zu Hause zu fühlen. Eventuell erklärt das, neben der großen Zahl eingewanderter Muslime aus Krisengebieten, warum muslimische Gemeinden wachsen, christliche hingegen schrumpfen: Für die Muslime ist der Islam nicht nur eine Religion, sondern auch ein Zufluchtsort, nach dem das Bedürfnis in den letzten Jahren gewachsen zu sein scheint. Die Moschee und der Frauenbereich kommen mir vor wie religiöse Schutzräume, in denen sie die schlechte Presse und die Anfeindungen vergessen können, denen sie sich draußen ausgesetzt fühlen. Doch es erscheint mir wichtig, und das gilt für alle Glaubensrichtungen, dass die Verbindung zur Außenwelt bestehen bleibt, damit keine vollständige Abschottung stattfindet und Reflexion auf beiden Seiten erfolgen kann. Dafür braucht es, so scheint mir nach dem heutigen Tag, weniger Anfeindungen und Gerede übereinander und mehr gegenseitige Besuche und Gespräche auf Augenhöhe.

[1] Vgl. Statista: Anzahl der Moscheen und Kirchen in Deutschland, 2017, URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/36948/umfrage/anzahl-der-moscheen-und-kirchen-in-deutschland/ [eingesehen am 18.08.2017].

[2] Vgl. Knoblauch, Elisabeth/Knuth, Hannah: Muslime in Deutschland. Das ist eine Moschee, in: Zeit Online, 25.07.2017, URL: http://www.zeit.de/2016/30/muslime-in-deutschland-moschee-glauben-staat [eingesehen am 18.08.2017].

[3] URL: https://www.moscheesuche.de/.

[4] Vgl. Knoblauch/Knuth.

[5] Beschrieben wird eine kleine Waschung beispielsweise in Koran 5: 6 (lies: Sure 5, Vers 6); Übersetzung: Paret, Rudi: Der Koran. Übersetzung von Rudi Paret, Stuttgart 2004.

[6] Vgl. Ebert, Hans-Georg/Heilen, Julia: Islamisches Recht. Ein Lehrbuch, Leipzig 2016, S. 114.

[7] Vgl. Spuler-Stegemann, Ursula: Muslime in Deutschland. Informationen und Klärungen, Freiburg 2002, S. 147.

[8] Alle Namen sind anonymisiert.

[9] Koran 24: 31; vgl. auch Koran 33: 59.

[10] Deutscher Bundestag: Verbot der Vollverschleierung. Rechtslage in Deutschland sowie Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, den Niederlanden, Norwegen und Schweden, 2015, S. 4, URL: www.bundestag.de/blob/437640/c08a4773077fbb1630f8d3d4224d7932/wd-3-082-15-pdf-data.pdf [eingesehen am 18.08.2017].

[11] Gerade in westlichen Medien wird unter burquʿ häufig jede Form der Vollverschleierung verstanden.

[12] Koran 2: 144 f.

[13] Koran 2: 222.