Am 23. Januar 2020 wird die militante neonazistische Gruppe »Combat 18« verboten. Am selben Tag gesteht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Rede anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz ein, er könne nicht sagen, die Deutschen hätten »für immer« aus ihrer Geschichte gelernt, wenn »Hass und Hetze sich ausbreiten«.[1] Es zeigt sich: Das »Reden über Rechtsradikalismus« – so der Buchtitel der im Folgenden diskutierten Dissertation von Clemens Gussone – ist aktuell. Obwohl Rechtsradikalismus in der Geschichte der Bundesrepublik wellenartig in Erscheinung trat und im öffentlichen Diskurs thematisiert wurde, somit also stets Bestandteil der deutschen Demokratieentwicklung war, habe gleichsam, so Gussones Ausgangsannahme, die Angst vor dem Scheitern der Demokratie ebenso wie die Sorge vor dem Rechtsradikalismus, zumindest in der Frühphase der jungen Bundesrepublik, eine große Rolle gespielt, bis sich herausgestellt habe, dass aus Bonn eben doch nicht Weimar geworden sei (vgl. S. 7 und S. 8).[2]

Abb.1: Clemens Gussone: Reden über Rechtsradikalismus. Nicht-staatliche Perspektiven zwischen Sicherheit und Freiheit (1951–1989) © Vandenhoeck & Ruprecht

Der gern bemühte Vergleich mit Weimar evoziert nicht nur die Forderung, aus der Geschichte zu lernen, sondern wird oftmals ebenfalls mit dem Konzept der »wehrhaften Demokratie« verknüpft. Gussone widmet sich diesem, indem er den Umgang nicht-staatlicher Akteure (d. h. ausgewählter Publikationsorgane) mit dem Rechtsradikalismus zu verschiedenen Zeiten der Bundesrepublik untersucht. Als Schärfung seiner Perspektive dient ihm der Fokus auf das dem Thema inhärente Spannungsfeld – das »demokratische Dilemma« – zwischen Sicherheit und Freiheit, die in einem ambivalenten Verhältnis zueinander stünden. Das Dilemma begründe sich darin, dass die maximale Freiheit des Individuums nicht gleichzeitig mit der größtmöglichen Sicherheit für alle existieren könne. Welche Rolle Repression zum Erhalt von Freiheit und als Bestandteil staatlicher Macht spiele, sei immer wieder Gegenstand eines Aushandlungsprozesses und abhängig von der jeweils herrschenden politischen Kultur. Da sich Gussone das Ziel setzt, zu verstehen, wie das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit im Umgang mit Rechtsradikalismus zu unterschiedlichen Zeiten von nicht-staatlichen Akteuren wahrgenommen und ob es überhaupt als Problem verhandelt wurde (vgl. S. 16), ist für seine Analyse der Deutungsrahmen der jeweils dominierenden Sicherheitskultur entscheidend.

Die auch bei Gussone zumindest unterschwellig vorhandene Einschätzung, die Geschichte der Bundesrepublik werde nach wie vor hauptsächlich als Erfolgsgeschichte erzählt, gilt mittlerweile in der Geschichtswissenschaft als überholt. Der jüngst verstorbene Zeithistoriker Axel Schildt hat bereits 1999 »Fünf Möglichkeiten, die Geschichte der Bundesrepublik zu erzählen« erörtert: Dazu zählt selbstverständlich auch die lange dominierende Perspektive der Erfolgsgeschichte, allerdings gleichfalls die einer Misserfolgs- und Belastungsgeschichte, welche die Frage ins Zentrum stellt, »wie angesichts der bedrückenden materiellen und moralischen Belastungen überhaupt ein zivilisiertes demokratisches Gemeinwesen entstehen konnte«[3]. Eine Teilantwort hierauf liegt im »Opportunismus« der Bürger, ebenso wie in der Feststellung, dass die Bundesrepublik in ihrer Gründungsphase »mit nur wenigen aktiven Demokraten ausgestattet« war, deren Prioritäten klar gesetzt waren: »Der Wert von Sicherheit rangierte weit vor dem der Freiheit und der Demokratie.«[4]

Dem Sicherheitsempfinden der Deutschen widmet sich auch der Historiker Frank Biess. Er konstatiert in seiner Geschichte der »Republik der Angst«[5], dass die Gewalterfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Zukunftsvorstellungen in dessen zweiter Hälfte maßgeblich geprägt hätten:

»Die darin enthaltenen Ängste gründeten sich auf ein geschärftes Bewusstsein für die Fragilität moderner demokratischer Gesellschaften. In Zeiten einer weltweiten Krise westlicher Demokratien ist uns diese Unsicherheit nach 1945 historisch wieder etwas näher gerückt. Die historischen Erfahrungen, die diese Ängste hervorriefen, wie der Untergang von Weimar oder die Erfahrung des Nationalsozialismus, waren den Westdeutschen nach 1945 zeitlich und emotional so nahe, wie es die Terrorattacken des 11. September unserem gegenwärtigen Zukunftsbewusstsein sind.«[6]

Die durchaus recht früh erlangte bundesrepublikanische Stabilität sei – so die These von Biess – jedoch immer prekär geblieben: »Das Versprechen von ›Sicherheit‹ reichte nie ganz aus, die anhaltenden Ängste zu entkräften. Vielmehr durchdrang die Furcht vor einem potenziellen Scheitern den Prozess der Demokratisierung bis in die 1980er Jahre.«[7]

Gussones Beobachtung, dass man sich in der Geschichte der Bundesrepublik wechselseitig auf Sicherheit und Freiheit fokussiert habe (S. 16), ist vermutlich ebenso richtig wie Biess’ These, dass sich die politische Funktion der Angst deutlich verändert habe: »Eine regierungsoffizielle Politik der Angst in den fünfziger Jahren, die sich vor allem auf den Antikommunismus gründete, wurde stetig konterkariert von offiziellen Bemühungen, öffentliche Ängste einzudämmen, um das Sicherheitsversprechen des Staates nicht zu gefährden.«[8] Hinzu kam die Erfahrung des Scheiterns der Weimarer Republik, das ebenso prägend für den Umgang mit Rechtsradikalismus gewesen sei (S. 17), wie Gussone unterstreicht.

Lehren aus Weimar?

Das Schlagwort der »wehrhaften Demokratie« fällt auch bei Gussone früh. Die Konsequenz aus Weimar sei gewesen, dass der Staat gegen seine Feinde gesichert werden musste, die Konsequenz aus dem Aufstieg des Nationalsozialismus, freiheitliche Regelungen zum Schutz der Menschenrechte im Grundgesetz zu verankern (S. 18). Die wehrhafte Demokratie sei als Produkt des fehlenden Vertrauens in den Demokratisierungsprozess der politischen Kultur der Bundesrepublik zu verstehen, sie fungiere als »Versicherung der Freiheit« (S. 20). Es fällt auf, dass Gussone das Konzept in seiner Analyse im Wesentlichen auf die Frage nach staatlichen Sanktions- und Verbotsmöglichkeiten verkürzt, also explizit auf Partei- und Vereinsverbote. Zwar weist er darauf hin, dass heute z.T. auch zivilgesellschaftliches Engagement und politische Bildung als Bestandteile der wehrhaften Demokratie interpretiert würden; trotzdem fokussiert er sich auf nicht-staatliche Akteure, die gerade nicht die gesetzlich fixierten Instrumente der wehrhaften Demokratie gegen Rechtsradikalismus umsetzen könnten (S. 26). Vielmehr nähmen sie Einfluss auf das Meinungsklima und beteiligten sich am Framing der Debatte, verfolgten aber gleichfalls eine eigene politische Agenda, betrieben somit Agendasetting.

Bevor Gussones Analyse an dem von ihm untersuchten konkreten Beispiel des Verbots der besonders in Niedersachsen erfolgreichen Sozialistischen Reichspartei (SRP) im Jahr 1951 überprüft werden soll, gilt es jedoch, einen Schritt zurückzutreten und die wehrhafte Demokratie als Konzept mit Wurzeln in der Geschichte zu reflektieren. In der vierten Ausgabe des vorliegenden Werkstattberichtes hat Stine Marg die Konstituierungsphase der jungen Bundesrepublik als »historischen Ort« und damit als Bezugspunkt für das Konzept der wehrhaften Demokratie beschrieben.[9] Sie verweist nicht nur auf die Dissertation von Sebastian Ullrich und dessen Beobachtung, dass die Vergleiche mit Weimar stets auch abgesteckt hätten, was »politisch denkbar und machbar«[10] sei, sondern schildert auch detailliert die Diskussionen im Parlamentarischen Rat, aus denen das Grundgesetz resultierte, und gibt damit Einblick in die Genese und Implikationen des Konzeptes der wehrhaften Demokratie.

Dort war man sich im Kampf gegen die »Feinde der Freiheit« einig, dass es galt, eine »stabile und unveränderliche Form« des Grundgesetzes zu finden, welche »die Menschen- und Bürgerrechte schützt«.[11] Man müsse, so Carlo Schmid am 8. September 1948, »auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber aufbringen, die die Demokratie missbrauchen wollen, um sie aufzuheben«.[12] Deshalb einigte man sich auf die Ewigkeitsklausel als Bestandsgarantie für die Unantastbarkeit der Demokratie, die sich allerdings nicht nur gegen vermeintliche äußere Verfassungsfeinde richtet, sondern auch gegen das Parlament selbst – in der historischen Konsequenz wurde also »verstärkt auf einen Schutz der Demokratie durch die Institutionen hingearbeitet«[13].

Nicht-staatliche Akteure zwischen Sicherheit und Freiheit

Dieser Aspekt spielt freilich für Gussones Zugriff keine Rolle. Ihn interessiert vielmehr die daueraktuelle Frage, wo von den nicht-staatlichen Akteuren innerhalb des demokratischen Dilemmas – also dem Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit im Umgang mit Rechtsradikalismus – jeweils die Grenze gezogen wird. Den Blick also speziell auf solche Akteure zu richten und diese mittels des analytischen Rasters Sicherheit und Freiheit zu verorten, erscheint vielversprechend. Denn Gussones Studie will nicht nur Reaktionen auf Rechtsradikalismus einfangen, sondern im Sinne einer Diskursgeschichte auch den Umgang mit ihm, indem sie den sich daran entzündeten Deutungskampf abbilde (vgl. S. 29).

Gussone hat als nicht-staatliche Akteurinnen die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die Frankfurter Rundschau (FR) und Die Zeit ausgewählt sowie die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, nicht genauer eingegrenzte gewerkschaftliche Publikationen, eine Zeitschrift der Vertriebenenverbände, Deutscher Ostdienst, und Der Arbeitgeber als Organ der Arbeitgeberverbände. Diese Auswahl soll ihm ermöglichen, eine breit gefächerte Meinungsvielfalt abzubilden, einen Querschnitt durch die politische Landschaft zu zeichnen und einzelne Debatten (wie bspw. das Verbot der SRP, den Auf- und Abstieg der NPD, rechten Terror in den 1980er Jahren u. a.) in diachroner Perspektive zu untersuchen. So sollen nicht nur die Positionen und Forderungen, die Reaktionen und Umgangsformen der einzelnen Akteure beschrieben, sondern auch Veränderungen im Zeitverlauf von 1951 bis 1989 nachgezeichnet werden, um die »gefühlte Stabilität« (S. 41) der Demokratie und die jeweils vorherrschende politische Kultur zu eruieren.[14]

Problematisch an Gussones Arbeit erscheint jedoch sowohl die nicht vollständig plausible Begründung der Auswahl seiner Zeitschnitte als auch der jeweils bearbeitete Untersuchungszeitraum (der je nach Publikationsorgan variiert). Da vor allem Tageszeitungen aufgrund des Zeitaufwandes lediglich pro Fallbeispiel für vier Wochen vollständig gesichtet, bei Monatsheften aber zwölf Ausgaben berücksichtigt wurden, entsteht eine Schieflage im Material. Die Publikationsorgane wurden ebenso wie die Geschehnisse, so Gussone freimütig, so ausgewählt, dass kriteriengeleitet an unterschiedlichen Akteursformen und diskursiven Ereignissen eine kontinuierliche Entwicklung aufgezeigt werden könne. Der Autor gibt zu, dass die Ereignisse »nur ein Vorwand für einen ›Zoom‹ in die Debatte« (S. 43, Anm. 144) seien. In diesem Vorgehen offenbart sich jedoch eine Krux: Die Auswahl scheint das von vorneherein feststehende Ergebnis, die Kontinuität im Umgang mit Rechtsradikalismus im Zeitverlauf, bereits vorzugeben. Dieser Eindruck erhärtet sich, da Gussone seiner Analyse Thesen voranstellt, die er dann im Gang seiner Untersuchung eigentlich auch genauso bestätigt sieht. Dies suggeriert nicht nur eine (per se in Zweifel zu ziehende) Zwangsläufigkeit, sondern schmälert auch die Neugierde auf die Lektüre, die – so viel sei vorweggenommen – letztlich auch wenig Überraschendes zutage fördert.

Gussone geht davon aus, dass die Betonung von Sicherheit im Umgang mit Rechtsradikalismus stets oberste Handlungsprämisse gewesen sei. Die Angst vor dem Scheitern der Demokratie habe die Perspektive der untersuchten Akteure geprägt. Die unter dem Begriff »German Angst« firmierende Befindlichkeit der Deutschen wird als Ursache ihres besonderen Sicherheitsbedürfnisses ausgemacht, sodass auch 1989 die Akteure noch davon ausgegangen seien, dass mehr Sicherheit auch mehr Freiheit bedeute (vgl. S. 45). Entsprechend verfolgten sie das Ziel einer Marginalisierung des Rechtsradikalismus mit sicherheitspolitischen Maßnahmen. Basierend auf dieser Ausgangsannahme möchte Gussone nachweisen, dass die untersuchten Publikationsorgane eine Kontinuität ihrer Positionen hinsichtlich des Umgangs mit Rechtsradikalismus im Zeitverlauf gewahrt hätten – ein Befund, der in seiner scheinbaren Passgenauigkeit, Bruchlosigkeit und Eindeutigkeit Zweifel weckt. Denn auch wenn die Annahme, einer Veränderung der politischen Kultur folge höchstens ein partieller Einstellungswandel, zutreffen mag, scheint Gussones Diagnose doch zu glatt und friktionslos, als dass sie den historischen Gegebenheiten tatsächlich entsprechen könnte.

Der Umgang mit Rechtsradikalismus am Beispiel der SRP

Im Fallbeispiel der Sozialistischen Reichspartei (SRP), das nun exemplarisch herausgegriffen werden soll, liegt der Fokus auf Niedersachsen, das als »Stammland des Nachkriegsrechtsradikalismus« (Helga Grebing) galt und wo die SRP bei der Landtagswahl 1951 mit rund elf Prozent einen immensen Erfolg für sich verbuchen konnte – ein Ergebnis, das sicherlich auch dazu beitrug, dass letztlich das erste Parteienverbot in der jungen bundesrepublikanischen Geschichte realisiert wurde.

Gussones Analyse, wie die jeweiligen nicht-staatlichen Akteure mit dem Rechtsradikalismus in Form der SRP umgingen, verweist auf ähnliche Strategien, wie sie auch in Bezug auf die heutige politische Kultur in Niedersachsen beobachtet werden konnten.[15] Die Lektüre wird leider dadurch erschwert, dass die einzelnen Strategien wenig systematisch herausgearbeitet und dementsprechend auch nicht immer nachvollziehbar präsentiert werden. Insgesamt, so kann subsumiert werden, zeige die Diskussion um die Wahlerfolge der SRP 1951 die Spannung zwischen Dramatisierung und Bagatellisierung, »welche die Debatte über den Rechtsradikalismus bis heute stets begleitet« (S. 61).

Die Gewerkschaftspresse habe etwa den Erfolg der SRP zwar thematisiert, sich jedoch nicht an einer Dramatisierung beteiligen wollen, um der Partei nicht in die Karten zu spielen. Ähnlich habe die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland an einer Relativierung mitgewirkt, indem sie betonte, Niedersachsen sei ein besonderer regionaler Fall und stehe nicht für Gesamtdeutschland (S. 57). Der Frankfurter Rundschau unterstellt Gussone ein bewusstes Interesse an einer Verharmlosung und zieht das Fazit, dass alle untersuchten Publikationen den SRP-Erfolg zwar mit Sorge betrachtet, ihn aber nicht als große Gefahr für die Stabilität der bundesrepublikanischen Demokratie bewertet hätten, deren Normalisierung sie eine größere Bedeutung beimaßen (S. 65). Die Entdramatisierung sollte die Außenwirkung der BRD stärken.

Die Frage nach den Ursachen des Rechtsradikalismus habe indes für die nicht-staatlichen Akteure stets bloß eine untergeordnete Rolle gespielt. Er sei zu Beginn der 1950er Jahre fast selbstverständlich als »Folge der NS-Jahre« (S. 98) betrachtet worden, nur vereinzelt hätten die Zeitungen – naheliegenderweise vor allem diejenigen der Gewerkschaften – auch auf wirtschaftliche und soziale Not als Problemfelder hingewiesen. Vielmehr benannten sie außenpolitische Erfolge und eine schnelle bundesdeutsche Souveränität als die wirksamsten Mittel gegen den Rechtsradikalismus. Zwar seien »Aufklärung und Hintergrundwissen« (S. 101) im Zuge der Vergangenheitspolitik wichtig, um dem Rechtsradikalismus entgegenzuwirken, doch geriet aufgrund des geteilten Konsenses des Antitotalitarismus, den auch die Gewerkschaften vertreten hätten, der »zunächst postulierte Zusammenhang von Kapitalismus und Rechtsradikalismus« (S. 101) immer stärker aus dem Blick.[16] Auch konnten diejenigen, die im Zuge der Entnazifizierung als »Mitläufer« klassifiziert worden waren, mit der Milde der nicht-staatlichen Akteure rechnen, insbesondere, wenn sie sich zur Demokratie bekannten. Selbst die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland habe überwiegend »auf die sehr positive Entwicklung der Bundesrepublik hin zu Demokratie und Liberalität« verwiesen (S. 102). Ebenso wie die anderen Akteure habe sie »früh eine Schutzposition gegenüber der Bundesrepublik und der westdeutschen Gesellschaft« eingenommen, indem sie auf eine »explizite Problematisierungs- und Skandalisierungspublizistik bezüglich der SRP« verzichtet und sich an der »Gesundschreibung der Bundesrepublik« (S. 103) beteiligt habe.

Gleichfalls typisch erscheinen die Mechanismen, den Erfolg der SRP entweder als Spätfolge der NS-Zeit abzutun oder die Alliierten in die Pflicht zu nehmen, da diese für die sozio-ökonomische Situation und für die Entnazifizierung verantwortlich seien. So habe Die Zeit in den SRP-Wählern vor allem Protestwähler gegen die aktuelle Politik der Regierung und der Alliierten gesehen (vgl. S. 105). Zudem habe laut Gussone – und dieser Umstand kann sicherlich nicht genug betont werden – der Kalte Krieg dazu geführt, dass sich die Mehrheit der Bürger dem bereits internalisierten Muster des Antibolschewismus zugewendet habe. So erscheint es auch folgerichtig, dass der Rechtsradikalismus den Zeitungen oftmals nur als Argument diente, sich stärker um die Belange der Vertriebenen zu kümmern, also einen funktionalen Umgang zu finden.

Eine weitere von Gussone herausgearbeitete Konstante, die sich durch die Diskussion um Rechtsradikalismus ziehe, ist die Debatte um den »Graubereich«, der in den 1950er Jahren vor allem bezüglich der Deutschen Partei (DP) und der FDP geführt wurde, da diese »offiziell Teil des bürgerlichen Lagers« (S. 75) und auch Koalitionspartnerinnen auf Bundes- und Landesebene waren. Diese Beobachtung trifft sicherlich zu, wobei man diskutieren kann, ob die FDP – zumindest bis zur sogenannten Naumann-Affäre – nicht doch als rechtsradikale Partei zu klassifizieren wäre.[17] Auch hier wird die Frage der Abgrenzung virulent: Die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland monierte grundsätzlich eine fehlende eindeutige Abgrenzung zum Nationalsozialismus und Rechtsradikalismus, in der sie »das eigentliche Problem der jungen Bundesrepublik« (S. 76) sah.

Diese Haltung teilten auch die Gewerkschaften: Für sie galt es, nicht nur den offensichtlichen Rechtsradikalismus auszugrenzen, sondern auch den »mehr oder weniger akzeptierten – und dadurch vermeintlich viel gefährlicheren – Rechts-Konservatismus« (S. 76), in welchem die weitaus größere Gefahr liege. Das erklärt sich Gussone dadurch, dass gerade weil sich die DP mit der SPD in Feindschaft befand, die DP von den Gewerkschaften, die sich selbst als Säule der Demokratie verstanden, von den Konservativen aber nicht als solche gesehen wurden, stark kritisiert worden sei, da man sich sorgte, dass SRPler nach dem Verbot in die DP strömen würden. Die Gewerkschaftspresse kritisierte die fehlende »Lernbereitschaft« (S. 79) der Deutschen, da der verbindende Antikommunismus einen Brückenkopf ins konservative Spektrum schlage, von dem auch ein »Wiedererstarken des Antisemitismus« ausgehen könne. Auch die Frankfurter Rundschau maß der Niederlage der bürgerlich-konservativen Parteien bei der niedersächsischen Landtagswahl 1951 entsprechend »eine wesentlich zentralere Bedeutung« zu als »dem klassischen Rechtsradikalismus« (S. 80); sie befürchtete ein »Abschmelzen der Mitte« (S. 81), was der politischen Kultur weit mehr schaden würde als weitgehend isolierte rechtsradikale Kleinparteien.

Das anschließende Verbot der SRP sei – so die Haltung der untersuchten Akteure – aufgrund seiner »Symbolwirkung und Grenzmarkierung« (S. 107) die richtige Entscheidung gewesen. Entsprechend wurde die restriktive Sicherheitspolitik nicht infrage gestellt, obwohl diese theoretisch die Freiheit beschränkte. Der durch die Angst vor dem Kommunismus genährte Antitotalitarismus habe zudem gezeigt, dass der Umgang mit der SRP sich nicht ausschließlich gegen ein rechtsradikales Phänomen gerichtet habe, sondern vor dem Hintergrund der Sorge um die Außenwirkung der Bundesrepublik zu beurteilen sei. Daher rührten auch die Bemühungen, durch Relativierung des rechtsradikalen Potenzials die deutsche Bevölkerung als lernbereit und demokratisch darzustellen.

Die »wehrhafte Demokratie« und das demokratische Dilemma

In den Passagen, die sich explizit der wehrhaften Demokratie bzw. dem demokratischen Dilemma widmen, wird die Forschungsfrage nun über die Begriffe »Freiheit« und »Sicherheit« operationalisiert. Allerdings offenbart sich hier das Problem, dass Gussone diese wesentlichen Begriffe seiner Arbeit zunächst, erstens, kaum systematisch als analytische Kategorien nutzbar macht und, zweitens, im Fazit anmerkt, dass die Konzeptionen, welche die von ihm untersuchten Akteure von Freiheit und Sicherheit hätten, ihm selbst nicht deutlich geworden seien, da das ausgewählte Material darüber keine umfängliche Auskunft gebe. Denn »was genau die Akteure unter Freiheit und Sicherheit verstanden, kann mangels aufgefundener Aussagen in Zusammenhang mit dem Rechtsradikalismus nicht präzise beantwortet werden« (S. 447). Diese Unsicherheit schmälert den analytischen Gehalt der Begriffe; und auch der Befund, dass das Konzept der wehrhaften Demokratie insbesondere in der SRP-Verbotsdebatte eine zentrale Rolle gespielt habe, ist nicht neu, denn: »War die Frage, wer als rechtsradikal zu gelten habe, durchaus umstritten, galt dies nicht für die grundsätzliche Bewertung der ›wehrhaften Demokratie‹.« (S. 82). Allerdings erweitert Gussones Analyse der nicht-staatlichen Akteure die Debatte um eine Facette.

Die Gewerkschaften vertraten den Standpunkt, wer die »Intoleranten toleriere« (S. 80) verspiele seine eigene Freiheit; die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland begrüßte das SRP-Verbot, weil sich die Demokratie »niemals durch das Gewähren zu weiter Freiheiten selbst gefährden dürfe«. Demokratisierung sei in ihren Augen nur möglich, wenn »diese restriktiv und durch klar definierte Tabugrenzen überwacht« (S. 83) werde. In der insgesamt sicherheitsorientierten Berichterstattung habe die Zeitung betont, »Sicherheitspolitik [sei] automatisch auch Freiheitspolitik in Form von Minderheitenschutz« (S. 84).

Ähnlich lässt sich die Haltung der Gewerkschaftspresse fassen, für die ein toleranter Umgang mit Rechtsradikalismus vor dem Hintergrund ihrer eigenen (unsicheren) Position in der jungen Republik keine Option gewesen sei, weswegen ihre Berichte über das SRP-Verbot fast euphorisch ausgefallen seien. Auch hier arbeitet Gussone einen deutlichen Fokus auf den Aspekt Sicherheit heraus: »Sicherheitspolitik hatte für die Gewerkschaften insofern die Aufgabe, die demokratische Freiheit der Gesellschaft zu sichern« (S. 87). Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus Weimar sei »Repression nicht nur legitim, sondern auch geboten« (S. 87).

Differenzierter habe die Frankfurter Rundschau die SRP beurteilt und deren Bedeutung relativiert; dennoch sei sie von einer »steigenden Bedrohung« ausgegangen, »da sich der Rechtsradikalismus immer deutlicher in der Öffentlichkeit zeige« (S. 87). So forderte sie zwar eine intensivere Sicherheitspolitik, allerdings nicht offensiv ein SRP-Verbot. »Ursächlich dafür dürfte vor allem die berechtigte Hoffnung gewesen sein, dass ein gutes Abschneiden der SRP Stimmenverluste der bürgerlich-rechten Parteien bedeutete und somit die Chance auf eine sozialdemokratische Landesregierung in Niedersachsen erhöhte« (S. 88). Leider erfahren wir an dieser Stelle wenig über die Motivation der Zeitungen für ihren jeweiligen Umgang: Lediglich in einer Fußnote wird darauf verwiesen, dass die FR »in diesen Jahren offiziell unabhängig, aber dennoch sehr stark mit der Sozialdemokratie verbunden« (S. 89) gewesen sei, was als Erklärung herangezogen wird, weshalb die Zeitung auf eine Skandalisierung und Problematisierung der SRP verzichtet haben könnte.

In Gussones Argumentation, wer das Verbot oder überhaupt ein staatliches Vorgehen gegen die SRP befürworte, befürworte gleichzeitig die wehrhafte Demokratie, reiht sich auch Die Zeit ein: Diese habe kritisiert, dass die SRP nicht bereits vor der Wahl in Niedersachsen verboten worden sei, denn die Zeitung sei von der »Stabilität der jungen Demokratie keineswegs überzeugt« gewesen, auch wenn sie im parteipolitischen Rechtsradikalismus keine »besonders ausgeprägte Bedrohung« (S. 90) erkannt habe. Wesentlich ausführlicher als andere Akteure habe sich Die Zeit allerdings mit demokratietheoretischen Aspekten beschäftigt und den Umstand problematisiert, wenn »Sicherheitspolitik die Freiheit zur politischen Betätigung einschränkt« (S. 91). Dieses demokratische Dilemma werde nur aufgelöst, wenn Sicherheitspolitik und vor allem Verbote sowohl rechtsstaatlich gedeckt als auch »von der Legitimation des Rechtsstaates her vollzogen« würden.

Allerdings leitet Gussone, wie er selbst in einer Fußnote anmerkt, die Haltung Der Zeit nicht etwa aus dem Verbotsverfahren gegen die SRP, sondern vielmehr aus der Debatte um das auf dem Fuß folgende Verbot der KPD ab; er geht aber davon aus, dass die grundsätzliche Position auf die SRP übertragbar sei. Die Argumentation, man könne die wehrhafte Demokratie auch missbrauchen, wird also an einem anderem als dem untersuchten Gegenstand festgemacht, was aufgrund der unterschiedlich gelagerten Fälle wenig plausibel erscheint.

Der FAZ attestiert Gussone die kritischste Haltung gegenüber der wehrhaften Demokratie. Sie beurteile die Demokratisierungserfolge der Bundesrepublik positiver und habe stärker als die anderen Akteure auf die Spannungen, welche staatliche Verbote mit sich brächten, fokussiert – hielt sie die wehrhafte Demokratie doch aus demokratietheoretischer Sicht für »durchaus problematisch« (S. 92). Die Zeitung habe vielmehr gehofft, dass die Entscheidung an der Wahlurne ein Verbot überflüssig machen könnte, also die Vorstellung zum Ausdruck gebracht, dass »sich das Volk zum Schutz zur Demokratie zu engagieren habe« (S. 93). Zwar bejahte sie noch im Frühjahr 1951 grundsätzlich ein SRP-Verbot, änderte ihre Haltung jedoch nach der niedersächsischen Landtagswahl. Nun sei der »Gedanke der freien politischen Betätigung prägender für die Zeitung als unbegründetes Sicherheitsdenken« (S. 94). Nach dem Verbot schwenkte die Zeitung jedoch wieder »etwas überraschend« auf eine befürwortende Position um.

Über die Gründe für den Sinneswandel erfahren wir auch hier wenig; vielmehr zeigt sich exemplarisch, dass die von Gussone zitierten Quellen nicht immer das Argument belegen, vor allem nicht seine konsequente Ausführung. Denn es wird dann wieder darauf hingewiesen, dass die FAZ nach dem Verbot dafür plädiert habe, dass eine Gesellschaft unliebsame Meinungen müsse aushalten können und darin die »Selbstwahrnehmung der FAZ als Stütze der Gesellschaft« (S. 95) deutlich werde. Weil die Zeitung die bundesrepublikanischen Bürger nicht als »mündige Bürger« einschätzte, sondern als solche, die eigentlich von ihrer Freiheit befreit werden wollten, sieht Gussone die Zeitung als »gutes Beispiel« für die These an, dass »Konservative sich kaum Illusionen über die politischen und mentalen Dispositionen der Westdeutschen machten, auch wenn sie diese ungern thematisierten« (S. 96).

Das Fazit, die wehrhafte Demokratie sei auch von nicht-staatlicher Seite grundsätzlich positiv gesehen und ihre Instrumente als sinnvoller »Schutz der Demokratie und der gesellschaftlichen Freiheit im antitotalitären Sinne verstanden« (S. 96) worden, ist somit eine Bestätigung des Forschungsstandes, der davon ausgeht, dass es zu diesem Zeitpunkt außer Frage gestanden habe, dass Demokratie und Freiheit sicherheitspolitisch geschützt werden müssten, die Instrumente der wehrhaften Demokratie also als »alternativlos« wahrgenommen worden seien,[18] obwohl – wie Gussone, leider ohne dies weiter auszuführen, anmerkt – die »Aktivierung der ›wehrhaften Demokratie‹ für keinen nicht-staatlichen Akteur eine beruhigende Wirkung [gehabt habe]. Die Sicherheitspolitik steigerte nicht das Sicherheitsgefühl« (S. 98).

Bruchlose Kontinuität?

Indem Gussone seinem Buch die These voranstellt, dass sich im Umgang mit dem Rechtsradikalismus eigentlich wenig geändert habe, verpufft einige Neugier auf seine Analyse, innerhalb derer man dann doch erwartet hätte, dass mehr Feinheiten zwischen den unterschiedlichen Akteuren herausgearbeitet, diese konziser verglichen würden. Dies wäre möglich gewesen, hätte das Quellenmaterial mehr Raum eingenommen. Ein close reading ausgewählter Artikel, die Deutung einzelner Begrifflichkeiten, Formulierungen und Untertöne, hätte sicherlich Differenzierungen und Nuancen aufgespürt, nach denen man – zumindest im Fallbeispiel SRP – jedoch vergeblich sucht.

Um zu verstehen, wie die Zeitungen berichteten, habe Gussone mit Plausibilitätsannahmen arbeiten müssen, doch vermögen genau diese zumindest bezüglich der SRP bloß begrenzt zu überzeugen. Das mag auch daran liegen, dass – ähnlich wie in Bezug auf die Begriffe »Freiheit« und »Sicherheit« – nicht geklärt wird, was die jeweiligen Zeitungen zu unterschiedlichen Zeiten unter dem Begriff »Rechtsradikalismus« eigentlich verstehen. Gussone verweist darauf, dass erst seit den 1980er Jahren ausreichend Definitionen des Begriffs vorlägen, und belässt es dabei, dass die Akteure die Frage nicht abschließend beantworten würden (vgl. S. 75). Wäre jedoch berücksichtigt worden, dass sich Definitionen je nach Akteuren, Perspektive, Zeit etc. auch wandeln, hätten sich womöglich weitere Facetten im Umgang mit dem Phänomen entdecken lassen.

Überhaupt misst Gussone der jeweiligen Zeit, in der die Diskussionen stattfanden, der gesellschaftlichen Debattenlage und kontextualisierenden Ereignissen überraschend wenig Relevanz für seine Ausführungen bei. Vielmehr deute »die langjährige Kontinuität […] darauf hin, dass der Umgang mit dem Rechtsradikalismus vor allem auf einer grundsätzlichen Ebene gestaltet und von tief liegenden Wirklichkeitsinterpretationen geprägt wurde« (S. 445). Zwar birgt womöglich jede Diskursanalyse die Gefahr, den Blick über den Tellerrand zu vernachlässigen, doch bleibt dieser für eine Weitung der Perspektive oftmals unerlässlich. So sahen sich die Parteien bspw. nach dem Ende des alliierten Lizensierungszwangs Anfang der 1950er Jahre einer Situation ausgesetzt, in der man mutmaßte, dass sich die zweite deutsche Demokratie nun ähnlich wie die erste »einem Ansturm der Rechtsextremen«[19] gegenüber sähe.

Wie bereits eingangs verdeutlicht, gehörte ein härteres Vorgehen gegen »die Feinde der Demokratie« zum »Gründungskonsens der zweiten deutschen Demokratie«[20] – wobei die Positionen der Parteien durchaus differierten. Wie stark sie jeweils die Bedrohung von rechts einschätzten, habe, so Sebastian Ullrich, »mit dem jeweils vorherrschenden Geschichtsbild der Weimarer Zeit zu tun«[21] – eine Differenzierung, die man bei Gussone vermisst. Die Perspektive des bürgerlichen Lagers, Weimar sei »in einer Art Freiheitsexzess geendet«[22], weswegen man nun Sorge habe, die staatliche Autorität aufrechterhalten zu können, wird zwar erkennbar, jedoch in ihrer Konsequenz, weniger in ihrer historischen Verankerung. Hier zeigt sich, dass ein Inbeziehungsetzen mit anderen Perspektiven seine Analyse angereichert hätte. Schließlich wurde 1950 im Bundestag intensiv über die Ausgestaltung des politischen Strafrechts und ein von der SPD eingebrachtes »Gesetz gegen die Feinde der Demokratie«[23] diskutiert, im Zuge dessen die zentrale analytische Klammer Gussones – die Spannung zwischen Freiheit und Sicherheit – auf Grundlage der Erfahrungen aus Weimar thematisiert wurde; dies geschah nicht nur in den Parteien, sondern auch in der Öffentlichkeit – und z. T. auch in den von Gussone analysierten Zeitungen, wie Ullrich darlegt.

Trotz der leider im aufgezeigten Sinne verengten Perspektive kommt Gussone bezüglich des Umgang mit Rechtsradikalismus der von ihm untersuchten Akteure – hier beispielhaft an der SRP illustriert – zu dem Fazit, eine Diskursgeschichte vorgelegt zu haben, welche vor allem Kontinuitäten im Umgang mit Rechtsradikalismus aufzeige. Zwar gäbe es vor allem seit den 1980er Jahren Veränderungen in diesem Umgang, »an der grundlegenden Charakteristik änderte sich aber nur wenig« (S. 434). Insgesamt zeige sein Befund, dass die heutige Debatte mit ganz ähnlichen Argumenten geführt werde wie in den ersten vierzig Jahren der Bundesrepublik.

Als Quintessenz bleibt die Beobachtung, dass sich in Bezug auf Sicherheit und Freiheit die konservativen Organe weniger sicherheitsorientiert präsentiert hätten, sich eine solche Orientierung vielmehr verstärke, je linksliberaler die Zeitungen ausgerichtet seien (vgl. S. 435). Die Legitimität der wehrhaften Demokratie hätten alle Akteure betont, nur diese nicht immer als sinnvollste Handlungsoption bewertet; d.h. konkret, Verbote wurden im Einzelfall abgelehnt, ihre Möglichkeit aber nie grundsätzlich infrage gestellt.

Und so ist die anfänglich aufgestellte These dann auch das Ergebnis der Analyse, die ergab: »Insgesamt war der Umgang mit dem Rechtsradikalismus zwischen 1951 und 1989 von grundlegender Kontinuität geprägt. Obwohl es im Detail stets temporäre Veränderungen gab, bleiben die Akteure ihren favorisierten Reaktionsformen über den gesamten Untersuchungszeitraum von vierzig Jahren hinweg weitgehend treu« (S. 437). Wenn sich der Umgang stellenweise doch geändert habe, dann nicht in Bezug auf das demokratische Dilemma, sondern nur, weil rechtsterroristische Gruppen anders bewertet wurden als rechtspopulistische; d.h. also, dass Gussone partielle Veränderungen der Debatte nicht auf eine sich wandelnde Gesellschaft, sondern auf eine Heterogenisierung der Organisationsformen des Rechtsradikalismus zurückführt.

Dieser Aspekt verweist auf den bereits thematisierten »Graubereich«, der vor allem seit den 1980er Jahren in den Fokus gerückt sei, als man rechtspopulistische Parteien für wesentlich gefährlicher gehalten habe, was dazu führte, dass »sich die Debatte insgesamt weniger um repressive Maßnahmen zur Bekämpfung drehte« (S. 438) als vielmehr um die Möglichkeiten einer argumentativen »Ausschaltung« (S. 442) des Rechtsradikalismus, um die sich insbesondere die FAZ bemüht habe. Damit habe sie, freilich ohne es so zu nennen, früh auf die Rolle der Zivilgesellschaft im Umgang mit Rechtsradikalismus abgezielt. Einen weiteren Beleg für Kontinuität sieht Gussone darin, dass die Instrumentalisierung der Diskussion über Rechtsradikalismus für die eigenen Interessen zeige, dass die Auseinandersetzung »heute oftmals noch genauso wenig zielführend geführt wird wie früher« (S. 464). Dies habe dazu beigetragen, dass Rechtsradikalismus heute wieder eine »politische Kraft mit Zukunftspotentialen« (S. 464) sei.

Dieser Befund – dem sicherlich schwer zu widersprechen ist – zeigt einmal mehr, dass die Auseinandersetzung mit Rechtsradikalismus nicht nur geschärfter Begrifflichkeiten bedarf, was darunter überhaupt von wem wann verstanden wird, sondern dass eine aussagekräftige Analyse gut daran tut, den zeitlichen Kontext, den Nährboden der politischen Kultur, auf dem Rechtsradikalismus gedeiht, noch stärker ins Zentrum zu rücken und, um Erklärungskraft zu entfalten, den Ist-Zustand mit seinem historischen Gewordensein in Beziehung zu setzen. So gelesen zeigt Gussones Buch mehr Forschungsperspektiven auf, als dass es weiterführende Befunde zu liefern vermöchte.

[1] Rede von Frank-Walter Steinmeier am 23. Januar 2020 im World Holocaust Forum in der Gedenkstätte Yad Vashem, URL:http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2020/01/200123-Israel-Yad-Vashem.html;jsessionid=0C1E3D877B70868C918904184A00A384.1_cid378 [eingesehen am 29.01.2020].

[2] Da sich der vorliegende Text im Wesentlichen auf das Buch von Clemens Gussone: Reden über Rechtsradikalismus. Nicht-staatliche Perspektiven zwischen Sicherheit und Freiheit (1951–1989), Göttingen 2020, bezieht, sind die jeweiligen Seitenangaben direkt im Text vermerkt.

[3] Schildt, Axel: Fünf Möglichkeiten, die Geschichte der Bundesrepublik zu erzählen, in: Bajohr, Frank et al. (Hg.): Mehr als eine Erzählung. Zeitgeschichtliche Perspektiven auf die Bundesrepublik. Festschrift für Axel Schildt, Göttingen 2016, S. 15–29, hier S. 21. [Erstabdruck 1999].

[4] Ebd., S. 23.

[5] Biess, Frank: Republik der Angst. Eine andere Geschichte der Bundesrepublik, Reinbek 2019. Der Sicherheitsperspektive widmete sich auch jüngst Conze, Eckart: Geschichte der Sicherheit. Entwicklung – Themen – Perspektiven, Göttingen 2018; ebenso wie Ders.: Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis zur Gegenwart, München 2009.

[6] Biess, S. 20.

[7] Ebd., S. 24.

[8] Ebd., S. 38.

[9] Marg, Stine: Die »wehrhafte Demokratie« als historische Legitimationsgrundlage des Verfassungsschutzes, in: Demokratie-Dialog, H. 4 (2019), S. 12–21.

[10] Ullrich, Sebastian: Der Weimar-Komplex. Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik 1945–1959, Göttingen 2009, S. 19.

[11] Marg, S. 16.

[12] Zit. nach ebd.

[13] Marg, S. 18.

[14] Dieser Anspruch schürte zusätzlich die Neugier auf Gussones Ergebnisse, da die Arbeitsgruppe »Rechtsradikalismus« in FoDEx unlängst ebenfalls Rechtsradikalismus und Umgangsformen mit ihm als Bestandteil der niedersächsischen politischen Kultur untersucht hat; vgl. Finkbeiner, Florian/Trittel, Katharina/Geiges, Lars: Rechtsradikalismus in Niedersachsen. Akteure, Entwicklungen und lokaler Umgang, Bielefeld 2019.

[15] Vgl. dazu ebd.

[16] Die Verknüpfung der Debatte um den Rechtsradikalismus-Begriff mit jener um den Linksextremismus-Begriff hat Gussone weitgehend ausgeklammert, obwohl der Extremismusbegriff – wie im Antitotalitarismuskonsens deutlich wird – in der Diskussion präsent gewesen sei. Da aber genau dieser fast reflexhafte Verweis nicht nur ein Merkmal der heutigen Debatte ist, sondern vielmehr ein historisch erprobtes Muster, hätte man sich gewünscht, dass es auch in die Analyse einbezogen worden wäre.

[17] Zur Naumann-Affäre vgl. Trittel, Günter J.: »Man kann ein Ideal nicht verraten …«. Werner Naumann – NS-Ideologie und politische Praxis in der frühen Bundesrepublik, Göttingen 2013.

[18] Zur Ausentwicklung von Parteienverboten Anfang der 1950er Jahre und zur Konzeptualisierung der Verfassungswirklichkeit aus theoretischer Perspektive vgl. Hacke, Jens: Existenzkrise der Demokratie. Zur politischen Theorie des Liberalismus in der Zwischenkriegszeit, Frankfurt 2018, insbes. S. 203–280.

[19] Ullrich, S. 349.

[20] Ebd.

[21] Ebd.

[22] Ebd., S. 350.

[23] Vgl. ebd., S. 358 ff.