Forschungspragmatisch resultiert aus diesen Vorüberlegungen unter anderem die selbstgesetzte Aufgabe, in vergleichenden Fallanalysen konkrete Gruppen und Ereignisse in ihrer lokalen Bedingtheit zu untersuchen, um im Rahmen definierter lokaler Strukturen wie unter einem Brennglas Entwicklungen von Einstellungsmustern, Konjunkturen »antidemokratischer« Tendenzen und Anknüpfungsmöglichkeiten radikalisierten Gedankengutes wissenschaftlich erforschen zu können. Im Zentrum des bisherigen Forschungsdesigns stehen entsprechend lokale Milieustudien als Kristallisationen, ohne dass darüber regionale und überregionale Entwicklungen vernachlässigt werden würden. Kulturelle Besonderheiten, gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Wandlungsprozesse und sowohl individuelle als auch kollektive Mentalitäten sollen durch einen flexibel komponierten Methodenmix erfasst werden. Indem sich der Blick auf die langen Linien von Entstehungsbedingungen und Ausdrucksformen richtet, wird der historische Wurzelgrund gegenwärtiger politisch-kultureller Phänomene erfasst, wodurch sich etwa bei der Untersuchung von Anhängerprofilen, Agitationsweisen und Artikulationsformen der verbreitete Alarmismus aktualitätsfixierter Gegenwartsdiagnosen relativieren kann. Militanz, Radikalisierungen und »antidemokratische« Widerstandsbewegungen – ob partei- oder protestförmig, spontan oder organisiert – entwickeln sich stets im Rahmen eines spezifischen historisch gewachsenen gesellschaftlichen Kontextes, der für die wissenschaftliche Beurteilung unbedingt Berücksichtigung finden muss.

Schließlich: Wissenschaft ist dazu verpflichtet, permanent mit ihren Herangehensweisen und Ergebnissen in den Diskurs und Austausch zu treten, kurzum: durch das Säurebad kritischer Infragestellung hindurchzugehen. Hier wird die Forschungsstelle nicht nur für die Diskussion in der Wissenschaft selbst offen sein, sondern auch für Fragen und Impulse aus der interessierten Öffentlichkeit. Die Ansiedlung der Forschungsstelle am Institut für Demokratieforschung garantiert eine enorme Transparenz; auch, weil dort seit mehreren Jahren Forschungsarbeit als öffentliche Wissenschaft praktiziert, d.h. die Kommentierung und Intervention in aktuelle gesellschaftliche Debatten betrieben wird.

Darüber hinaus wird an der Forschungsstelle eine Plattform zum wissenschaftlichen Dialog und zur Förderung der politischen Bildung geschaffen, indem explizit Mittel für ein Gastwissenschaftler-Programm, für Symposien und für die Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung gestellt werden.

Zuletzt: Es gibt viele junge, interessante Wissenschaftler und Praktiker, die sich ebenfalls mit diesem Forschungsbereich beschäftigen, die sich nicht im Elfenbeinturm verschanzen, sondern ins Feld gehen, die sich für ihren Gegenstand begeistern, die neugierig und leidenschaftlich sind; mit diesen Leuten möchten wir zusammenarbeiten und sie sind herzlich eingeladen, in der vorliegenden Schriftenreihe Beiträge aus ihren Arbeitsfeldern zu publizieren.

[1] Vgl. hierzu Nolte, Paul: Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart, München 2011, S. 288.

[2] Hier soll nicht die breite und tiefergehende Debatte zur Krise der Demokratie umfassend rezipiert, sondern nur der Rahmen angedeutet werden, in dem sich die Arbeit der Forschungsstelle verortet.

[3] Vgl. auch Walter, Franz: Tücken der Demokratisierung der Demokratie, in: Hensel, Alexander/Kallinich, Daniela/Rahlf, Katharina (Hrsg.): Gesellschaftliche Verunsicherung und politischer Protest. Jahrbuch des Göttinger Instituts für Demokratieforschung 2011, Stuttgart 2012, S. 38–40.

[4] Walter, Franz: Die Akzeptanz des Staates schwindet, in: Frankfurter Rundschau, 22.06.2012.

[5] Walter, Franz: Niedrige Wahlbeteiligung – alles halb so wild?, in: Hensel, Alexander u.a. (Hrsg.): Politische Kultur in der Krise. Jahrbuch des Göttinger Instituts für Demokratieforschung 2013, Stuttgart 2014, S. 339–342.

[6] Münkler, Herfried: Wagnis Demokratisierung. Wenn die Hoffnung zum Debakel wird?, in: Theater heute, März 2010, S. 35–39, hier S. 36, zitiert nach: Walter: Tücken der Demokratisierung der Demokratie.

[7] Geiges, Lars/Marg, Stine/Walter, Franz: Pegida. Die schmutzige Seite der Zivilgesellschaft?, Bielefeld 2015, S. 194.

[8] Prantl, Heribert: Braun bleibt, in: Süddeutsche Zeitung, 18.01.2017.

[9] Urteil des Bundesverfassungsgerichtes BVerFG, Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017, URL: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/01/bs20170117_2bvb000113.html [eingesehen am 29.08.2017].

[10] Gusy, Christoph: Weimar – die wehrlose Republik? Verfassungsschutzrecht und Verfassungsschutz in der Weimarer Republik, Tübingen 1991, insbesondere S. 370.

[11] Wehler, Hans-Ulrich: Geschichte als Historische Sozialwissenschaft, Frankfurt a.M. 1973, S. 9.

[12] Vgl. allgemein und übersichtlich zum Thema Pickel, Susanne/Pickel, Gert: Politische Kultur- und Demokratieforschung: Grundbegriffe, Theorien, Methoden; eine Einführung, Wiesbaden 2006.

[13] Vgl. hierzu Rohe, Karl: Politische Kultur: Zum Verständnis eines theoretischen Konzepts, in: Niedermayer, Oskar/Beyme, Klaus von (Hrsg.): Politische Kultur in Ost- und Westdeutschland, Berlin 1994, S. 1–21.

[14] Ebd., hier S. 7.

[15] Rohe, Karl: Politische Kultur und ihre Analyse. Probleme und Perspektiven der politischen Kulturforschung, in: Historische Zeitschrift, Jg. 132 (1990), H. 250, S. 321–346, hier S. 337.

[16] Rohe, Karl: Politische Kultur und der kulturelle Aspekt von politischer Wirklichkeit. Konzeptionelle und typologische Überlegungen zu Gegenstand und Fragestellung Politischer Kultur-Forschung, in: Berg-Schlosser, Dirk/Schissler, Jakob (Hrsg.): Politische Kultur in Deutschland. Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 18, Wiesbaden 1987, S. 39–48, hier S. 42.

[17] Vgl. hierzu auch Rohe, Karl: Politik. Begriffe und Wirklichkeit, Stuttgart 1978, S. 50–61.

[18] Vgl. zu den Begriffen der »Mehrheits- und Minderheitskultur« sowie den Möglichkeiten der Ergänzung der »Extremismusforschung« mit den Werkzeugen der politischen Kulturforschung auch Jaschke, Hans-Gerd: Streitbare Demokratie und Innere Sicherheit, Opladen 1991.