Im Premierenheft des Demokratie-Dialog haben wir unsere Kritik am Extremismusbegriff durch den Vorschlag abgerundet, statt von »Linksextremismus« besser von der »radikalen Linken« oder von »linkem Radikalismus« zu sprechen.[1] Unsere Begründung war, dass hierdurch die im linken Politikspektrum geteilte Zielvorstellung einer soziale Gleichheit anstrebenden Veränderung der Gesellschaft an ihrer Wurzel ausgedrückt und somit der statischen Terminologie des Extremismus eine Alternative entgegengestellt werden könnte, welche die Dynamik von Prozessverläufen analytisch berücksichtigt.

Nun erfasst die Kategorie des Radikalismus im Wesentlichen Einstellungen; zur Untersuchung der Handlungsebene, des Agierens sich als radikal verstehender Akteure, taugt sie hingegen weniger. Diese lässt sich besser mit dem Begriff der Militanz fassen. Wobei wir analog zu den etablierten Modellen zu politischen Radikalisierungsverläufen – denen zufolge Einstellungen nicht automatisch zu entsprechenden Handlungen führen, Letztere gegenüber Ersteren vielmehr ein höheres Radikalisierungsniveau markieren – davon ausgehen, dass Radikalität zwar keineswegs zwangsläufig mit Militanz einhergehen muss, Militanz aber sehr wohl Radikalität voraussetzt.

Just diese als Militanz handlungswirksam gewordene Radikalität ist nun seit den Protesten gegen den Hamburger G20-Gipfel im Juli 2017 und der von ihnen ausgelösten Debatte über linke Gewalt mit Aplomb in die öffentliche Arena zurückgekehrt. Während aber politisch und medial Begrifflichkeiten wie Terrorismus, Extremismus und Militanz bunt durcheinandergewürfelt werden, steht eine abwägende und sachlich differenzierende sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit ebendiesem Phänomenbereich der (linken) Militanz weitgehend aus.

Aus diesem Grund wollen wir im Folgenden unser Verständnis des Begriffes der linken Militanz erläutern. Zunächst: Inwieweit vermag er als analytischer Begriff wissenschaftliche Untersuchungen anzuleiten? Und dann: Welche Akteure lassen sich mit dieser Vokabel beschreiben?

Ethnologie statt Formalismus

Aber treten wir zunächst noch einmal einen Schritt zurück. Armin Pfahl-Traughber moniert in seiner Kritik an unserem Beitrag in der letzten Ausgabe die vermeintliche Behauptung, der Extremismusbegriff setze links und rechts gleich und verharmlose den Rechtsextremismus.[2] In der Tat kann keine Rede davon sein, dass die Extremismusforschung jegliche inhaltlichen Differenzen zwischen Linken und Rechten negiere, erst recht wäre es Unsinn, ihren wissenschaftlichen Urhebern eine rechte Gesinnung zu unterstellen, pauschal zumal. Doch ist der Referenzrahmen der Extremismustheorie für die Identifikation ihres Gegenstandes – die diagnostizierte prinzipielle Ablehnung von Pluralismus, Gewaltenteilung und der institutionalisierten Revidierbarkeit einmal getroffener Beschlüsse durch auf Wahlen gründende Machtwechsel – mithin eine vorausgesetzte Gemeinsamkeit von Links- und Rechtsextremismus. Pfahl-Traughbers Argument gegen die in der von ihm unterstellten Rigorosität gar nicht behauptete Gleichsetzung, dass nämlich »die vergleichende Betrachtung von Links- und Rechtsextremismus […] erst die Unterschiede deutlich« mache, bestätigt die Kritik an einer »konzeptuellen Gleichsetzung« genau betrachtet nur. Denn neben dem Gebot, nicht die sprichwörtlichen Äpfel mit Birnen vergleichen zu dürfen, kennt die Politikwissenschaft zwei, wenn man so will, Zentralstrategien analytischer Komparatistik: den Vergleich möglichst unterschiedlicher Fälle mit dem Ziel, deren Gemeinsamkeiten herauszudestillieren; und den Vergleich möglichst ähnlicher Fallbeispiele zur Beschreibung ihrer Differenzen. Wenn es der Extremismusforschung also darum geht, die Unterschiede deutlich zu machen, so geht sie methodisch folglich von dem Gemeinsamen, von der Ähnlichkeit des Links- und Rechtsextremismus aus.

Doch steht weder dieser Punkt noch jener Vorwurf im Zentrum unserer Kritik, es handele sich bei dem Extremismusbegriff um einen Containerbegriff[3], der ganz unterschiedlichen ideologischen, organisatorischen, sozialen Phänomenen übergestülpt werde – ein Aspekt, der wenig stichhaltig ist, trifft doch auf jede Ordnungskategorie zu, dass sie die reale Vielfalt zu reduzieren und unter bestimmten Aspekten zusammenzufassen versucht.

Unsere Kritik richtet sich vielmehr erstens und noch einmal darauf, dass der Extremismusbegriff statisch und dementsprechend klassifikatorisch ist. Wir haben zur Veranschaulichung seines analytischen Scheiterns an Prozessdynamiken, Ambivalenzen und unintendierten Effekten in unserem bereits erwähnten Text in der Erstausgabe des Demokratie-Dialog auf den sukzessiven, an Zwischenetappen reichen Wandel der späteren Volksparteien von – heute wohl extremistisch genannten – Gegnern der bestehenden staatlichen Ordnung zu stabilitätsverbürgenden Staatsparteien verwiesen. Auch mit Blick auf die jüngere Nachkriegszeit lassen sich bemerkenswerte Beispiele für das Gemeinte finden: So schreibt der Literaturwissenschaftler und frühere Maoist Helmut Lethen über seine ehemalige politische Heimat der 1970er Jahre, die vom Verfassungsschutz seinerzeit als linksextremistisch beobachtete KPD (AO) – wobei KPD für »Kommunistische Partei Deutschlands« und AO für »Aufbauorganisation« steht –, sie habe die durch den Zerfall der Studentenbewegung freigesetzten destruktiven Kräfte in die konstruktive Organisationsarbeit eingebunden und heiße Revolutionsneigungen dadurch wie ein »Kühlaggregat« erkalten lassen. Im engen Takt der Ideologieschulungen, Gremiensitzungen und Ausschlussverfahren seien »Bewegungsenergien im Selbstlauf von Wiederholungen im Inneren« verschlungen und militante Impulse »in den Kreisläufen symbolischer Praktiken aufgebraucht worden«. Die KPD (AO) sei, wie auch die anderen bundesrepublikanischen K-Gruppen der ersten Hälfte der 1970er Jahre, ein selbstreferenzielles System gewesen, das – ungeachtet aller subjektiven Umsturzabsichten ihrer Kader – mithin objektiv »der Stabilisierung der Republik gedient« habe.[4]

Zweitens bemängeln wir, dass der Extremismusbegriff mit seiner Betonung der Verfassungsfeindschaft zwar radikal rechte Strömungen vielleicht adäquat erfasst, nicht aber radikal linke – markiert doch deren forderndes Insistieren auf Gleichheit zugleich eine der elementarsten Forderungen und Errungenschaften der Demokratie.

Drittens erscheint er uns als zu normativ, weil die durch ihn erfassten Phänomene vorzugsweise unter sicherheitsrelevanter und nicht selten strafrechtlicher Perspektive untersucht werden. Wir erinnern uns noch lebhaft an die Forschungslage zur mittlerweile in der Linkspartei aufgegangenen PDS in den 1990er Jahren. Damals wurden von Extremismusforschern regelmäßig und einigermaßen willkürlich Programmaussagen der Gesamtpartei oder einzelner ihrer innerparteilichen Gruppen, Interviewfragmente und Textpassagen von führenden Funktionären – selbst wenn sie Jahre zurücklagen –, formale organisatorische Beziehungen zu anderen als extremistisch etikettierten Gruppen etc. aufgelistet, was in einer geradlinigen Beweisführungskette der Bestätigung eines offensichtlich vorgefassten Extremismusverdachts diente. Dieser Fokus auf formale Strukturen und Programme blendet unserer Ansicht nach Fragen der gruppeninternen politischen Kultur, von Willensbildungsprozessen, Kommunikationsbeziehungen und informellen Hierarchien, vom Wandel der (generationellen) Zusammensetzung, von Verschiebungen in den Motivlagen der Akteure und charakteristischen Ausdrucksweisen ihres Protestes aus. Eine »Ethnologie« linker Militanz, also eine ganzheitliche Analyse militant linker Infrastrukturen, Lebenswelten und Verhaltensmuster, vermag hier mehr Befunde zutage zu fördern als der formalistische Extremismusansatz.

Hinzu kommt schließlich viertens ein forschungspragmatischer Einwand, da Extremismus eine reine Fremdzuschreibung darstellt, die von den adressierten Akteuren nicht gebraucht, ja kategorisch abgelehnt wird und Zugänge verschließt. Schon insofern ist der Begriff der linken Militanz – als Arbeitsbegriff – ein Fortschritt, da er von linksradikalen Akteuren selbst auch zur Eigenbeschreibung gebraucht wird.

Militanz im Spannungsfeld von Selbst- und Fremdbeschreibung

Was heißt nun Militanz? Militanz, darauf haben verschiedene Autoren hingewiesen, stammt vom lateinischen »militare« ab und heißt »als Soldat dienen, Kriegsdienste tun«. Daraus haben Forscher wie Wolfgang Kraushaar einen schon begriffsetymologischen Bezug der Militanz zum Kriegerischen, zur Gewalt, abgeleitet.[5] Unsere Untersuchungen, u.a. zum G20-Gipfel, zeigen aber – bei aller Einschränkung, dass man bei Umfragen auf die Bereitschaft der Befragten zu wahrheitsgemäßen Selbstauskünften angewiesen ist –, dass auch Akteure der linksradikalen Bündnisse »ums Ganze!« und »Interventionistische Linke« Gewalt weit überwiegend ablehnen, sie in Form des initiativen Angriffs nicht als ein legitimes Instrument von Protest sehen und einzig Gewalt als reaktive Gegengewalt auf polizeiliche Härte und mithin als Widerstand mehrheitlich befürworten.[6] Damit korrespondierend hält Nils Schuhmacher als Ergebnis seiner Forschungen zu autonomen Antifa-Gruppen fest, dass der Begriff der Militanz nicht mit einer omnipräsenten Gewaltpraxis gleichzusetzen sei, sondern stärker auf »Inszenierungen [Herv. durch die Verf.] von Gewaltfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft« fokussiere.[7]

Für uns steht daher erstens nicht die Gewalttat, sondern das Selbstbekenntnis zu einer kämpferischen Haltung im Vordergrund. Militanz ist zweitens verknüpft mit Politikansätzen, welche die Handlungsebene betonen, die Tat, deren Ort die Straße ist, der öffentliche Raum, nicht das Gedankengebäude von in der Studierstube am Schreibtisch erdachten Theorien. Und Militanz richtet sich drittens gegen alles Unentschlossene, Räsonierende, Zweiflerische, Halbherzige, gegen das Sowohl-als-auch. Militanz ist radikal, fundamentalistisch, sie zielt auf das Grundsätzliche, auf Reinheit, Geschlossenheit, zugleich auf Abgrenzung. Wir bestimmen daher Militanz als eine a) kämpferische (aber nicht unbedingt automatisch gewalttätige), b) tatbetonende politische Strategie mit c) radikalen Absichten und Zielen.

Damit ist aber die Frage nach dem spezifisch Linken von »linker Militanz«, nach originär linken Weltbildern, Handlungsmotiven und Praxisformen noch nicht beantwortet. Linksradikale Gruppen fokussieren in der Regel auf ein oder mehrere Themen aus den Bereichen Antikapitalismus, Antifaschismus, Antimilitarismus, Antiglobalisierung, Antisexismus, Antirepression, Antiatomkraft. Sie agitieren gegen Herrschaftsverhältnisse jeder Art, ob entlang von Schicht- und Klassengrenzen, zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern oder im Umgang der Geschlechter miteinander; gegen Ausbeutung des Menschen am Arbeitsplatz ebenso wie von natürlichen Ressourcen; und gegen Diskriminierung, sei es von Migranten oder anderen Minderheiten.

Dementsprechend vertreten die Akteure eine radikale Kritik am kapitalistischen System, prangern soziale Ungleichheit, Umweltzerstörung und einen vermeintlich allgegenwärtigen Rassismus an. Kennzeichnend für ein militant linkes Selbst- und Politikverständnis ist mithin das große Gewicht, das Fragen der Moral beigemessen wird. Selbstausgeübte Gewalt – und das bestätigt und relativiert die Ergebnisse unserer G20-Befragungen gleichermaßen – gilt ganz selbstverständlich als Gegengewalt, die auf die »strukturelle Gewalt« des Kapitalismus oder des »repressiven Staates« und seiner Sicherheitsorgane reagiert.[8]

Ganz unwillkürlich stellt sich freilich die Frage, wie es um das linke Ideal der »Gleichheit aller Menschen« bestellt ist, wenn der analog zu den Themen wechselnden Gegenseite die Gleichberechtigung ihrer Interessen und Absichten abgesprochen und besonders aus linksradikalen Kreisen zwar gebetsmühlenartig »Gewalt gegen Personen« abgelehnt wird, allerdings »Polizisten, – was ja bemerkenswert ist, – nicht als Personen, sondern als Repräsentanten der Staatsgewalt umdefiniert werden«[9]. Der Historiker Gerd Koenen, der selbst in den 1970er Jahren Teil der radikalen Linken und im Kommunistischen Bund Westdeutschland aktiv war, schreibt daher über das von linksradikaler Seite propagierte Mantra der Gegengewalt: »Das war und ist ein linkes Pharisäertum, mit dem sich eigene Gewaltlust bequem bemänteln lässt und man politisch-moralische Selbstermächtigung bis zum Exzess treiben kann.«[10]

Insgesamt deutet über die grundsätzliche Handlungsorientierung und die schon damit verbundene Relativierung aller grauen Theorie einiges darauf hin, dass statt der Ideologie im engeren Sinne vielmehr Identitätsunsicherheiten und entsprechende Suchbewegungen in Phasen des biografischen Übergangs für die Angebote links-militanter Subkulturen empfänglich machen. Die radikale Antibürgerlichkeit, der Normbruch, und die offensive Betonung der devianten Identitätsmerkmale von Militanz und Subversion bei militanten Linken, kurzum: ihre Überentschiedenheit, kaschieren unter Umständen bloß eigene Selbstzweifel und Unentschiedenheit. »Der Vermummte« [des schwarzen Blocks, Anm. d. Verf.], so urteilte der Soziologe Rainer Paris, »vermummt sich gewissermaßen auch vor sich selbst.«[11]

Nicht zuletzt dieser zunächst unauflösbar anmutende Widerspruch macht es umso notwendiger, Situationsfaktoren, Rahmenbedingungen, individuelle Motive und Überlegungen zu den verschiedenen Funktionen von Militanz in den Analyserahmen einzubeziehen. So kann Militanz die Folge eskalierender Auseinandersetzungen mit anderen Akteuren (Polizei, politische Gegner) sein, ein symbolischer Ausdruck einer Systemfeindschaft, oder als Ausdruck einer jugendlichen Gewaltästhetik angesehen werden.[12] Sebastian Haunss spricht davon, dass Militanz »immer auch Inszenierung und Ritual« darstelle, »in dem sich die Einzelnen kollektiv als RebellInnen erschaffen«.[13] Damit verbunden ist ein weiterer Aspekt: Militantes Handeln generiert meist sofort öffentliche Aufmerksamkeit, gegebenenfalls wird über die Akteure und mögliche Ziele berichtet, weshalb die Wechselwirkungen von militanten Selbstinszenierungen mit der Mediengesellschaft mitberücksichtigt werden müssen.[14]

Dieses Verständnis von linker Militanz bedeutet für unser Erkenntnisinteresse: Es geht uns diesseits des Formalen, d.h. von Organisationsweisen, Positionspapieren, Bündnissen, Aktionsformen, vor allem um individuelle Motive und Radikalisierungskarrieren, um Selbstinszenierungen (Symbole, Rituale, Codes), um Lebenswelten und Verflechtungen mit der politischen Mehrheitskultur, um Bezugspunkte zur gesellschaftlichen Mitte, Konflikt- und Eskalationskonstellationen (also ebenfalls die Rolle von Polizei, Justiz, Verfassungsschutz und Medien). Kurz: Es geht uns – noch einmal – um eine Ethnologie linker Militanz.

Was untersuchen wir?

Wenn wir Militanz so bestimmen, dann werden davon weder skrupulös abwägende, differenziert argumentierende und konsensorientiert handelnde Parteien und Organisationen (wie insbesondere die auf Ausgleich basierenden Volksparteien) noch theoriefixierte, auf den historisch-materialistisch grundierten Selbstlauf der Geschichte bauende K-Gruppen und -Parteien erfasst; dann stehen im Kern der Untersuchung die Gruppen und Zusammenschlüsse aus dem autonomen und post-autonomen Spektrum, die jenseits aller Detaildifferenzen die drei genannten Kriterien – kämpferischer Gestus, Tatorientierung, Radikalität – teilen. Wobei zur späteren, weiteren Schärfung des Begriffes der linken Militanz ein Vergleich mit den K-Gruppen in einem zweiten Schritt durchaus nützlich sein kann.

Aus der Fassung des Begriffs und der Abgrenzung vom Extremismus folgt zusammenfassend einerseits eine Relativierung der im öffentlichen Sprachgebrauch pauschal an Militanz geknüpften Gefahren- und Bedrohungsannahmen: Zum einen dadurch, dass mit Blick auf die tatsächlichen Delikte (und nicht die rhetorische Lautsprecherei) ein deutlicher Rückgang links-militanter Aktivitäten im Langzeitverlauf konstatiert werden kann – und zwar sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Die Größenordnung und Intensität von Massenmilitanz wie in den 1980er Jahren, bei der vor allem gegen Polizeikräfte alle erdenklichen Gewaltmittel unterhalb der Schwelle von Schusswaffen eingesetzt worden sind, wurde seitdem nicht mehr erreicht.[15] Zum anderen, indem grundsätzlich betont wird, dass Radikalität nicht per se mit der demokratischen Ordnung kollidiert, sondern, salopp gesagt, radikale Fehlentwicklungen im Umkehrschluss radikale Gegenstrategien erforderlich machen können.

Daraus folgt aber andererseits keine Verharmlosung, weil Militanz sehr plausibel als Ausdruck einer mangelhaften »Abweichungstoleranz«[16] gefasst werden kann, und insofern, wenn auch nicht generell demokratiefeindlich, auch nicht grundsätzlich demokratiekonform ist. »Gewalt gegen Sachen« stellt eben nicht das sich wechselseitig ausschließende Gegenstück zur »Gewalt gegen Personen« dar, sondern markiert analog zur enthemmenden Wirkung jeglicher Gewaltanwendung eher einen ersten Radikalisierungsschritt auf dem Weg zu schwereren bis hin zu im extremsten Fall lebensbedrohenden Gewalttaten.

Was ist, was kommt?

Abschließend: Die Prognose ist nicht abwegig, dass linke Militanz nach einem langanhaltenden Rückgang verglichen mit den 1970er und 1980er Jahren künftig wieder an Bedeutung gewinnen könnte. Davon zeugen nicht nur die eruptiven Krawalle im Hamburger Schanzenviertel beim G20-Gipfel im Sommer 2017 – wobei die Frage durchaus berechtigt ist, ob hier überhaupt von einer dezidiert »linken« Militanz gesprochen werden kann oder ob wir es nicht eher mit einer unübersichtlichen und komplexen Gemengelage zu tun hatten, die der Logik des Riots folgte, die Simon Teune wie folgt beschrieben hat: »An vielen Orten wurden Einsatzkräfte mit der Parole ›ganz Hamburg hasst die Polizei‹ empfangen. Längst nicht nur die üblichen Verdächtigen warfen Flaschen und Steine. Auf dem Höhepunkt des Geschehens vermischten sich Protest und Frust, politische Akteure und Zuschauer.«[17]

Die in Hamburg deutlich gewordene Struktur- und Ziellosigkeit der Krawalle, die spontane Entladung der Gewalt, kurz: die »Propaganda der Tat«, die keinen ideologischen Zielsetzungen, keiner theoretischen Begründung folgt, dürfte nicht zuletzt auch durch die allmähliche Auflösung industriegesellschaftlicher Strukturen und Organisationen begünstigt worden sein. Die Erosion der organisationsgestützten Weltanschauungsmilieus, die Wut kanalisierten, ihre Anhänger disziplinierten und Zukunftsversprechen sowie Visionen entwickelten, ist somit Wasser auf die Mühlen selbstorganisierter, spontaner Protesteskalationen und insurrektionalistischer Spontanerhebungen. Die Geschlossenheit der Milieus aber dürfte so bald nicht wiederkehren. Höchste Zeit also, sich endlich nüchterner, sachlicher und differenzierter mit linker Militanz zu beschäftigen.

[1] Vgl. Riedl, Jonathan/Micus, Matthias: Der blinde Fleck des Extremismus(-Begriffes), in: Demokratie-Dialog, H. 1/2017, S. 16–22.

[2] Vgl. den Beitrag von Armin Pfahl-Traughber in diesem Heft.

[3] Siehe Fuhrmann, Maximilian: Konjunkturen der Containerbegriffe. Das neue Bundesprogramm »Demokratie leben!« in extremismustheoretischer Hinsicht, in: Burschel, Friedrich (Hrsg.): Durchmarsch von rechts. Völkischer Aufbruch: Rassismus, Rechtspopulismus, Rechter Terror, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin 2016, S. 131–137.

[4] Vgl. Lethen, Helmut: Suche nach dem Handorakel. Ein Bericht, Göttingen 2012, S. 12 ff.

[5] Vgl. Kraushaar, Wolfgang: Die blinden Flecken der RAF, Stuttgart 2017, S. 71 ff.

[6] Siehe dazu der Beitrag von Philipp Scharf in diesem Heft sowie Zajak et al.: Zwischen Reform und Revolution: Ergebnisse der Befragung von G20-Demonstrierenden am 02. und 08. Juli 2017 in Hamburg, in: Forschungsjournal neue soziale Bewegungen, H. 4/2017, S. 20–29.

[7] Schuhmacher, Nils: »Küsst die Antifaschisten«. Autonomer Antifaschismus als Begriff und Programm, in: APuZ, H. 42-43/2017, S. 35–41, hier S. 40.

[8] Siehe vor allem zum Begriff der strukturellen Gewalt Imbusch, Peter: Der Gewaltbegriff, in: Heitmeyer, Wilhelm/Hagan, John (Hrsg.): Internationales Handbuch der Gewaltforschung, Opladen 2002, S. 26–57, hier. S. 39 f.

[9] Frommel, Monika: Gewalt als attraktive Lebensform, in: Neue Kriminalpolitik, Jg. 29 (2017), H. 4, S. 355–368, hier S. 355.

[10] Koenen, Gerd: Frappierend ziellos, in: Die Zeit, 13.07.2017.

[11] Paris, Rainer: Vermummung, in: Leviathan, H. 1/1991, S. 117–129, hier S. 126.

[12] Zur Vielschichtigkeit des Militanz-Begriffs vgl. Schuhmacher, Nils: Gewalt in der Antifa: Mythos und Realität, in: DJI-Impulse, H. 1/2015, S. 11–13.

[13] Haunss, Sebastian: Identität in Bewegung. Prozesse kollektiver Identität bei den Autonomen und in der Schwulenbewegung, Wiesbaden 2004, S. 126.

[14] Siehe hierzu Glaser, Michaela: ,Linke‹ Militanz im Jugendalter ein umstrittenes Phänomen, in: Schultens, René/Glaser, Michaela (Hrsg.): ›Linke‹ Militanz im Jugendalter. Befunde zu einem umstrittenen Phänomen. Halle (Saale) 2013, DJI, S. 4–21, hier S. 17.

[15] Vgl. Mletzko, Matthias: Gewalthandeln linker und rechter militanter Szenen, in: APuZ, H. 44/2010, S. 9–16, hier S. 12.

[16] Nassehi, Armin: Der Erfolg der AfD – ein deutlich demokratischer Vorgang, in: Der Spiegel, H. 50/2017.

[17] Teune, Simon: Das Scheitern der »Hamburger Linie«, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 8/2017, S. 9–12, hier S. 12.